Vom Strauß, der in Österreich blau wurde und anderen Schreckgespenstern
Der blaue Dunst in der Halle verdichtet sich, der Alkoholpegel der Besucher steigt. Sie sind an diesem Aschermittwoch gekommen, um einem Politiker zuzuhören, welcher seinem Unmut freien Lauf lässt, gegen die Linken, die von den Roten gesteuerten Medien, die unverantwortliche Finanzpolitik, und überhaupt dieses Establishment, gegen die verführten Theaterwissenschaften-Studenten, die noch nie in ihrem Leben einen Schraubenzieher in der Hand hatten, gegen alles Mögliche.
Die Münchner Urgewalt
Was nach bekannten österreichischen Politerscheinungen wie HC Strache und Konsorten klingt, ist deutlich älter und deftiger; es handelt sich um niemand Geringeren als die des rhetorischen Sturmgeschützes Franz Josef Strauß, der trotz der Tatsache, dass ihm das Kanzleramt versperrt blieb, von der ÖVP-Schwesterpartei CSU bis heute eine halbgottartige Verehrung erfährt - "Landesvater" ist da noch ein harmloserer Ausdruck. Bis zu seinem plötzlichen Tod 1988 von seinen Gefolgsleuten angehimmelt und von seinen Gegnern nicht minder verachtet, zählt zu den bekannteren Aussprüchen des ehem. bayerischen Ministerpräsidenten die, dass rechts von seiner Partei kein Platz in der demokratiepolitischen Landschaft Deutschlands wäre.
Nun hat sich seit den Achtzigern vieles getan. Die Wende, die europäische Einigung, aber auch der von Sam Huntington prophezeite "Clash of Cultures", aber auch eine Finanzkrise hat man erlebt, und nun kann man den Blüten der neuen Rechtsparteien beim Austreiben zusehen. Dieser Kelch ist an unseren deutschen Nachbarn jahrelang vorübergegangen; erst als Angela Merkel, die in der Opposition noch ganz andere Töne anschlug, in einem gewieften Manöver der CDU einen gewaltigen Linksruck verpasste und so die SPD zwischen ihrer Union und den beiden Linksaußenparteien zerrieb, war der Boden bereitet für das Saatgut, dessen Früchte die "Bundesmutti" nun erntet: Das Vakuum, das von der NPD bis links der Mitte reicht, hat die AfD übernommen. Außer ein paar halbherzigen Versuchen, den Emporkömmling mit leeren Worthülsen wie "Rechtspopulisten" zu brandmarken, hält sich die Gegenwehr in Grenzen und hat den unangenehmen Nebeneffekt, dass auch die Unionsschwester, welche den Schwenk nicht mitgemacht hat und "Bayernpartei" geblieben ist, diese Prädikate über sich ergehen lassen muss.
Zwischen zwei Mühlsteinen
Hat eine solche Partei erst einmal Fuß gefasst, ist es unglaublich schwierig, sie wieder loszuwerden, und eine nicht minder schwer lösbare Aufgabe, sich zwischen ihr und dem anderen Ende zu profilieren. Das muss hierzulande auch die ÖVP schmerzlich erfahren, der der Spagat zwischen inhaltlicher Abgrenzung von der FPÖ und konservativer Politik so gar nicht gelingen mag - 11,2% für den VP-Präsidentschaftskandidaten Andreas Khol, der von den Kandidaten vielleicht das staatsmännischste Profil zeigte, legen hiervon ein bedrückendes Zeugnis ab. Das 2015 veröffentlichte Grundsatzprogramm, das verlautbarte, man sei eine "Partei der Mitte", ist sinnbildlich für das Dilemma; zwischen diesen beiden Mühlsteinen wird sie abgeschliffen, bis keine Ecken und Kanten, kein Charakter mehr vorhanden sind. (Längst notwendige) Vorstöße wie jüngst die des Kurz/Mikl-Gespanns bringen hierbei genau gar nichts und werden beim Sezieren der nächsten schwarzen Wahlniederlage von Filzmaier und Konsorten dann mit dem Phrasenschwein abgestraft: Der Wähler gehe eben zum Schmied und nicht zum Schmiedl.
Geht man dieser konservativen Erosion auf den Grund, kommt man an Jörg Haider nicht vorbei - und ist baff ob der Tatsache, wie leichtfüßig dieser die eigenen Strategien der Christlichsozialen gegen sie wandte, besonders DES Christlichsozialen. Die brilliante Rhetorik, die Bierzeltpolitik, die Art der Herrschaft in "seinem" Kärnten, dem nur noch der Status als Freistaat zum Glück fehlte, das Aufzeigen von Privilegien und das Auftreten als Vertreter des kleinen Mannes bei gleichzeitiger Klientelpolitik und korrupter Ader, all das hat Haider von Strauß ohne große Änderungen übernommen. Ebenso wie die Tatsache, dass er sich das größte Hindernis auf dem Weg nach oben selbst war. Nachdem nun Haider wie Strauß nach ihrem plötzlichen Tod beide unter der Erde schlummern (der eine eben zwanzig Jahre und acht Tage länger), haben ihre Nachfolger mehr oder weniger das Steuerrad übernommen. Ein Unterschied jedoch bleibt, und er ist entscheidend - die politischen Lager. Strauß, aus bravem katholisch-konservativem Milieu, durch die Kriegserlebnisse entscheidend geprägt, steht Haider gegenüber, das "Nazikind", das früh in den nationalliberalen Kreisen der Schüler- und Studentenverbindungen verkehrte.
Wie gelähmt
Für eine christlichsoziale Partei ist ein Pseudostrauß als Gegner ein Worst Case-Szenario. Und gleichwohl Strache die Kragenweite Haiders in tausend Jahren nicht haben wird, ist der gelegte Brand vorerst nicht zu löschen, die VP ist wie gelähmt in ihren Bünden, ihren Kammern, ihren Vereinigungen, kann nur mehr reagieren und nicht agieren. Es bleibt die alles entscheidende Frage - wie soll es mit dir weitergehen, liebe Volkspartei? Willst du in Lähmungserscheinungen verfallen, die GroKo aussitzen und dann erneut die Blauen in einer Regierung "entzaubern"? Willst du uns ein neues Schwarz präsentieren, eines, das gnadenlos realpolitisch agiert und sich als Mittler zwischen links und rechts einsetzt, als bunte Mischung aus Konservativen und den Liberalen? Oder willst du deine Selbstzerfleischung mit allen Mitteln zelebrieren, wie es die SPÖ vormacht? Immerhin, deren Berührungsängste gegenüber den Freiheitlichen sind dir ja fremd, das wird später sicherlich von Vorteil sein. Echte wertekonservative Politik, wie man sie vor dem Anbiedern an das linksliberale Meinungsprimat noch praktizierte, wird in jedem Fall mit einer so starken FP lange nicht mehr möglich sein. Der Zug, den Viktor Orbán mit Erfolg nahm, ist längst abgefahren und auch nicht mehr in absehbarer Zeit im Fahrplan vermerkt.
Wie lange sich der ÖVP-Kahn in Zeiten des Sturms trotz der schweren Schlagseite über Wasser halten kann, bleibt fraglich. Die Mannschaft täte gut daran, schnellstens eine neue Route auszutüfteln und diese wenn nötig auch gegen den Willen des Radelbrunner Kapitäns durchzusetzen. Ansonsten kann es nämlich sein, dass die Aussichten für die nächsten Jahre tiefschwarz anmuten.