Ein Paar, das hier in der Nähe wohnt, vergrösserte sein Grundstück durch den Kauf von zwei Hektar Land. Verkäufer war ein Bauer und Vertreter der chemischen Landwirtschaft: säen, düngen, runterspritzen, sähen, düngen, und so weiter, und so fort. Als die Leute ihr neues Land übernahmen, säten sie Rasen. Irgendeine robuste, problemlose Sorte. Resultat: Ausser Unkraut spross nichts. Der Boden war tot. Er ist es auch heute, nach sieben Jahren noch. Ohne die Stimulanz stärkster chemischer Produkte wächst dort nichts.
Das Wissen um dieses Beispiel ist in der Lage, die Freude über üppige Raps-, Weizen- und Sonnenblumenfeldern rundum massiv in Grenzen zu halten. Was da wächst, wächst nicht natürlich. Sie wissen, worauf ich hinauswill: Der DAX liegt bei 13’000 Punkten, der VDAX und VIX, die Angst-Indizes, schlittert von einem Tief ins nächste, der Dow Jones ist mit Volldampf auf der längsten Gewinnstrecke seit 20 Jahren unterwegs und die US-Börse wurde seit Amtsantritt von The Donald um 5,2 Billionen Dollar teurer. Blühende Landschaften allenthalben. Frank Meyer schlägt bei rottmeyer.de vor, Stier und Bulle zu Schutzheiligen der Armen zu erklären und rät jedem, allfälligen Pessimismus in eine alte Zeitung zu wickeln und irgendwo in einer dunklen Gasse zu entsorgen. So ähnlich jedenfalls. „Kommen Sie noch auf einen DAX mit rauf?“
Wo überdüngt wird, wächst, was wachsen soll. Vollbeschäftigung, volle Auftragsbücher, Gewinnaussichten, die, auch wenn man de facto noch nichts sieht, den Märkte die Freudentränen in die Augen treiben. Das Problem ist allerdings dasselbe, wie jenes der Neo-Bodenbesitzer hier in der Nähe: Lässt man den Dünger der Null- und Negativzinsen weg, lässt man Schuldner wieder mehr oder überhaupt zahlen für das Geld, das man ihnen direkt ab Druckerpresse in die Taschen stopft (zuvorderst in der Reihe stehen Staaten und Banken), dann wächst mit einem Schlag nichts mehr. Es kann gar nicht anders sein: Sich normalisierende, sprich: höhere beziehungsweise überhaupt vorhandene Zinsen bedeuten höhere Renditen und fallende Preise für Anleihen. Höhere Zinsen bedeuten weniger neue Kredite und in der Folge weniger schuldenbasierten Konsum, was eine Wachstumsbremse darstellt. Höhere Zinsen bedeuten, dass Menschen, Unternehmen und Staaten, die sich Kredite nur auf Niedrigst-Niveau leisten können, in die Bredouille geraten, ihre Kredite unter Wasser. Die perfekte Mixtur für einen neuerlichen perfekten Sturm. Höhere Zinsen bedeuten heute die grosse Wahrscheinlichkeit des Abrutschens in eine neue Finanzkrise. Fallhöhe massiv höher als 2000 und 2008.
Wer will das schon? Welche Regierung will solches riskieren? Warum sollte ein Bauer, solange irgendetwas wächst auf seinem Boden, auch wenn es immer weniger wird, ein Jahrzehnt Null-Wachstum hinnehmen, bloss, um des guten Gefühls der Normalität willen? Nachhaltigkeit sagen Sie? Künftige Generationen? Machen Sie Witze? Die nächsten Generationen werden dank uns irgendwann sowieso bei Null anfangen müssen. Rentner fordern höhere Renten auf Kosten ihrer Enkel. Es ist ihnen egal. Politiker kaufen ganze Wählerschichten mit dem Geld der nächsten Generationen. Es ist ihnen egal. Und Steuerzahler verpulvern ihr Geld für die Zinsen von Schulden, die für andere auf Kosten von Gewinnen, die noch nicht erwirtschaftet worden sind (und es möglicherweise auch nie werden), gemacht werden. Sie murren, aber am Ende zahlen sie immer noch. Als wär’s ihnen egal.
Fakt ist: Wer seine Ruhe haben will (auch wenn es eine trügerische ist), wer an der Macht bleiben will, wer den sogenannten Sozial-Staat in seiner heutigen Form beibehalten will, wer nicht bereits im nächsten Jahr einen neuerlichen Crash will, wer die seit dem Jahr 2000 schwelende Dauerkrise nicht mit einem Paukenschlag zu ihrem Ende kommen lassen will (was auch durch einen Krieg möglich ist, wie die Vergangenheit zeigt), der hat eigentlich nur eine Option: Weitermachen. Und es ist anzunehmen, dass, allen Ankündigungen von Bilanzverkürzungen und Normalisierungen zum Trotz beim kleinsten Anzeichen von Schwäche im System genau das getan wird von den Notenbanken. Die Märkte wissen das, rechnen damit und haben die symbolischen Schrittchen in Richtung Tapering längst im Preis.
Guter Rat ist teuer. Eine Möglichkeit: Nicht den Pessimismus, sondern die Hoffnung entsorgen. Sich etwas zulegen – beispielsweise Gold – das seinen Wert behält und ansonsten das Spektakel geniessen, den Märchen von Steuersenkungen, Bilanzverkürzungen und Haushalts-Disziplin lauschen und ansonsten das Rodeo von Könnern und Nicht-Könnern in Richtung Blow-off in Ruhe von der Seitenlinie aus betrachten. Wenn auch sonst nichts: Unterhaltung ist garantiert.