Wie man liest und hört, wird allgemein erwartet, dass Sarah Wagenknecht in Kürze ihre eigene Partei gründet. Weiter heißt es, 60% der bisherigen AfD-Wähler, etwa die Hälfte der traditionellen Wähler der Linkspartei und 25% derer, die bisher CDU/CSU gewählt haben, würden jetzt einer Wagenknecht-Partei ihre Stimme geben.
Wieder mal eine Massen-Euphorie. Solche Schwärmereien sind in der Politik selten und wenn sie eintreten sind sie immer von kurzer Dauer. Ein gutes Beispiel dafür ist, was geschah, als Martin Schulz im Januar 2017 für den Parteivorsitz der SPD kandidierte. Er wurde vom Parteivorstand EINSTIMMIG nominiert, was an sich schon ungewöhnlich war. Die Begeisterung über seine Kandidatur war in der Wählerschaft so groß, dass die SPD innerhalb weniger Wochen mehr als 10,000 neue Partei-Eintritte verzeichnete. Beim Parteitag am 19. März 2017 wurde Schulz zum Vorsitzenden und Kanzler-Kandidaten gewählt, und zwar mit 100% der gültigen Stimmen, ein Resultat, dass es in der bundesdeutschen Politik davor und auch danach nie gegeben hat. Die Umfrage-Werte der SPD für die Bundestags-Wahl schossen zunächst durch die Decke, was man in der Partei und in den Medien als den „Schulz-Zug” bezeichnete, der die Partei weiter nach vorne ziehen würde. Es entstand sogar ein Computerspiel, das als „Schulzzug – The Game” benannt wurde.
Aber schon bei den drei folgenden Landtagswahlen büßte die SPD Stimmanteile ein, konnte ihre Umfrage-Ergebnisse nicht halten, und in den Medien wurde der Schulz-Zug in den „Schulz-Hype” umbenannt, was er ja auch wirklich gewesen war, ein typischer politischer Rummel, ein Strohfeuer, das ziemlich schnell verbrannte. Nach einer Reihe verschiedener enttäuschender Ereignisse trat Schulz am 13. Februar 2018 als Parteivorsitzender und Kanzler-Kandidat zurück, weniger als ein Jahr nach seiner überschwänglichen Wahl.
Wenn Sarah Wagenknecht wirklich die Intelligenz besitzt, die man ihr nachsagt, dann erkennt sie, dass die gegenwärtige Begeisterung für ihre Person ein typisches politisches Feuerwerk ist, und lässt sich nicht zu unbedachten Entscheidungen hinreißen. Eine Wagenknecht-Partei wäre sehr stark auf die Person mit diesem Namen zugeschnitten, ein Charakteristikum, das in der BRD früher oder später immer zur Bedeutungslosigkeit geführt hat. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Neugründung auch noch den Namen des Gründers im Parteinamen führt, oder in der Wählerschaft so bezeichnet wird, wie das zum Beispiel bei der Schill-Partei oder beim Team Todenhöfer so gewesen war oder noch ist (kennt überhaupt jemand diese beiden?). Falls also Sarah tatsächlich eine Partei gründen will, die nachhaltige Bedeutung haben soll, dann muss man ihr empfehlen, „Wagenknecht” aus dem Namen dieser neuen Gruppierung herauszuhalten, und auch darauf zu drängen, dass man in der Wählerschaft nicht vornehmlich von einer Wagenknecht-Partei spricht.
Aber auch unabhängig von dem Namen sieht sich eine auf eine einzelne Person zugeschnittene Partei in Deutschland einem grundsätzlichen Problem ausgesetzt. Die beiden in der BRD nachhaltig erfolgreichen Neugründungen, die auch heute noch bestehen, die Grünen und die AfD, wurden weder bei ihrem Entstehen noch in ihrem späteren Verlauf von einem einzelnen Mitglied dominiert. Es gibt sogar eine Anzahl gegensätzlich gearteter Fälle: Als der AfD-Vorsitzende, Bernd Lucke, zu sehr versuchte, die vornehmliche Entscheidungsmacht im Parteivorstand für sich zu erzwingen, wurde er abgewählt, verließ die AfD und gründete eine neue Partei. Zwar sollen ihm angeblich 2000 bis 4000 andere Mitglieder gefolgt sein, aber darunter waren fünf prominente AfD-Funktionäre, die einige Zeit nach ihrem Eintritt geschlossen wieder die neue Partei verließen. Als Begründung gaben sie an, Lucke würde die Entscheidungen im Vorstand für sich monopolisieren, und man habe ja nicht die Absicht gehabt, Mitglieder einer Lucke-Partei zu werden.
Also Vorsicht Sarah! Eine Partei, die zu sehr auf eine Person getrimmt und vielleicht auch noch nach dieser Person benannt ist, hat in Deutschland traditionell schlechte Karten.
Aber unabhängig von diesen Überlegungen traue ich Wagenknecht auch nicht über den Weg. Dass sie Stalinistin war und die Berliner Mauer befürwortete, ist ja ganz allgemein bekannt, und die Vorstellung, sie hätte diese Ideologie aufgegeben, ist in meinen Augen abgrundtief naiv. Offenbar verfolgt Wagenknecht einen Zweck und eine Strategie, die den Absichten der Kommunistischen Partei Chinas sehr ähnlich ist. Ich habe es den gealterten Ideologen um Deng Xiaoping nie abgenommen, dass sie den Kommunismus aufgegeben hatten. Das haben sie auch nie behauptet und in politischer Hinsicht haben sie ja die totalitäre Machtausübung beibehalten. Aber nachdem der klassische Maoismus wirtschaftlich komplett versagt hatte und man nicht bestreiten konnte, dass der Kapitalismus mit seinen Methoden wesentlich größeren und vor allem auch breiteren Wohlstand geschaffen hatte, wurden in Peking die wirtschaftlichen Postulate des Marxismus vorübergehend eingemottet. Man schickte sich an, auf wirtschaftlichem Gebiet den Westen mit dessen eigenen Waffen zu schlagen, um danach irgendwann einmal aber mit Bestimmtheit die Marxsche Vorstellung von der Diktatur des Proletariats zu verwirklichen.
Die vom deutschen Wählervolk jetzt so sehr vergötterte Sarah ist eine hervorragende Taktiererin. In ihren Reden konzentriert sie sich ausschließlich auf jene Themen, die der Mehrheit der Wähler zurzeit am Herzen liegen: Die Masseneinwanderung, die so-genannte Pandemie, die Klima-Hysterie und der Krieg im europäischen Osten. Den Marxismus stalinistischer Prägung hat sie metaphorisch gesprochen in einer Schublade abgelagert, von wo sie ihn nach Bedarf jederzeit wieder hervorholen kann. Das wird sie auch tun, und zwar nach der von Jean Claude Juncker so gut beschriebenen Methode: »Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.«
Sarah ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein ideelles trojanisches Pferd des Stalinismus in einem kapitalistisch ausgerichteten Wirtschaftssystem. Das erinnert mich daran, wie der Oberpriester Laokoon seine trojanischen Landsleute vor der List des Odysseus warnte: „Ich fürchte alle Griechen, auch die, die Geschenke bringen.” Sarahs List ist kein materielles Geschenk wie das hölzerne Pferd, sondern sehr vermutlich eine raffiniert auf Zeit versteckte marxistisch-totalitäre Ideologie.
Also seht euch vor und hütet euch vor dem Wagenknecht-Zug! Lasst euch von der Lokomotive Sarah nicht in den Stalinismus hineinziehen! Und denkt immer an das, was Juncker mit etwas anderen Worten so entwaffnend ehrlich zugegeben hat: Das Wählervolk merkt die Absicht - die Richtung des Zuges - erst, wenn es kein Zurück mehr gibt.