Zugegeben, die Mathematik kann durchaus langweilig sein. Wenn in einem selbst keine Motivation zur Lösung mathematischer Formeln oder Probleme existiert, wird man auch schnell an diesen scheitern, da es dafür oft notwendig ist, sich ausführlich mit allerlei Theorien, Axiomen und Regeln zu beschäftigen und rationale Denkvorgänge zu schulen. Ist man dazu nicht bereit, stößt man oft an seine Grenzen und dann wird Mathematik einfach langweilig. Meistens passiert das in irgendeiner Schulstufe, ab der man dann nur noch aus extrinsischen Beweggründen heraus lernt.Allerdings habe ich auch schon viele Leute kennen gelernt, für die Mathematik wirklich ein Hobby oder gar eine Leidenschaft ist. Leute, die gleich drei Schritte auf einmal im Kopf vollziehen, bevor sie das neue Zwischenergebnis notieren. Leute, deren Augen glitzern, wenn sie von ihrem liebsten mathematischen Beweis, etwa dem der Irrationalität der Quadratwurzel aus 2, schwärmen. Leute, die einen Spielwürfel in ihren Vorstellungen gleich zum Tesserakt ausbauen und vor ihrem inneren Auge rotieren lassen, während er für uns ein sechsseitiger Gebrauchsgegenstand bleibt, der uns unsere Zukunft in irgendeinem belanglosen Gesellschaftsspiel weist. Solche Mathematikbegeisterten gibt es aber tatsächlich, deren intrinsische Motivation so stark ist, dass sie sich ein Leben lang damit beschäftigen. Oft auch um einen hohen Preis, denn nicht selten kann man beobachten, dass diese Personen ihre mathematischen Erkenntnisse mit einem großen Stück ihrer sozialen Kompetenzen bezahlt haben. Was unter anderem auch dazu beiträgt, dass viele der MathematiklehrerInnen an unseren Schulen pädagogische Nackerbatzerl sind.

Dabei gäbe die Mathematik durchaus viel her, das auch uns interessieren und verwundern könnte. Ein Beispiel möchte ich heute vorstellen, nämlich das berühmte Ziegenproblem. Dabei handelt es sich um ein berühmtes paradoxes Dilemma aus der Wahrscheinlichkeitstheorie, das durch eine Publikation von Marilyn vos Savants, der Frau, die für einige Jahre als Person mit dem höchsten je gemessenen IQ galt, 1990 berühmt wurde und seitdem viele renommierte schlaue Köpfe zur Verzweiflung brachte. Das Ziegenproblem (auch: Drei-Türen-Problem oder Monty-Hall-Problem) lässt sich zwar nicht direkt auf unseren Alltag anwenden, zeigt uns aber, wie sehr wir Menschen uns oft beim Einschätzen von Wahrscheinlichkeiten täuschen können. Und Wahrscheinlichkeiten spielen immerhin nicht nur bei Glücks- oder Gesellschaftsspielen eine Rolle, sondern in unserem ganzen Leben. Auch wenn sie manchmal mehr und manchmal weniger greif- und berechenbar sind.

Die Problemstellung ist folgende: Stellen Sie sich vor, Sie sind in der bekannten deutschen Gameshow Geh aufs Ganze!, Sie wissen schon, das mit dem Zonk (das Problem ist an das amerikanische Original Let’s Make a Deal angelehnt und wurde deshalb auch nach dessen Moderator Monty Hall benannt). Sie stehen vor drei Türen und dürfen sich für eine entscheiden. Dahinter befindet sich ein Traumpreis (zB ein Auto) und hinter den anderen beiden Türen je ein Zonk (eigentlich eine Ziege, daher Ziegenproblem), der Sie natürlich für Ihre falsche Entscheidung auslachen wird, sollten Sie ihn wählen.Sie entscheiden sich beispielsweise für Tor 1, doch der/die ModeratorIn öffnet zuerst ein anderes Tor mit einem Zonk, zum Beispiel Tor 3. Jetzt sind nur noch die ersten beiden Tore verschlossen. Hinter einem wartet Ihr Auto, hinter dem anderen die rot-schwarze Stoffmaus. Der/die neutrale(!) ModeratorIn versucht nun, Sie von Ihrer Wahl abzubringen und bietet Ihnen an, auf Tor 2 zu wechseln. Sollten Sie dieses Angebot eingehen? Oder bei Tor 1 bleiben? Was meinen Sie?

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Überlegen Sie kurz.

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Fast 90% aller Befragten würden bei ihrer ursprünglichen Wahl, also zum Beispiel Tor 1 bleiben, weil angenommen wird, dass die Chance, dass hinter der Tür der Zonk oder das Auto wartet, bei 50:50 liegt. Immerhin sind ja nur noch die beiden da. Das ist allerdings falsch! Sie sollten unbedingt und in jedem Fall zu Tür 2 wechseln, da das Auto höchstwahrscheinlich hier versteckt ist. Verwirrt? Kein Problem, wir sehen uns das gleich näher an. Bevor wir allerdings nach Erklärungsansätzen suchen, gehen wir einfach mal alle Fälle durch, denn davon gibt es eh nur neun, und sehen uns an, ob Sie bei einem Wechsel des Tores gewinnen oder verlieren würden.

Angenommen Sie haben Tor 1 gewählt, dann gibt es folgende drei Fälle.

Tor 1 (gewählt)   Tor 2    Tor 3       ModeratorIn öffnet     Gewinn bei Wechsel

Auto                   Zonk      Zonk          2 oder 3                          Zonk

Zonk                   Auto      Zonk          Tor 3                               Auto

Zonk                   Zonk      Auto          Tor 2                              Auto

In zwei von drei Fällen profitieren Sie also von einem Wechsel. Nur wenn Sie anfangs das Auto bereits gewählt hätten, würde Sie ein Wechsel logischerweise um Ihren Gewinn bringen. Selbiges lässt sich auch für eineWahl von Tor 2 ausführen.

Tor 1     Tor 2 (gewählt)  Tor 3     ModeratorIn öffnet        Gewinn bei Wechsel

Auto      Zonk                    Zonk     Tor 3                               Auto

Zonk      Auto                     Zonk      Tor 1 oder 3                      Zonk

Zonk      Zonk                     Auto      Tor 1                               Auto

Und auch falls Sie Tor 3 gewählt haben, greift dasselbe Schema.

Tor 1     Tor 2     Tor 3 (gewählt)  ModeratorIn öffnet        Gewinn bei Wechsel

Auto      Zonk      Zonk                     Tor 2                               Auto

Zonk      Auto      Zonk                     Tor 1                               Auto

Zonk      Zonk      Auto                     Tor 1 oder 2                      Zonk

In sechs von neun Fällen würden Sie also das Auto gewinnen, wennSie sich für einen Wechsel entscheiden würden. Nur in drei von neun Fällen würde sich ein Verharren aufder erstenAuswahllohnen. Somit verteilen sich die Chancen nach dem Öffnen von Tor 3 also nicht 50 zu 50 auf die verbleibenden Tore, sondern zu einem Drittel auf ihre ursprüngliche Wahl, unabhängig von der Tornummer, und zu zwei Drittel auf die Wechseloption, weshalb Sie immer einen Wechsel anstreben sollten, wenn Sie die höhere Gewinnchance besitzen wollen.

Deutlicher wird diese Verteilung der Wahrscheinlichkeiten, wenn man das Problem etwas anschaulicher darstellt.

Zu Beginn haben sie drei Optionen: Auto, Zonk, Zonk.

A Z Z

Die Chance, dass Sie am Anfang gleich das Auto erraten, liegt logischerweise bei einem Drittel. Wie wir vorhin bereits feststellen konnten, würde sich dann jeder Wechsel natürlich nicht rentieren.

A Z Z  --Tor öffnen-> A Z Z --Tor wechseln--> A Z Z

(A Z Z  --Tor öffnen-> A Z Z --Tor wechseln--> A Z Z)

Die Chance, dass Sie zu Beginn eine Ziege erwischen, beträgt gleich zwei Drittel, da ja zwei Ziegen/Zonks/Zonke im Spiel sind. Hier würden Sie aber immer von einem Wechsel profitieren.

A Z Z  --Tor öffnen-> A Z Z --Tor wechseln--> A Z Z

A Z Z  --Tor öffnen-> A Z Z --Tor wechseln--> A Z Z

Es ist schnell beweisbar, dass es tatsächlich so ist. Die großen Debatten, die um dieses Ziegenproblem herum entstanden sind, drehten sich auch nicht um die scheinbare Paradoxie der Lösung, sondern um die Darstellungsform, um es auch mathematisch nicht versierten Personen zugänglich zu machen. Zudem wurde immer die Rolle des/der ModeratorIn diskutiert, da er/sie ja nicht unbedingt ein Tor öffnen muss, bzw. zu einer „Lieblingstür“ tendieren kann, wenn zwei Optionen offen bleiben. Für diese kurze Erläuterung des Problems soll allerdings angenommen werden, dass der/die ModeratorIn immer eine Tür mit einem Zonk öffnet und bei zwei offenen Optionen immer mit gleicher Wahrscheinlichkeit eine auswählt.

Warum erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für die zweite Tür jetzt aber auf zwei Drittel? Wie kann man sich das logisch erklären und nicht nur mathematisch-praktisch?

Hierfür wollen wir einen Blick auf ein ähnliches Problem werfen, das genau dem Muster des Ziegenproblems entspricht: Das Gefangenenparadoxon.

Hier finden wir diese Ausgangslage: Drei Gefangene sind zum Tode verurteilt, doch da zeigt sich die Regierung gnädig und wählt eine/n von ihnen durch ein Losverfahren aus, der/die nicht sterben müsse. Die drei Gefangenen wissen von ihrer Chance, aber nicht, wer der/die Glückliche ist. Gefangene/r A ist aber wortgewandt und überredet eine/n WächterIn, ihm/r zumindest zu sagen, wer von seinen Mitgefangenen definitiv hingerichtet wird. Sollte B begnadigt werden, soll ihm/r der Tod von C bestätigt werden. Ist C der Glückspilz, soll ihm/r gesagt werden, dass es Gefangene/n B trifft. Und sollte er/sie selbst, also A, doch leben dürfen, soll der/die WärterIn eine Münze werfen und irgendeine/n der beiden anderen sagen. Am nächsten Tag wird A offenbart, dass C nicht begnadigt wird. Ob eine Münze geworfen wurde oder nicht, weiß A natürlich nicht.A lehnt sich dennoch zufrieden zurück, da er/sie die eigenen Überlebenschance von einem Drittel auf 50 Prozent gestiegen sieht. Dem/r Gefangenen B, im selben Gefängnistrakt sitzend, berichtet A von der List und erzählt, dass C definitiv nicht begnadigt wird. Daraufhin lehnt sich B entspannt zurück, da er/sie die eigenen Überlebenschancen von einem Drittel auf zwei Drittel gestiegen sieht. Wer von den beiden schätzt seine Lage richtig ein?

Wenn Sie das Ziegendilemma oben verstanden haben, erkennen Sie natürlich gleich, dass die Chancen für die beiden Inhaftierten natürlich nicht 50:50 stehen, sondern wie in der Gameshow 2/3 für die Person, die nicht Ausgangspunkt des Problems war, also für Gefangene/n B. Hier wird nicht das Tor gewechselt, sondern die Perspektive, das Ergebnis bleibt aber dasselbe.

Dieses Problem wirkt besonders paradox, weil man es oft falsch interpretiert und zu der Schlussfolgerung kommt, dass derjenige, der zuerst fragt, die schlechteren Chancen hat. Das stimmt allerdings nicht, da alle Gefangenen zu Beginn ja eine Chance von einem Drittel haben und sich diese Chance auch nicht erhöht. Es muss ja nicht unbedingt C sterben, es kann genauso B oder A erwischen. Lediglich die Chance des/r zweiten Verbliebenen erhöht sich nach der Offenbarung.

Anhand dieses Problems könnte man auch einen logischeren Ansatz versuchen. Gehen wir einfach von hundert Personen aus, von denen nur eine begnadigt wird. Person A fordert die Nennung von einigen anderen Personen, die sicher sterben werden. Wir haben hier zwei Mengen. Einerseits Person A mit einer Überlebenschance von 1% und die 99 anderen. Die Chance, dass in dieser großen Menge die begnadigte Person zu finden ist, liegt bei 99%. Wenn A durch die Fragerei nun die Menge der möglichen Personen reduziert, erhöht er/sie nicht die eigenen Überlebenschancen, sondern verteilt die 99% der ursprünglichen Gegenmenge auf weniger Personen. Wenn A also zum Beispiel bereits von 49 Personen weiß, die definitiv sterben werden, liegt die Chance dennoch weiterhin bei 99%, dass jemand von den verbliebenen 50 Personen in der anderen Menge, der/die Auserwählte ist. Diese Chance verteilt sich durch die weitere Fragerei nach TodeskandidatInnen nur auf immer weniger Personen, bis am Ende nur noch zwei Leute da sind. A und Z. Die Chancen von A sind weiterhin bei 1% und die Chance, dass Z dem Tode entgeht, liegen dadurch, dass der/die Wärterin bei der Auswahl der gespoilerten Toten immer nur den/die Fragende/n und den/die Begnadigte/n (die ja nur mit einprozentiger Wahrscheinlichkeit deckungsgleich sind) vermeidet, bei 99%. Und genauso funktioniert das Ziegendilemma.

Also, sollten Sie einmal in diese groteske Situation einer längst abgesetzten Spieleshow kommen, wechseln Sie immer die Tür. Und sollten Sie zum Tode verurteilt im Gefängnis landen (was ich nicht hoffe), haben Sie keine Angst, nach begnadigten Mitgefangenen zu fragen, es verringert Ihre Chancen nicht. Solange Sie den WärterInnen gegenüber höflich bleiben. Und den offenbarten Tod eines/r Mitinhaftierten nicht zu frenetisch feiern.

Und sollten Sie bis jetzt noch immer nichts verstanden haben, machen Sie sich keine Sorgen. An diesem Dilemma stießen sich sogar Paul Erdos, einer der berühmtesten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, und viele weitere brillante Geister.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ziegenproblem

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