Jeder dritte, der diesen Artikel liest, ist ein Rassist.

Genau, SIE sind gemeint, vor Ihnen haben ihn nämlich schon zwei angeklickt.

Sie sind ein fremdenfeindlicher Unmensch, ein Widerling, ein ungebildeter Idiot. Sie verfügen nicht über die nötige Empathie sich vorzustellen, wie grauenhaft es sein muss, aus der kriegszerbombten Heimat flüchten zu müssen. Sie verwechseln die Terrormiliz „Islamischer Staat“ mit ihren Opfern. Ach ja, und Ihre Rechtschreibung ist hundsmiserabel.

Sie meinen, das wäre jetzt schon ein wenig gemein, wie ich Sie hier darstelle?

Hallo, hallo, das ist parteiübergreifender, politischer Konsens!

Die Logik ist so schlicht wie unwidersprochen: Um die nächste Wahl zu gewinnen und seinen Bundeskanzler oder Landeshauptmann stellen zu können, braucht man sie: Jene, die jeden Flüchtling am Liebsten persönlich ins Mittelmeer zurücktreten würden.

Und auch wenn man nicht direkt auf diesen Zug aufspringen möchte, richtet man trotzdem seinen gesamten Wahlkampf darauf aus, wie zum Beispiel Herrn Häupls Splittergruppe der besinnungslos dahintorkelnden SPÖ.

Zeit also, die beiden zentralen Frage zu stellen: „Echt jetzt?“ und: „Ernsthaft?“

Wahlentscheidende 30-40 Prozent der Österreicher sind also Rassisten? Ungusteln? Mindergebildete? Deppen? 30-40 Prozent der Österreicher finden es also gut, Flüchtlinge in Zelte zu stopfen, selbst wenn, wie geschehen in Linz, in unmittelbarer Nähe geeignete Unterkünfte zur Verfügung stünden?

Im Gegensatz zu Frau Mikl-Leitner, Herrn Pühringer, Herrn Niessl und dem konsequent unsäglichen Herrn Strache habe ich eine wesentlich bessere Meinung von meinen Landsleuten.

Freilich, gefühlte 5 Prozent sind absolut frustrierte, überzeugt rechtsextreme, nicht einmal halbgebildete Fanatiker, die man nur noch abschreiben kann, um gleichzeitig auf eine Bildungs- und Sozialreform zu hoffen, um zumindest die nächste Generation zu verhindern. Aber mit denen gewinnt man keine Wahl.

Ich durfte aus nächster Nähe erleben, wie der überwiegende Rest tickt, bei Lesungen meines Romans „Auswandertag“ (Inhalt: Ein rechtsextremer Bundekanzler hat Österreich aus der EU geschossen, die Grenzen sind dicht, das Land pleite, die Österreicher die neuen Flüchtlinge, die mithilfe von Schleppern in ein besseres Leben zu entkommen versuchen.)Da ich immer wieder namhafte Kabarett-Kollegen mit auf der Bühne hatte, saßen im Publikum häufig Zuseher, die sich ganz einfach einen lustigen Abend erwartet hatten, dann aber nach und nach mit Flüchtlingsthemen konfrontiert wurden. Und siehe da: Sie sind geblieben und waren interessiert.

Mit Lesern ging es mir ähnlich. Mein bisheriger Lieblingskommentar: „Zuerst musste ich lachen, aber dann habe ich festgestellt, der Familie in dem Buch geht es ja gar nicht gut!“ Besagte Leserin hat begonnen, zu rätseln, welche Entsprechungen die satirisch überhöhte Handlung in der Wirklichkeit hat. Sie hat nachgefragt. Auf einmal wollte sie Dinge wissen. Wie geht es wirklich in einem Auffanglager zu? Wie sieht die staatliche Unterstützung für Flüchtlinge aus? Wie sind Abschiebungen organisiert?

Ähnliches passiert in vielen Gemeinden, in denen Flüchtlinge dann halt doch aufgenommen werden. Zuerst ist alles „Uaaaaaah!“, schließlich aber doch: „Ach so. Na dann. Eh.“

Die Wähler dieses Landes mögen, regelmäßig umzingelt von menschenverachtender FPÖ-Lyrik, verunsichert sein, aber eines sind sie ganz sicher nicht: Dämlich. Sie wären durchaus bereit, sich auf schwierige Themen einzulassen. Es kostet immer Überwindung, von einer Meinung abzurücken, es gibt aber genügend Möglichkeiten, es den Leuten einfach zu machen. Die beste ist die persönliche Begegnung.

Ich erinnere mich an eine Lesung in Oberösterreich, bei der ein Flüchtling im Publikum saß, der gerade subsidiären Schutz erhalten hatte. Selbstverständlich war er im Anschluss von Menschen umringt, die alles mögliche von ihm erfahren wollten. Keiner hätte nach diesem Abend noch Straches konfuses Gegeifere goutiert.

Es wäre also höchste Zeit, den Menschen mehr zuzutrauen.

Und für Sie, lieber dritter Leser, ist es an der Zeit, ordentlich angefressen zu sein. Dass man Sie für einen minderbemittelten Ungustel hält, das geht wirklich gar nicht! Sagen Sie das dem Herrn Strache oder der Frau Mikl-Leitner vielleicht bei Gelegenheit.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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