Die Überalterung der europäischen Gesellschaften ist ein Problem. Mehr noch: Eine Katastrophe. Partei-, branchen- und schichtübergreifend hat man zu wissen, dass dem demographischen Strömungsabriss und der eingeleiteten Abwärtsspirale entgegengetreten, das Trudeln um jeden Preis ausgeleitet werden muss. Optimalerweise mit vereinten politischen und zivilen Kräften. Denn: Ein Europa, dessen Anteil an der Weltbevölkerung kontinuierlich sinkt, bedeutet zwingend ein geschwächtes Europa. So. Wer darin mit der Mehrheit übereinstimmt, sollte die Lektüre jetzt beenden.
Politik wäre nicht Politik, wüsste sie den allseits beklagten demographische Wandel nicht schamlos zu instrumentalisieren. Meist dann, wenn Asylromantiker und Sozialstaats-Euphoriker in vulgärhumanistischer Schwulst und gnadenlos den Neid-Trieb bedienend ihre Begehrlichkeiten unters Volk zu bringen suchen, wird er gerne – wie oben – mit Überalterung gleichgesetzt. Familien fördern heisst es dann. Die Jugend oder gar kommende Generationen. Personengruppen, die beim Anhäufen immer groteskerer Schuldenberge einer immer desolateren Währung durch dieselben Leute bestenfalls marginal interessieren. Die Tatsachen, dass jede bisher ergriffene politische aktiv natalistische Massnahme ausser horrenden Kosten keinerlei Wirkung gezeitigt hat und dass das einzige, was von staatlicher Seite vielleicht hülfe das wäre, dass man den entsprechenden Zielgruppen weniger von dem wegnähme, was ihnen gehört, finden im diskursiven Utopia des Gestalten-via-Aneignen nicht statt. Aber darum geht’s auch nicht.
Überalterung – obwohl unbestritten – ist eine Momentaufnahme und nur ein Aspekt des sich vollziehenden Wandels. Und vor allem: Sie beruht auf dem Fehlen von Jungen und nicht auf der höheren Lebenserwartung. Sie ist kein Dauerzustand, wie man uns weismachen will. Wohl ist davon auszugehen, dass sie sich weiter akzentuieren wird. Zu ignorieren indes oder unerwähnt zu lassen, dass in ungefähr 20 Jahren im selben Szenario Tausende Altenpfleger neue Jobs werden suchen müssen und Altersheime ihre Pforten schliessen, weil die Schuldigen der Überalterung gestorben sein werden, grenzt an Betrug. Kombiniert man dies mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern, die morgen den Trend umkehren könnten, heute verhütet oder abgetrieben werden, liegt der Schluss nahe, dass in der Zukunft von konstant kleineren Bevölkerungszahlen auszugehen ist. Katastrophe? Jawohl – jeder scheue Fingerzeig in Richtung einer natürlichen Entwicklung, einer sich spontan anpassenden freien Wirtschaft, mehr und besserer Arbeitsplätze oder gar sich vergünstigender Güterpreise aufgrund sinkender Nachfrage, wird als „blanker Zynismsmus“ diskreditiert.
An diesem Punkt entpuppt sich die Demographie-Panik als eine rein politische. Die Wirtschaft tangiert sie nur dort, wo deren Exponenten es sich via Lobby leisten können, sich der Käuflichkeit von Politikern und Parteien anzupassen und mitzunehmen, was kurzfristig am vorteilhaftesten ist. Mit Wertschöpfung im Sinn produktiver und planvollen Ver- und Vorsorgens hat dies nur am Rand zu tun und ist nur für wenige – unter ihnen die Polit-Clilque – gewinnbringend. Ausserdem: Wer via EU-Solidargemeinschaft und Geldpolitik vorauseilend und ohne Not kommende Generationen enteignet, kann nicht von sich behaupten, in erster Linie am langfristigen Wohlergehen der realen heimischen Wirtschaft und damit der heutigen und zukünftigen Bevölkerung interessiert zu sein. Wäre dem so, dann würde man anstelle Neid und Panik schürender Alarm-Rhetorik zuallerst jene Hürden aus dem Weg räumen, die vor der eigenen Haustür stehen: Man würde die gern genutzte Opfergruppe „Rentner“ entopfern. Angefangen damit, dass man nicht nur das sagt, was ins Wählerkauf-Konzept passt, sondern was ist: Dass die Menschen nicht nur älter werden, sondern gesünder älter werden und länger produktiv sind. Dass die Lebensarbeitszeit der Menschenn noch nie so kurz war wie heute, setzt man sie in Relation zur Lebenserwartung. Man würde das Rentenalter nach oben flexibilisieren, Lohnsysteme anpassen und gesetzliche Zwänge lockern oder aufheben. Aber das passiert nicht. Im Gegenteil: die Mär von den Alten, die den Jungen die Arbeitsplätze wegnehmen, ist den politischen Problemlösern eine der liebsten. Sie aufzugeben würde bedeuten, ein mittelfristig wachsendes Wählerpotential, das es sich in der Opferrolle bequem eingerichtet hat, aufzugeben. Fröhlich wird das „französische Paradoxon“ der höheren Lebenserwartung bei gleichzeitiger Senkung des Renteneintrittsalters via Menschenwürde gepflegt und – ergänzt um Rentenerhöhungs-Debatten – mitleidlos eingesetzt.
Und es wird genauso weitergehen. Der massenweise organisierte Zuzug in jeder Beziehung mit Gold gleichzusetzender Menschen, Staatsbürgerschaft à discretion, Wahlrecht ab Geburt und Teilhabe als Menschenrecht sind nichts anderes, als die in dieselbe Form passenden Manöver im politisch orchestrierten Bewegungskrieg zwischen Bezahlern und Bezügern und werden nicht vor Erreichen des Ziels eines Bedingungslosen Grundeinkommens Halt machen. Oder anders gesagt: Politik ist heute längst an dem Punkt, wo es nicht um Land, Leute und künftige Generationen, sondern nur noch um Machterhalt geht, den man sich mittels eines stehenden Heers, einer Streit- und Wahlmacht von Staatsabhängigen zu sichern erhofft. Der Wille hierzu ist total und totalitär, wie die zur Religion erhobene politische Korrektheit täglich neu und nachdrücklicher beweist. Sie schliesst einen faschistoiden Antirassimus (inklusive Feminismus und Gender-Mainstreaming) genauso ein, wie Meinungs- und Denkverbote, und gebietet, wie Wahlen es immer aufs Neue beweisen, über ein beträchtliches – auch Mehrheit genanntes – Heer von moralisch auf Schlapphut-Niveau runter-allimentierten, verängstigen und feigen Gläubigen.
Und einmal mehr stellt sich die Frage: Was tun? Eine realistische Möglichkeit kann sein, das zu kultivieren, was im moralischen Hoheitsgebiet von Bunteuropa und von links bis rechts zur Todsünde erklärt worden ist: Zynismus nach bester Wild’scher Art. Je blanker desto besser. Zynismus, der die Dinge benannt, wie sie sind und nicht, wie sie sein sollen. Zynismus, der sich dem lähmenden Umarmungsstaat entwindet und aufsässig, kritisch, irritierend und frech als politischen Wunsch entlarvt, was uns als Wirklichkeit verkauft werden soll.
Um Zyniker zu sein und der gottgleichen Obrigkeit ein diogenessches „Geh‘ mir aus der Sonne!“ entgegenzuschleudern, braucht es vor allem dies: Freiheit im Sinn innerer Unabhängigkeit. Freiheit, die sich jedem Diktat, jedem gegen oben gerichtetem Opportunismus und jeder ideologisch verbissenen und engstirnigen Grundsätzlichkeit verweigert. Kurz: Freiheit, von der keiner – egal, wo und in wessen Dienst er steht – Verbundenheit, Geld, Solidarität oder die Erfüllung von Pflichten erwarten kann. Viele und täglich mehr solch Mutiger die ohne Rücksicht auf Verruf und Verluste anrufen und anschreiben gegen den pseudohumanitären Kitsch eines knallharten Verteil- und Machtkampfes, gibt es längst.
Aber man kann noch weiter gehen. Die Voraussetzungen waren – demographischer Wandel sei Dank! – nie besser. Im deutschsprachigen Raum Europas handelt es sich bei 35 bis 40 Prozent der Haushalte um Einpersonenhaushalte. Weitere 25 bis 30 Prozent sind Zweipersonenhaushalte ohne Kinder. Natürlich nicht alle, aber immer noch Hundertausende von Menschen also, die nur für sich verantwortlich sind, unter deren Entscheidungen kein anderer leidet und die allein über die Grösse einzugehender Risiken bestimmen können. Und vor allem: Menschen, die der kommenden Generation auch ohne eigene Kinder ein echtes Erbe zu hinterlassen gedenken – jenes der Freiheit.
Man stelle sich vor, ein Teil davon entscheidet sich freiwillig dafür, die innere Unabhängigkeit, die auch zivilen Ungerhorsam mit einschliesst, um materielle Bedürfnislosigkeit zu ergänzen. Das Verweigerungs- und Irritationspotential einer solchen Gruppe, die ganz und gar frei, mit Witz, Selbstirionie, Wahrheit und Risikobereitschaft eindringt in den Luftraum sozialromantischer Soll-Träume und verlogener Alternativlosigkeit, könnte weder überhöhrt, noch übersehen werden. Wenn Leute ihr Vermögen – falls vorhanden – verstecken oder verschenken, Selbständige wo immer möglich schwarz arbeiten, Zwangsabgaben und Steuern nicht entrichten oder ganz einfach das Einkommen unter Existenzminimum drücken – jeder das, was er zu tragen bereit ist – kann der Staat nichts mehr holen, als die Person selbst. Wer dies mit einkalkuliert und entsprechend plant, stellt sich eine Aufgabe, die dem Vermögensaufbau früherer Generationen für die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder (was heute in Anbetracht von Negativ- bis Nullzinsen und Beschlagnahme-Phantasien der Politik nur bedingt Sinn macht), in nichts nach.
Wenn sich diese Menschen ausserdem lose oder persönlich, direkt oder indirekt verbinden, dann haben sie das Potential eines echten Korrektivs für Gegenwart und Zukunft. Jeder Schritt eines jeden, der sich dafür entscheidet wird via elektronische Medien kommuniziert und verbreitet. Ebenso jede Reaktion – sei es Drohung oder konkrete Massnahme – des sich wehrenden Staates.
Subversif, mutig, zukunfstzuversichtlich, dreist. Das Steuervieh, das sich erlaubt zu tun, was nur Jupiter erlaubt ist. Das – oder aber weiter wie bisher: rituell theatralisches Zelebrieren des demokratischen, unnützen weil realpolitsch wirkungslosen Hochamts – auch Wahlen genannt – zur Legitimation einer räuberischen, langfristig zerstörerischen und verlogenen Politik. Wir für die eigene Zukunft oder jeder gegen jeden.