SüdwestPresse Ulm www.swp.de
Vielen Dank, Herr G., für diesen Kommentar, und es geht mir dabei nicht darum, daß ich den Geimpften die Lockerungen nicht gönne, sondern um das Grundsätzliche, daß Sie hier angesprochen haben:
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"An diesem Mittwoch will das Kabinett beschließen, wie viele und welche Grundrechte Geimpfte zurückbekommen.
Doch das kann nur der Anfang sein.
Die Politik sollte sich jetzt schon Gedanken machen, wann sie allen Bürgern ihre Grundrechte zurückgibt.
Werden die restriktiven Maßnahmen für alle aufgehoben, sobald alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot erhalten haben?
Oder, - wie es Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) kürzlich ins Spiel brachte - , sobald die "Gemeinschaftsimmunität" erreicht wurde?
Die Antwort kann nur lauten: Sobald jeder ein Impfangebot erhalten hat.
Ansonsten würde die Regierung uns alle von denen abhängig machen, die sich nicht impfen lassen wollen.
Das ist, um es ganz deutlich zu sagen, deren Recht als freie Bürger.
Nur:
Der impfwillige Teil der Bevölkerung, die Gastronomen, Heteliers, Künstler, Dienstleister und alle anderen, die unter den Lockdown-Maßnahmen leiden, können nicht von denen, die die nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen sehr guten Impfstoffe ablehnen, in Geiselhaft genommen werden.
Das würde die bereits in vielerlei Hinsicht gespaltene Gesellschaft endgültig auseinandertreiben.
Die Impfskeptiker handeln auf eigenes Risiko.
Wenn sie, trotz der Gelegenheit dazu, den Piks nicht wollen, müssen sie mit den Konsequenzen einer möglichen Ansteckung leben.
Alle müssen in dem Moment, in dem alle sich schützen konnten, ihre Freiheit zurückbekommen.
Reisen, Essen, ins Kino, Stadion und Theater gehen, Freunde und Familie mit so vielen Teilnehmern wie gewünscht treffen, all das muss dann ohne Einschränkungen drin sein.
Daß das derzeit nicht geht, läßt sich nur durch das Risiko, daß dadurch Unbeteiligte infiziert und krank werden und sterben können, rechtfertigen.
Die Rolle der Unbeteiligten ist dabei, das gerät schnell in Vergessenheit, die entscheidende, denn auf eigenes Risiko müsste ein "normales Leben" auch bei einem gefährlichen Virus möglich sein.
Freiheit bedeutet, sich möglicherweise schaden zu dürfen, solange dadurch niemand anders gefährdet wird.
Die Risikoabwägung im Leben ist eine sehr individuelle Entscheidung - und das muss sie möglichst schnell auch wieder werden.
Erstrebenswert ist die Herdenimmunität natürlich trotzdem.
Sie erhöht die Sicherheit für alle und insbesondere für diejenigen, die sich gerne impfen lassen würden, aber das aus gesunheitlichen Gründen nicht können.
Jede dann doch von der Wirkung überzeugte, zuvor impfskeptische Person ist ein Erfolg.
Aber es muss ein nachgeordnetes Ziel sein, ein Bonus.
Vor allem, da Schätzungen ber der Virusvariante B.1.1.7 von einem Bevölkerungsanteil von 80 Prozent ausgehen, der gebraucht wird, um Herdenimmunität zu erreichen.
Die Politik sollte endlich mal über den Tag hinaus handeln und schon jetzt frühzeitig diese Zielsetzung formulieren und klar kommunizieren:
Grundlage für die Rückgabe der Grundrechte an alle Bürger ist das Angebot der Impfung für alle."
leitartikel@swp.de
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Auch wenn ich dem Autor grundsätzlich zustimme, kam mir die Benutzung des Begriffs "Geiselhaft" in diesem Zusammenhang etwas gehässig vor.
Andererseits könnte gerade diese Formulierung verhindern, daß er gleich in die Querdenkerecke geschoben wird.
Denn die Gesellschaft befindet sich schon jetzt in der "Geiselhaft" der 100%-Sicherheit-Fanatiker.
Dies sehe ich immer wieder, wenn analog zu "Freiheit bedeutet, sich möglicherweise schaden zu dürfen, solange dadurch niemand anders gefährdet wird" das Argument "es gibt kein Recht darauf, andere zu infizieren" kommt.
Ich sehe es bei der Experten-Anhörung der Grünen, wo die Experten erwartungsgemäß dem NoCovid-Lager entstammen, und die grünen Politiker am nächsten Tag zu dem Schluß kommen, die beste Strategie wäre die Elliminierung des Virus.
Ich sehe es in der internationalen Studie, welche ebenfalls auf "elliminate" hinausläuft.
Und ich sehe es bei Forendiskussionen, und bei Kollegen, welche auf FFP2-Tragepflicht ringsum drängen.
Gesellschaftlich diskutiert wird es nicht, sondern darum herum geredet, weil die eine Seite skrupellos die Moralkeule einsetzt (NoCovid, sinngemäß: "momentane Corona-Strategie ist zynisch" ), und die andere Seite lieber an Verschwörungen glaubt, als sich einzugestehen, daß ein normaler Weg eben Menschenleben kostet.
Ich schätze mal, in den nächsten Monaten wird sich entscheiden, ob wir in Zukunft noch in Freiheit leben werden.