Diamanten der Musikindustrie – Josef Salvat

Auf Platz 11 der deutschen Single-Charts liegt gerade Josef Salvat mit seinem Song „Diamonds“. Wie, das sagt Ihnen etwas? Ziemlich unwahrscheinlich, denn Salvat ist ein noch eher unbekannter Newcomer, der auf seiner Facebookpage erst rund 20.000 Likes und auf seinem Twitteraccount nur etwa 4000 Follower hat. Das ist für jemanden, der in Frankreich und Belgien sogar in den Top-3 der Charts liegt, doch etwas wenig. Bei dem Namen klingelt aber dennoch etwas bei Ihnen?

Das kann zweierlei Gründe haben.

Zum einen kennen Sie mit Sicherheit zumindest den Song, denn er ist nichts anderes als ein Cover des Welthits von Rihanna, der uns seit mittlerweile zwei Jahren aus diversen Radios beschallt. Ein Song, der so gut gefiel, dass er auf Platz 60 der meistverkauften digitalen Kopien weltweit liegt und in mehr als 20 Ländern an der Spitze der Charts thronte. Ein Song, der auch lange Zeit in meinem Kopf hängen blieb und den ich sogar gerne mit der Akustikgitarre in der Hand nachgesungen habe, obwohl ich mich kaum für derartige Mid-Tempo-Balladen begeistere. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass es Coversongs in die Charts schaffen. Aber gleich zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung des Originals? Also direkt in einer Phase, in der ein Song normalerweise zwar bereits zur Genüge gehört worden ist, aber noch nicht als alt empfunden wird. Zwei Jahre sind doch eine ziemlich geringe Zeitspanne, damit ein Cover gute Chancen hat, den Song wieder in die Charts zu tragen. Warum läutet diese Interpretation nun aber bereits jetzt die zweite Welle dieses Lieds ein?An der Qualität des Songs kann es nicht liegen. Obwohl er extrem populär ist und aufgrund seiner kaum vorhandenen Komplexität sehr leicht ins Gehör geht, hat er in lyrischer („find light in the beautiful sea, i choose to be happy“ - wtf?), physikalischer (Diamanten scheinen nicht, sie reflektieren, aber „reflect“ oder „sparkle like a diamond“ wäre lyrisch nicht sauber und ästhetisch), moralischer („moonshine and molly“ – wird hier tatsächlich auf Alkohol und MDMA angespielt?!) und melodischer (vier durchgängige Akkorde, der letzte verschoben, darüber nicht einmal eine Leitmelodie) Hinsicht deutliche Mängel.Auch an der Qualität des Covers alleine kann es nicht liegen. Josef Salvat gibt dem Song durch seine Stimme zwar eine eigene Prägung, verzichtet auf jegliche virtuelle Sounds, singt nur zu simpler Klavierbegleitung und lässt das „Uuuuuh, aaaahhh“-Gestöhne des Originals außen vor, dennoch existieren bereits tausende von Diamonds-Cover da draußen. Eine Suche bei Youtube ergibt beim Stichwort „Rihanna Diamonds Cover“ gleich 765.000 Treffer und selbst wenn davon nur ein Bruchteil richtige Cover sind, gibt es bereits beliebte Diamonds-Interpretationen in allen Genres, von Metalcoreüber Smooth Jazz bis hin zu christlichem Rap. Reine Vocal Cover gibt es natürlich auch wie Sand am Meer.Warum schafft es nun aber ausgerechnet ein australischer Newcomer mit einem Cover dieses Songs, das wahrscheinlich den Interpretationen der zahlreichen vertragslosen YT-Künstler nicht einmal das Wasser reichen kann, auf einen solch hohen Chartsplatz?

Hier kommen wir zu dem zweiten Grund, warum Sie den Song kennen könnten. Denn verwendet wird er derzeit in der 4k-Werbung von Sony für ihre Ultra-HD TV-Geräte (alternativ auch in dieser Werbung). Die Relevanz eingängiger Werbesongs ist ja keine Entdeckung der Familie Putz, sondern bereits seit Ewigkeiten bekannt. Sony scheint hier dem Risiko einer Eigenkomposition entgehen zu wollen und setzt lieber auf einen Song, der bereits bewiesen hat, dass er massentauglich ist. Einen Song, der es erlaubt, dass man seine Akkordabfolge gar nicht von Beginn abspielen muss, um ihn beim Einsatz der Vocals zu erkennen. Da lassen sich gleich einige Werbesekunden sparen, ohne dass man eine Absenkung des Erinnerungsfaktors riskiert.Warum aber gerade Salvat? Nun, hier schlägt Sony zwei Fliegen mit einer Klappe. Denn raten Sie einmal, wo Josef Salvat, der erst ein paar Songs komponiert hat, unter Vertrag steht. Richtig, beim Sony Music Entertainment.

In der vernetzten Welt ist es mittlerweile durchaus üblich, auch Künstler untereinander zu vernetzen. Engagierte Youtuber berichten etwa, dass sie keine Chance haben, auf eine hohe Abonenntenzahl zu kommen, ohne mit anderen Youtubern zu kooperieren, also gemeinsame Videos zu drehen, damit die Fans des anderen Youtubers auch auf den eigenen Kanal aufmerksam werden. Anscheinend gibt es da bereits eigene Unternehmen, die nur dafür da sind, diese Youtuber zu vernetzen, um Fanströme umzuleiten und zu splitten.Auch im Musikbusiness ist das ja bekannt. Die Liste der Top-100 Künstler, mit denen Pitbull noch nichts gemacht hat, ist wohl kürzer als die, bei denen er bereits gefeatured hat. Wahrscheinlich hat er selbst nicht einmal mehr Songs als Features gemacht. Aber das, was Sony hier probiert, hat man bis jetzt doch eher selten gesehen (gerade durch den dreisten Einsatz einer Coverversion), es birgt jedoch Potential für die Zukunft. Ein Künstler wirbt für einen Fernseher, ein Fernseher wirbt für einen Künstler. Eine Vernetzung auf einer Metaebene, die nur einem Multigroßkonzern wie Sony zugänglich ist, kombiniert mit einem ausklingenden Welthit. Eine Vernetzung, die wohl dafür sorgen soll, dass Salvat als nächstes heißes Eisen in Position gebracht wird, deren künftige Songs man intensiv bewerben kann. Denn ohne große Fanbase oder intensive Werbekampagnen hat man als Künstler verschwindend geringe Chancen, in die Charts oder gar in das Radio zu kommen. Das hat mit Qualität gar nichts mehr zu tun.

Ich finde es nicht schlecht, dass Sony auf Salvat setzt. Immerhin handelt es sich um einen guten Sänger mit einer interessanten Stimme, der ein paar wenige ästhetische Makel hat und somit dem längst in der Branche angekommenen Schönheitswahn entgegensteuert (die Sexualisierung der Künstler in der Musikszene ist ja nicht nur ein Frauenproblem, wie gerne behauptet wird, sondern betrifft auch den Großteil der Mainstream-Sänger, auch wenn Sexualisierung hier weniger mit nackter Haut zu tun hat). Sony hätte etwa genauso auf einen gewissen Hobbie Stuart setzen können, der dem Bild des Mädchenschwarms mehr entspricht, auch bei Sony unter Vertrag stehen dürfte und vor zwei Jahren bereits ein Diamonds-Cover aufgenommen hat.Was ich auf der anderen Seite schlimm finde, ist, dass hier versucht wird, dem Konsumenten vorzugaukeln, man hätte es mit etwas Innovativem zu tun, mit einer besonderen Version des Songs. Tatsächlich stößt Salvats Cover im Internet auf zahlreiche positive Reaktionen, aber meiner Meinung nach eben nicht, weil die Version so außerordentlich gut ist, sondern weil Sony die Aufmerksamkeit auf ein spezielles der unzähligen Diamonds-Cover lenkt, das ihnen in doppelter Hinsicht Profit bringt.

Sony bedient sich hierbei der Schwächen der Popindustrie, da der Originalsong nicht von Rihanna selbst, sondern von Sia Furler, die jetzt auch mit „Chandelier“ (Stichtwort: "one, two, three, one, two, three, three") den Durchbruch geschafft hat, geschrieben wurde und Rihanna den Song daher eventuell nicht mit der nötigen Sensibilität gesungen hat. Das ist durchaus eine Schwachstelle bei den großen Labels, die ihre Künstler im Jahresrhythmus Alben produzieren lassen. Massenproduktion geht auf Kosten der Qualität, da kann noch so viel Geld in Songwriter und Producer gesteckt werden.Dass der Song darüber hinaus so gut ankommt und im Internet davon gesprochen wird, dass Salvat mit seiner Version des Liedes so viel mehr Emotionen und Gefühle transportiert, ist meiner Meinung nach aber nicht mehr als eine auditive Version von dem Phänomen, dass man glaubt, dass sich der Gesichtsausdruck einer Puppe ändert, wenn man zwischendurch traurige oder schöne Bilder gezeigt bekommt. Eine neue Stimme wird in Verbindung mit einer Temporeduktion und einer rein akustischen Begleitung eventuell mit anderen Gefühlen verbunden.

Im Prinzip werden wir Konsumenten ordentlich verarscht, das wird gerade in der Musik deutlich. Es geht längst nicht mehr um Qualität, es geht darum, wer am meisten Geld investiert, um die Illusion zu erzeugen, dass dieser Song gerade besonders beliebt ist. Um die Aufmerksamkeit möglichst vieler Hörer zu erhaschen, die zu den einfachen Melodien den Kopf mitnicken oder mitsingen können. Diamonds ist eingängig, keine Frage. Ein schöner Song, der Millionen Ohrenpaare begeistert. Aber eben keine musikalische Meisterleistung. Dafür spricht auch, dass der Song von Sia in 14(!!) Minuten geschrieben wurde. In keinem anderen Kunstbereich kann man mit so wenig Aufwand in vergleichbaren Dimensionen Geld scheffeln. Und wer tatsächlich glaubt, dass jeder der Songs, die von den führenden Poptitanen im Monatstakt veröffentlicht werden, an der Spitze der Charts steht, weil es sich um die besten Songs der Welt handelt, soll mir einmal erklären, wie sich das damit vereinbaren lässt, dass Taylor Swift sogar mit einem unabsichtlich veröffentlichten weißen Rauschen an die Spitze der iTunes-Charts kommen konnte.

Daher sollte man sich einmal auf Youtube und Spotify umsehen, denn es gibt so viel bessere Künstler abseits des Mainstreams. Allerdings erfordert dies einiges an Interesse und Motivation. Man muss sich mit Musik beschäftigen und sich gegenüber Tönen und Rhythmen öffnen, die auf den ersten Lauscher vielleicht etwas seltsam wirken, um aus dieser kommerziell-ausbeuterischen Kuppel der Popmusik im Truman-Burbank-Stil fliehen zu können. Aber es zahlt sich aus.

Ich bin gespannt, wie sich diese Geschichte mit Salvat und Sony weiterentwickeln wird, denke aber, dass wir von dem Jungen noch einiges hören werden. Und diese Marketingtechnik könnte in Zukunft auch öfter angewendet werden. Als Optimierung dieser Strategie kann ich nur vorschlagen, beim nächsten Coversong in der Werbung auch einen Originalsong eines Interpreten zu wählen, der ebenfalls im eigenen Label unter Vertrag steht. Dann würde man durch die Win-Win-Triangel gleich dreifach profitieren, liebe Musikgiganten.

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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:56

fischundfleisch

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