Es geht uns gut. Dem politisch und finanzpolitisch nebligen Dickicht, in dem unsere Regierungsdarsteller herumirren, zum Trotz immer noch. Den Ärmsten 20 Prozent der Menschen geht es hierzulande besser als den 20 Prozent der Reichsten vor 100 Jahren. An Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit leidet eine verschwindend kleine Teilmenge unserer Gesellschaft. Trotzdem fühlen sich viele, als wären sie nur provisorisch in ihrem gegenwärtigen Leben beheimatet. Als wäre das heute zur Verfügung stehende an Zeit und Geld und Möglichkeiten eine vorübergehende und unberechtigte Inanspruchnahme ihrer selbst durch die Umstände und ein anmaßendes Vorenthalten dessen, worauf sie in Wahrheit ein Recht hätten. Als wären Jetzt und Zurzeit nur bedingt freiwillig gelebt, weil nicht dem unscharfen Bild eines nicht näher definierten Gottesgnadentums entsprechend. Man leistet sich eine Wenn-ich-mal-groß-bin-Mentalität und bleibt bis 60 sowas wie das Kind. Mangelndes Wachstum und ausbleibendes Vorankommen sind naturbedingt. Das Leben wird reduziert auf lethargisches Wünschen und Warten, das sich in drei Worten zusammenfassen lässt: Recht auf Mehr.

Was dieses Mehr ist, bleibt oft ein Rätsel. Das Wie wird in selbstverständlicher Nonchalance von der eigenen Person und persönlichem Wirken abgekoppelt. Was bleibt, sind wehleidige utopische Visionen von etwas, das verdammt noch mal geliefert werden sollte. Egal woher.

Die schlechte Nachricht: Das Leben ist eine Zumutung. Das Leben ist ein Kampf. Dort sein zu wollen, wo kein Kampf ist, ist tot sein wollen. Wir drücken uns um die Aufgabe der persönlichen geistigen Kampfführung, wenn wir keine Ziele, kein Warum und kein Wozu für uns definieren. Oder wenn wir es zu delegieren versuchen. Was dann passiert, können wir rundum sehen: Der Staat positioniert sich selbst als Wegweiser, Sinnstifter und Glücksgarant, springt in die Bresche, die in Wahrheit das Vakuum ist, in dem wir ohne Grund und Sinn leben. Alle Politik zielt heute darauf ab, diesen Zustand infantilen Beanspruchens zu bewahren und zu befördern. Das Leben des Einzelnen wird dadurch nicht anders, schon gar nicht leichter oder besser; nur leichter zu lenken. Im Hintergrund läuft Krematoriumsmusik.

Es war Nietzsche, der sagte, wer ein Warum im Leben habe, der ertrage fast jedes Wie. Es ist eine unumstößliche Wahrheit. Wer für sich ein Ziel hat, ein Warum und Wozu gefunden, geprüft und definiert, der kämpft zuallererst auf der Basis eines bereits errungenen Sieges und erst dann um eine in der Ferne liegende Trophäe. Und vor allem: Er kämpft freiwillig – Freiwillige kämpfen länger und härter. Immer. Natürlich ist solcher Kampf kein Spiel. Aber er ist auch nicht die furchterregende und beängstigende Sache, als die er dargestellt wird. Es ist nicht der Sturm der Anarchie, in den wir ohne Karten und Messgeräte hinausgeworfen werden, wie alle Obrigkeit uns gerne glauben machen würde. Allerdings fordert er unser Bestes: Verstand, Vernunft, tätigen Willen, Verantwortung, Kraft, Ausdauer. Und das Akzeptieren der Tatsache, dass unsere Gefühle oft nicht mit den Erfordernissen unseres Warums übereinstimmen. Die Freude, wenn sie es doch tun, weil Geleistetes und Erreichtes dem Gewünschten entsprechen, ist mit nichts anderem vergleichbar. Keiner und nichts kann sie uns nehmen. Geben erst recht nicht.

Früher oder später stellt man sich freiwillig. Oder man wird vom Leben selbst gestellt. Je früher man sich die Frage stellt, als was für ein Mensch man sterben möchte, desto besser. Zurückblicken auf etwas, das sich in pubertärer Aufsässigkeit erschöpft hat, kann nicht wünschenswert sein. Als halbgares Dauerrebellentum verkleidete Unzufriedenheit auf der Suche nach dem nächsten Tempel zum Niederreißen auch nicht. Ebenso wenig unreifes Revoluzzertum, das in Wahrheit nur etwas sucht, woran es sich besser anpassen kann als das Gegenwärtige, oder einfach hoffnungslos neidendes Leiden am vermeintlich besseren Leben der anderen. Denn nicht mal Hoffnung gibt es gratis. Sie überfällt uns nicht wie ein Hormonschub. Erst im aktiven Herausrücken unseres Besten kann begründete Hoffnung sein. Alles andere ist leerlaufende Sentimentalität. Wir haben die Wahl: geistig unreif, stets neutral und ohne Chance auf Wachstum herumrutschen auf dem dünnen Eis gefühlter Wünsche, uns bauchoben und ohne Einfluss auf Richtung und Widerstand treiben lassen, oder aber uns auf den Weg machen zu dem, was wir uns zu wollen und wer wir zu sein entschieden haben.

Es wird sicher nicht einfach, im Gegenteil. Wir werden Angst kennenlernen und Sorgen. Zweifel und das Gefühl, gleich schachmatt gesetzt zu werden. Wir werden Fehler machen und Umwege, ermüden und stolpern. Es wird Tage geben, da werden wir uns das Warum im Minutentakt vorbeten müssen, uns daran hochziehen, um auf den Beinen zu bleiben, nicht angezählt zu werden. Wir werden Flüchtlinge sein, staatenlose Vier-Mann-Völker vielleicht, hungrige Eigenbrötler, geschlauchte Kämpfer. Abkürzungen gibt es keine. Die Hintertüren sind allesamt zu.

Die gute Nachricht nach Dürrenmatt: Das Mögliche ist ungeheuer. Auch heute noch. Wir können Jobs übernehmen, die wir nicht ausstehen können und die wir doch lieben und in denen wir doch Top-Leistung bringen werden, weil sie uns die Zeit kaufen, die wir brauchen, um Bücher zu schreiben und Bilder zu malen. Wir können unseren Speisezettel einschränken, Strom und Wasser sparen, die Wohnungstemperatur runterfahren, um anderes zu kaufen, Reisen zu ersparen oder zu lernen. Wir können weniger schlafen, um mehr zu lesen. Wir können in Dachkammern und Garagen ziehen, um Firmen zu gründen oder ein Studium zu finanzieren. Wir können TV- und Handy-Abonnements kündigen, um ungebundener zu sein. Wir können bei aller Liebe streng sein, Reibereien aushalten und Rebellion, um als Väter und Mütter unsere Kinder in ein Leben als starke, selbständige Menschen zu führen. Wir können sparen, um Vermögen zu machen, uns Träume zu erfüllen oder um weniger zu arbeiten. Wir können unseren Masterabschluss in den Schrank stellen und Häuser putzen, um dort zu leben, wo wir leben möchten. Wir können Krisen durchstehen, auch wenn es Jahre dauert, um Versprechen zu halten. Wir können Ausgrenzung und Beleidigung in Kauf nehmen, uns als Heimchen-am-Herd, Chauvinisten oder Rechte bezeichnen lassen, um aufrecht als Männer und Frauen in dem Leben zu stehen, das wir leben wollen, und nicht fremddefinierte PC-Zombies zu sein. Wir können geben von dem, was wir haben, um zu helfen oder einfach, um Freude zu machen. Wir können alles verkaufen, um bei Null anzufangen oder auf Wanderschaft zu gehen. Wir können weitermachen, egal, was andere sagen. Und wir können täglich das Richtige tun, auch wenn wir uns nicht danach fühlen. Kurz: Wir können leben. Frei sein. Niemals Opfer. Und wir können uns auch einfach mal genau das wünschen, was wir haben.

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Petra vom Frankenwald

Petra vom Frankenwald bewertete diesen Eintrag 21.01.2017 08:59:28

Silvia Jelincic

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