Im Kino läuft mit Exodus: Götter und Könige gerade eine weiteres Machwerk aus der Reihe der Bibelverfilmungen, die wohl dank der langsam verebbenden Popularitätswelle moderner Verwurstungen des mythologischen Stoffes der griechisch-römischen Antike scheinbar wieder im Kommen sind. Diesmal geht es um den Auszug der Israeliten aus Ägypten inklusive Meeresteilung und Gebotstafeln. Die im Alten Testament beschriebenen zehn Plagen eignen sich natürlich hervorragend, um sie im Kino mit Hilfe aufwendiger Animationen, übertriebener 3D-Einstellungen und pseudohistorischer Darstellungen auf die voyeuristischen Flackerbrillenträger loszulassen, die die nächste visuelle Bespaßung suchen.
Eigentlich wollte ich ja gar nicht mitgehen, als mein Vater, der Gladiator zu seinen absoluten Lieblingsfilmen zählt (eh klar, der Film ist ja eine einzige Allegorie männlicher Konkurrenz- und Durchsetzungsvorstellungen), meinen Bruder und mich einladen wollte. Bei Blockbustern muss ich wirklich nicht alles sehen, was mir auf der Außenfassade des Lichtspieltheaters in Form großer, überladener Plakate entgegenspringt, von denen aus männliche Hünen meine wahnwitzigen Dominanzvorstellungen oder weibliche Retuschemodel meine sexuellen Triebe und Eroberungsphantasien aus dem Unterbewusstsein hervorlocken, aktivieren und magnetisch mit dem Kinositz verbinden wollen. Und die Münzen in meinem Börserl dadurch natürlich mit der Kinokasse. Für ganz so naiv will ich mich, auch wenn ich sicher bereits mehrere Male unbewusst darauf reingefallen bin, nicht halten und so kommt es, dass ich Transformer abseits von Uri Geller bisher nur davon kenne, dass das Auto für ein zu lange in die Sommernacht hineinreichendes Beachvolleyballspiel in einen Musik spielenden Scheinwerfer umfunktioniert wurde, so kommt es, dass die unzähligen Schüsse, die jede Woche in einem neuen Actionstreifen mit einer unglaublich schlechten Präzision abgegeben werden, von mir ungehört im Kinosaal verhallen und es selbst ein Brad Pitt nicht schaffen wird, mich mitten in den Schusswechsel eines Panzerkampfes mit bunter Leuchtmunition zu zerren, der weder den einzigen grandiosen Kriegsfilm Saving Private Ryan noch die Laserschlachten aus Star Wars überbieten werden kann. Auch nicht im x-ten Versuch.Zudem hege ich noch immer Ressentiments gegen Regisseur Ridley Scott, der in den letzten zehn Jahren ohnehin bewies, dass er ziemlich überschätzt ist, und darüber hinaus mit dem eher durchschnittlichen Prometheus die Pläne für die Verfilmung der Mountains of Madness auf Eis gelegt hat.Nachdem ich aber absoluter Christian Bale-Fanboy bin und Aaron „Yo, B*tch!“ Paul bereits super fand, als er seine Geldscheine noch nicht aus dem Autofenster werfen konnte und sie durch kleinere Rollen in Musikvideosverdienen musste, ließ ich mich nach einem Blick auf den Cast doch überreden. Auch weil der großartige Ben Kingsley – wie sollte es anders sein – einen Platz in der Bibelverfilmung fand.
Und es war gar keine schlechte Entscheidung. Natürlich musste man sich auf den moralischen und historischen Stumpfsinn einstellen, der einerseits durch extrem inszenierte Spannungsbögen und erstaunliche Effekte von den Schwächen des Filmes ablenken wollte, andererseits diese aber so unverschämt präsentierte, dass der typische Durchschnittsbürger, der noch nie von Voglers Heldenreise oder anderen gebräuchlichen Hollywood-Konzepten gehört hat, beim Verlassen des Saales genug Gesprächsstoff hatte, um darüber zu lästern, was der Film nicht alles richtig oder falsch gemacht und welche Muster er zum wiederholten Male wie alle anderen Filme durchgekaut hatte, und dadurch auch für die nötige Mundpropaganda sorgt, um weitere potentielle Besucher zu erreichen. Aber abseits davon fand ich den Film, der zahlreiche schlechte Kritiken bekam, eigentlich ganz in Ordnung. Besonders die 3D-Umsetzung hat mich fasziniert. In letzter Zeit ärgere ich mich immer mehr, wenn ich den 3D-Aufpreis für ein bisschen Faszination in den ersten zehn Minuten der Vorstellung gezahlt habe, denn danach gewöhnt man sich viel zu schnell an die durchgängigen, vorgetäuschten Tiefen. Die räumlichen Illusionen, die man im ersten erlebten 3D-Film noch mit der Hand zu ergreifen versuchte, wirken mittlerweile wie Projektionen hinter einer Glaswand und man freut sich nicht unbedingt viel mehr darüber, als wenn sich ein Fisch ganz weit nach vorne, an die Glasscheibe heranwagt, wenn man ein Aquarium beobachtet.In Exodus ist es allerdings anders. Das 3D-Konzept erweist sich gerade in Verbindung mit den altägyptischen Monumenten, Tempeln und Pyramiden als genial. Hier fühlt man sich, als wäre man selbst der Fisch, der sich mit der fehlenden Nase gegen eine Vitrine in einem historischen Museum presst. Nur, dass sich dort im Schaukasten drinnen dann eine ganze Geschichte abspielt. Wenn man Mosche oder Ramses auf ihren Wegen durch die prachtvollen Säulengänge visuell begleitet, hält man reflexartig die Luft an, um sich selbst nicht daran zu erinnern, dass man hier eigentlich nur Besucher in einer romantischen Darstellung einer fremden, längst vergangenen Kultur ist.
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Aber ich schreibe diesen Artikel nicht, weil ich über den Film berichten will. Wer will, kann ihn sich ansehen und selbst urteilen. Wer unsicher ist und nicht unbedingt in das Kino möchte, sollte sich nicht von mir überzeugen lassen, denn so viel verpasst er auch nicht. Als im Vorfeld des Films bei uns allerdings das Thema aufkam, wie viele Plagen es denn eigentlich laut Bibel gab und was die Ägypter denn eigentlich alles durchmachen mussten, fing ich an zu recherchieren und stieß auf ganz interessante Informationen, vor allem zur historischen Erklärung des biblischen Stoffes. Das interessiert mich persönlich schon ziemlich, da ich die Bibel bis heute nicht recht gut in mein Weltbild einordnen kann.Natürlich glaube ich an die ganzen mythologischen Inhalte, Wunder und Gottesbegegnungen ebenso wenig, wie ich an die Existenz von Drachen oder Tarnkappen glaube, nur weil darüber im Nibelungenlied berichtet wird und da letzteres ein gutes Jahrtausend später geschrieben wurde, sinkt für mich die Glaubwürdigkeit der Bibel mit dieser Zeitspanne exponentiell. Ich halte das Buch der Bücher für ein über die Zeit überarbeitetes und verstricktes Sammelsurium alter Volksgeschichten, kollektiv tradierter Erzählungen und Lehren, ich halte es für eine frühe Betaversion der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Aber ich habe längst aufgehört, die Bibel als Märchenbuch anzusehen. Ich denke, rein erfundene Geschichten hätten nie das Potential, in dieser Form so lange bewahrt und erhalten zu bleiben. Keine Gruppe moderner Autoren wäre in der Lage, eine Geschichte zu erfinden, die so zu begeistern weiß, dass sie gerne über Jahrhunderte erzählt wird und vor allem so einen Kult entwickelt. Und wahrscheinlich auch keine Autoren der Vergangenheit. Daher bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass die Erzählungen in der Bibel (mit denen ich mich sonst aber eigentlich selten beschäftige) auf wirklichen historischen Gegebenheiten basieren und dann mit allerlei halbwahren Geschichten, Berichten, See- und Zimmermannsgarn verbunden worden sind. Ein realer historischer Kontext muss doch gegeben sein, damit diese phantastischen Geschichten von so vielen Leuten akzeptiert worden waren und Fuß fassen konnten. Selbst bei so abergläubischen Menschen, wie sie damals lebten.
Bei den göttlichen Plagen (die im Film glücklicherweise so dargestellt werden, wie sie unbeschönigt zu betrachten sind: als rachsüchtige Strafe eines parteiischen Gottes) wollte ich wissen, wie weit hier der Stand der Forschung ist. Wie kann man es sich erklären, dass sich der Nil (blut)rot gefärbt hat? Wie kann man es sich erklären, dass über Nacht der Erstgeborene in jeder Familie gestorben sein soll? Oder ist das doch alles nur frei erfunden und aufgrund generationsübergreifender Legenden niedergeschrieben worden? Ein Blick auf die wissenschaftliche Erklärung war faszinierend.
Zur Erinnerung für alle, die nicht das Glück(?) hatten, in der Kindheit zumindest ein bisschen religiös erzogen worden zu sein. Die zehn Plagen, die JHWH über die Ägypter verhängt hatte, weil sie die Israeliten nicht gehen lassen wollten, waren:
1.Blut im Nil. Das Wasser wurde sieben Tage lang ungenießbar.
2. Froschplage. Quak.
3. Stechmücken. Und keine Salbe.
4. Stechfliegen (Bitte fragts mich nicht, was da der Unterschied ist. Bin weder Theo- noch Biologe).
5. Viehpest.
6. Geschwüre.
7. Hagel. Und keine Versicherung.
8. Heuschrecken. Und keine Gottesanbeterinnen.
9. Dreitägige Finsternis.
10. Tod aller Erstgeborenen.
Die Wissenschaft sieht die realistische Möglichkeit, dass die ersten neun Plagen tatsächlich in dieser Reihenfolge als Kettenreaktion einer ökologischen Katastrophe vor langer Zeit eintrafen. Hierfür gibt es zwei Ansätze. Der eine basiert auf natürlichen biologischen Veränderungen, der andere Ansatz schiebt einem Vulkanausbruch zu dieser Zeit die Verantwortung zu.
Der rot gefärbte Nil lässt sich so etwa durch eine plötzliche und enorme Verbreitung der Algenblüte erklären, die ein Gewässer schnell grün, in manchen Fällen auch blau oder eben rot färben kann. Dabei produziert sie so viel Gift, dass es das Wasser verseuchen könnte. Auch heute färbt die rote Tide noch regelmäßig Stellen vor der Küste Dubais oder Abu Dhabis. Meistens muss daraufhin sogar der Strand gesperrt werden, so z.B. 2009 passiert. Die Vulkantheoretiker erklären sich die Verfärbung hingegen mit rotem Bimsstaub, der bis nach Ägypten getragen wurde.
Durch die Verseuchung des Nils wurde das sensible ökologische System aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Tiere im Nil starben und die, die auch an Land leben konnten, flohen. Zudem kann auch saurer Regen vom Vulkanausbruch dazu beigetragen haben, dass die Frösche den Seuchenherd verließen.
Durch das Fischsterben und die Amphibienflucht gab es für die lästigen Stechmücken und -fliegen keine natürlichen Feinde mehr an ihrem Nistplatz, weshalb sie sich ungestört verbreiten konnten und dem Menschen schon einmal das Fürchten lehrten, die Basis dessen injizieren konnten, was sich später zur Belonophobieentwickeln sollte.
Auch die Viehpest und die Geschwüre könnten eine weitere Folge dieser Entwicklungen gewesen sein (so ein ökologisches Ungleichgewicht ist schon etwas Arges, vielleicht sollten wir halt doch einmal mehr für die Umwelt tun), da die Stechviecher natürlich mit Leichtigkeit Krankheiten übertragen konnten. Auch dürften viele Ägypter das verseuchte Nilwasser (in der Hoffnung, eine neue Geschmackssorte vorzufinden) getrunken haben.
Der Hagel könnte hingegen kompletter Zufall gewesen und nicht von diesen vorhergegangenen Ereignissen verursacht worden sein. Unwahrscheinlich ist diese Plage jedoch nicht, da es in dieser Klimazone zu dieser Zeit öfters hagelte. Gerade früher konnte so ein Hagelgewitter eine nicht zu unterschätzende Katastrophe für eine frühe Hochkultur gewesen sein. Die Theorie, die den Vulkanausbruch auf einer griechischen Insel als Auslöser sieht, würde aber auch den Hagel als logische Schlussfolgerung zulassen.
Heuschreckenschwärme waren meistens eine noch größere Katastrophe. Auch wenn man sich das heute nicht mehr so vorstellen kann, handelte es sich dabei wirklich um riesige Insektenmassen, die alles kahl fraßen. Sogar im Mittelalter war der Heuschreckenschwarm noch eine gefürchtete Plage. Auch die Heuschrecken konnten vom Fisch- und Amphibiensterben profitieren und sich drastisch vermehren. Ein Vulkanausbruch hätte eine Migration im Tierreich auslösen können.
Auch wenn es unglaublich klingt, aber scheinbar konnten die Heuschreckenschwärme so groß ausfallen, dass sie sogar den Himmel verdunkelten. Das könnte die Finsternis erklären. Wahrscheinlicher (oder zumindest vorstellbarer) ist aber, dass die Vulkanasche das Sonnenlicht verdeckte. Auch 500 n. Chr. wird von einer monatelangen Dunkelheit berichtet, die wohl von einem Supervulkan verursacht worden war. Selbst 1816 gab es in Teilen Amerikas und Europas ein furchtbar kaltes und dunkles Jahr, das Jahr ohne Sommer.
Ein Vulkan würde somit alle bisherigen neun Plagen erklären oder zumindest in Zusammenhang bringen. Auch das natürliche Verrutschen des ökologischen Gleichgewichts ist etwa durch die Algentheorie vorstellbar. Der Film selbst karikiert diese unglaubliche, aber wissenschaftlich untermauerte Kettenreaktion ganz gut, indem der Berater Ramses versucht, eben diesem die Zusammenhänge zwischen den Katastrophen zu erklären, und dabei natürlich auf Unverständnis stößt. Nun kommen wir aber zu Plage Nummer 10, dem Tod der Erstgeborenen. Und hier stehen wir mit logischen Erklärungen wohl an. Sollte man zumindest denken. Denn neuere Forschungen liefern auch hier spannende Erklärungsansätze.
Eine sehr einfache, aber nicht unbedingt wasserdichte Theorie ist, dass Kinder von dem möglichen Vulkanausbruch einfach stärker betroffen waren. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Tod der Erstgeborenen aufgrund derer wichtigen Stellung einfach mehr betrauert wurde und somit mehr Beachtung fand, was sich dann auf die Erzählungen ausgewirkt haben könnte. Auch eine religiös-symbolische Interpretation ist möglich, nämlich dass die Erstgeburt des Bösen mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden sollte – eine damals bekannte Redewendung.
Eine schlüssigere Theorie lieferten Marr und Malloy in den 1990er Jahren. Da es früher üblich war, dass sowohl beim Menschen als auch beim Tier der Erstgeborene die erste und größte Portion beim Essen bekam, vermuten die Wissenschaftler, dass ein giftiger Schimmelpilz für den Tod gesorgt haben könnte, der an der Oberfläche der gelagerten Lebensmittel eventuell dadurch entstanden war, dass das feuchte Getreide durch die Dunkelheit nicht trocknete. Da die Israeliten andere Essensrituale und Hygienevorstellungen hatten, könnten sie daher nicht so sehr davon betroffen gewesen sein wie die Ägypter.
Diese wissenschaftlichen Perspektiven sind ein sehr interessanter rationaler Ansatz zu der dramatischen Bibelstelle, der sicherlich auch für die heutige Umweltdebatte relevant wäre. Fehlt nur noch die Teilung des Meeres, die im Anschluss folgte. Unmöglich, das zu erklären? War es hier wirklich Gott, der in Moses Stab gefahren ist und das Meer mit einem Finishing Move gespalten hat, der jede Pokemonattacke alt aussehen und Chuck Norris erblassen ließe? Nein, auch hier gibt es mittlerweile logische Ansätze. Der eine, dass sich das Meer gar nicht geteilt hatte, sondern durch heftige Orkane so verweht worden war, wodurch die Menschen über eine besonders flache Stelle wandern konnten, wurde auch im Film teilweise so umgesetzt. Aber auch eine richtige Meeresteilung, bei der ein Windzug das Wasser nach rechts und links gedrängt hatte, sodass es sich meterhoch auftürmte, ist aus heutiger Sicht möglich. Allerdings nicht im Roten Meer, wie es bisher angenommen wurde, sondern an einer anderen Stelle. Das schließt die entsprechende Bibelstelle aber nicht aus.
Was man im Endeffekt wirklich glauben will, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Natürlich bedeutet die Wissenschaft nicht immer nur zu wissen, sondern auch zu glauben. Meiner Meinung nach ist dieser Glaube aber fundierter als die meisten anderen und ich richte mich lieber nach rationalen Erklärungsansätzen als nach über Jahrtausende überlieferten Erzählungen. Spätestens seit ich das erste MalStille Postgespielt habe.
Einen guten Rutsch!