Mit markigen Sprüchen wie diesem und einer Vielzahl herausragender Werke, ging der österreichische Schriftsteller Karl Kraus in die Geschichte ein. Daher freue ich mich, diese Woche ein besonderes Buch empfehlen zu dürfen. Richard Schuberth, Schriftsteller, Satiriker, Cartoonist, Gesellschaftskritiker und was weiß noch alles (Hauptsache, er schreibt auch auf Fisch + Fleisch) hat zum 80. Todestag des ersten und schärfsten Bloggers der Geschichte, Karl Kraus, eine glänzend geschriebene Einführung vorgelegt: „Karl Kraus – 30 und drei Anstiftungen“ erschienen im Klever Verlag, das Nachwort dazu geschrieben hat der bekannte britisch-österreichische Essayist Thomas Rothschild. Auf dem Cover lächelt einem Karl Kraus, mit einem Hündchen spielend, entgegen. Und nicht zufällig dürften Verlag oder Autor dieses Sujet gewählt haben, denn normalerweise sieht man Kraus auf Covers immer als hypnotischen, eiskalt dreinschauenden Strafprediger. Aber vielleicht ist das ein falsches Bild. Und nach der Lektüre von Schuberths Buch weiß man auch, warum es falsch ist.
Wobei es sich um eine Neuauflage handelt. Deshalb auch die „30 und drei Anstiftungen“, denn „30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus“ erschienen in Serie bereits 2006 und 2007 im „Augustin“ und ein Jahr später als Buch im Verlag Turia + Kant. In der Neuauflage gibt es drei neue Aufsätze zu Kraus – und alle 33 Texte haben es in sich.
Denn Schuberths Buch besteht nicht nur aus Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, sondern durchaus auch zum Entdecken von Richard Schuberth. Sein Zugang ist sehr subjektiv und, ohne sich selbstherrlich vorzudrängen, wirkt es so, als würde er seinem Lehrer hundert Jahre später assistieren. Er gibt uns dabei Tipps, wie man sich Kraus Texten nähert und wie man sein Denken, seinen Witz auf heutige Gesellschafts- und Medienkritik übertragen könnte. Oder wie heißt es im Klappentext so schön: „Durchwegs unkonventionell und engagiert, abseits der akademischen und feuilletonistischen Trampelpfade zeigt Schuberth, was aktuelle Gesellschafts- und Kulturkritik von Karl Kraus lernen könnte, lernen sollte.“
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Dabei ist er kein Kraus-Imitator oder -Epigone, wie Rothschild in seinem Nachwort betont. Und der Germanist Daniel Krause übertreibt nicht, wenn er schreibt: „Schuberth gehört zu den wenigen Autoren – ob innerhalb oder außerhalb des wissenschaftlichen Gesprächs – die sich sprachlich auf Augenhöhe mit Kraus halten können. Rezensent hat seit langem keine wissenschaftliche oder wissenschaftsnahe Prosa gelesen, die sorgfältiger gearbeitet wäre und dennoch so unverkrampft und leichtfüßig scheint.“ (Aus: Kakanien revisited)
Schuberth analysiert in kurzen Essays Kraus’ Verhältnis zu Journalismus, Krieg, Frauen, dem Antisemitismus, Nationalsozialismus, Austrofaschismus, zu Justiz, Sexualität, Psychoanalyse, Heimat und Patriotismus („Wien und Umgebung“), Bildungshubern und Wissenschaftsjargon, Peter Altenberg, moderner Kunst, Religion, Sozialdemokratie und Kommunismus, Witz, Satire, Sprache und – eine der interessantesten Reflexionen zum Thema – zur Eitelkeit. Darüber hinaus präsentiert er Kraus, was die wenigsten wissen, als einen der ersten und radikalsten Kämpfer für Schwulenrechte, und das, obwohl er selbst eher auf Frauen stand. Sein Verhältnis zu Frauen war nicht unproblematisch, aber das wird von Schuberth keineswegs unterschlagen, der genau darlegt, was daran sexistisch, was emanzipatorisch war. Intellektuelle Frauen waren zwar nicht so seins (es sei denn, es handelte sich um Poetinnen), er verteidigte aber ihr Recht auf freie Sexualität und tadelte ihre Unterdrückung durch die Männer. Im Kapitel über Kraus und die Juden geht Schuberth ungewöhnlich hart mit dem Herausgeber der „Fackel“ ins Gericht, den er sonst stets zu würdigen weiß.
Auf die Frage, ob Kraus links oder rechts, konservativ oder progressiv war, findet Schuberth ein paar erstaunliche Antworten. Reizvoll das Kapitel über Karl Kraus und Rosa Luxemburg, das wie eine Liebesgeschichte geschrieben ist, obwohl sich die beiden persönlich nicht gekannt haben. Er schätzte sie wegen ihrer Tierliebe und nicht wegen ihrer politischen Ansichten, und auch auf Bertolt Brecht wurde er nicht wegen seiner proletarischen Attitüde, sondern wegen eines Gedichts über Kraniche aufmerksam. Schuberth selbst ist bekennender Linker, doch einer, der wie Kraus Phrasen hasst, auch linke Phrasen.
Und genau hier wird das Hauptaugenmerk gelegt, auf Kraus Sprachkritik, sie ist sein wahres Vermächtnis. Arbeitshypothese: An der Art, wie wir die Sprache zurichten, zeigt sich, wie wir zugerichtet sind. Und da geht Schuberth auch mit uns Bloggern hart ins Gericht. In seinem abschließenden Essay über „Kraus 2.0“ schreibt er: „Nichts drückt dies erschütternder aus als die Phrase von den Texten, die einen abholen. Nicht wir sollen uns um Wahrheiten bemühen, sondern diese mit dem jeweils günstigsten Schnäppchenpreis um uns. Denn der Kunde ist König und die Wahrheit ein Taxiunternehmen: Das je billigste wirft die anderen aus der Bahn. Aber wehe, jemand schreibt Texte, die einen gar nicht abholen wollen. Vor 70 Jahren noch hat man den abgehobenen jüdischen Intellekt, der einen auch nicht abholen wollte, abholen lassen. So weit würde man heute nicht mehr und noch nicht gehen, aber als Rute im Fenster jener, die sich frech über unser Verständnis erheben, taugt es allemal. Man braucht sich die Finger nicht mehr schmutzig machen: Säuberlich und diskret entfernt die unsichtbare Hand des Marktes die Abholfaulen aus den Servicezonen des Geistes.“
Darüber sollte man nachdenken. Denn geistreiche Sprache, Schuberth beweist das in jedem Text, muss nicht unverständlich und verkorkst sein. Aber sie muss den Leser, die Leserin zum Mitdenken anregen. Alles andere, so Schuberth, ist vegetatives Lesen. Vielen, denen Kraus’ Sprache zu sperrig und kompliziert ist, weist der Autor Wege zu verständlicheren, ungemein witzigen und scharfsinnigen Passagen bei Kraus. Big fun!
In einem autobiographischen Anhang erfahren wir, dass Karl Kraus Schuberths Familie schon durch drei Generationen begleitet. Sein Großvater hörte Kraus 1913 als junger Marinekadett in Pula und abonnierte als frischer Fan sofort die „Fackel“. In den 30er Jahren hat er einen jungen Nazibonzen zum Duell gefordert, was zweifellos dem Einfluss von Kraus zu verdanken war. Allein dieser spannende zeitgeschichtliche und doch sehr intime Text rechtfertigt den Kauf des Buchs.
Warum ich das alles schreibe? Nein, ich bekomme dafür keinen Cent. Kraus ist genial. Und dieses Buch ist es auch! Und das sei Euch nicht vorenthalten. Have a look, es lohnt sich.
https://www.amazon.de/Karl-Kraus-30-drei-Anstiftungen/dp/3903110116
Richard Schuberth
Karl Kraus –
30 und drei Anstiftungen
Klever Verlag
250 Seiten, 22 Euro, Klapenbroschur
Mit einem Nachwort von Thomas Rothschild
Buchpräsentation: Mittwoch, 5. Oktober
20 Uhr
Theater Nestroyhof – Hamakom
Nestroyplatz 1, 1020
Musik: Jelena Popržan & Lina Neuner (Songs von Offenbach, Nestroy, Kraus, Brecht, Schuberth und Eigenes ...)