Rant eines Diabetikers über Blutzuckermessgeräte

Diesen Text habe ich 2013 als "Offenen Brief" in meinem Blog veröffentlicht - da er leider immer noch ziemlich aktuell ist, möchte ich ihn hier (geringfügig geändert und ergänzt) einem breiteren Publikum vorstellen

Liebe Hersteller von Blutzuckermessgeräten,

die nachfolgenden Zeilen sind unter der "To whom it may concern"-Prämisse zu sehen. Auf den einen von Ihnen werden sie etwas mehr, auf den anderen etwas weniger zutreffen – aber ich kenne aus meiner jetzt schon fast dreißigjährigen Karriere als Diabetiker keinen, für den sie vollkommen unzutreffend wären.

Jetzt, so vor dem Urlaub, gestatten Sie mir ein paar Fragen:

Sind Sie, jetzt im Jahr 2016, noch dazu bereit, im Hotel für die Computernutzung zu bezahlen? Was ist Ihnen dabei ein WLAN-Zugang wert? EUR 50 – 100 Euro pro Tag wären ok? Und was ist, wenn Ihnen das Hotelpersonal sagte, es wäre nur möglich, die Mails durch das Personal ausdrucken zu lassen. Undenkbar, oder?

Wie steht es mit der Handy-Nutzung? Roaminggebühren so von EUR 20,00 pro MB (nicht GB!) gingen die in Ordnung?

Wie lange hielten Sie einem Smartphone-Erzeuger die Treue, der Ihnen erklärt, eine Übertragung zwischen dem Telefon und Ihrem PC sei nur über Infrarot möglich und benötigte zudem ein Zusatzkästchen in der Größe eines Massivziegels, das natürlich zusätzlich (nur) in einer Apotheke zu einem ebensolchen Preis käuflich wohlfeil sei

Sehen Sie, so geht es uns jungen und junggebliebenen Benutzerinnen und Benutzern Ihrer Messgeräte in einem Jahr, in dem jedes Handy die Rechenkapazität der Apollo-Missionen um ein Vielfaches übersteigt.

Die Anbindung vieler Blutzuckermessgeräte an die Smartphones und PCs ist technisch nicht nur nicht State of the Art, sie ist nicht einmal vorsintflutlich, nein, sie ist prähistorisch.

Das Problem für uns Betroffene ist vor allem das, dass uns die Versicherungen und Krankenkassen nur eine beschränkte Auswahl an Geräten und vor allem Teststreifen lassen, was unsere Wahlmöglichkeit doch einschränkt.

Können Sie mir bitte die (technische!) Notwendigkeit dafür verraten, dass man viele Ihrer Geräte nur über proprietäre Schnittstellen anschließen kann, deren Adapter noch dazu sogar die Größe des Messgerätes selbst übertrumpfen?

Ich kann Smartphones (privat und beruflich) verschiedener Hersteller über einen Micro-USB-Stecker (EU sei Dank, nur mehr ein Kabel!) sowohl an den Laptop anschließen als auch über einen Stecker in der Wohnung und einen Adapter im Auto laden.

Sind Ihre Geräte wirklich so viel komplexer als die High-End-Riege von Apple über HTC und LG bis Samsung, sodass die Verwendung eines etablierten Standards unmöglich ist?

Welche Vorteile sehen Sie in einer Infrarot-Übertragung im Vergleich zu USB, Bluetooth oder WLAN?

Auf wirkliche Gründe, weshalb ich für die Übertragung meiner Messdaten noch extra zahlen und mit der Kirche ums Kreuz wandern muss, bin ich wirklich gespannt.

Von Messgeräten anno domini Zweitausendunddreizehn erwarte ich mir je nach Preis und Ausstattung folgende Merkmale:

- Anschluss und Laden des Geräts am PC/Laptop/Tablet mittels einheitlicher USB-Schnittstelle sowie Lademöglichkeit über USB,

- Direkte Datenübertragung über Bluetooth-Koppelung und/oder WLAN,

- Einheitlicher Standard der Handvoll Hersteller zum Übermitteln der Daten und zum Auslesen (z.B. eine XML-Spezifikation) sowie dessen Offenlegung gegenüber den Herstellern von Diabetessoftware gepaart mit Möglichkeiten zur Übernahme des Datenbestandes beim Wechsel des Geräteanbieters.

- Absprachen zwischen den Herstellern und Smartphone-Produzenten, um Geräte in einer Form anzubieten, die direkt als Adapter angeschlossen werden können. Hier gibt es bereits innovative Firmen. Die alten Platzhirsche könnten sich etwa an iBGStar und anderen ein Beispiel nehmen.

Kommen wir gleich proaktiv und präventiv zu ein paar Argumenten aus der beliebten Reihe "Das geht nicht und das haben wir immer schon so gemacht":

- Nein, die Patienten und Anwender sind nicht überfordert. Eine immer größer werdende Zahl der Typ-I-Diabetiker und auch der sich immer mehr in einen früheren Beginn verschiebenden Typ-II-Diabetiker sind mit Computern und Handys aufgewachsen und auf Du und Du.

- Nein, die Absprache zwischen konkurrierenden Unternehmen ist weder zu kompliziert noch unzumutbar. Vor allem, weil ich glaube, dass es hier schon eine gute Zusammenarbeit gibt.

- Nein, die Kosten dafür sind nicht exorbitant und unternehmensgefährdend. Ich wage mal ganz frech zu behaupten, dass das in den Spannen des Gespanns Messgeräte/Teststreifen locker drinnen ist.

- Nein, die Software dafür zu schreiben entspricht in der Komplexität nicht einer Reaktorsteuerung. Ich weiß, wovon ich rede, denn seit ebenso rund 30 Jahren programmiere ich jetzt.

- Und, schlussendlich, nein, auch das Hardwaredesign ist keine unüberwindbare Hürde. Loben Sie einen Design-Preis für technische Universitäten aus und Sie werden sich wundern, was die Studenten und Studentinnen in welcher Zeit auf einem Chip und kleinen Platinen unterbringen

Ich darf hier den österreichischen Fernsehmoderator Josef Broukal zitieren, dem in einem Club-2 von einem Ministerialbeamten erklärt wurde, dass manche Dinge technisch nicht gingen. Broukal, damals auch bekannter Datenbankprogrammierer, antwortete nur: Geben Sie mir zwei Wochen, und ich programmiere ihnen das.

Die Broukal-Argumentation maße ich mir weder an noch traue ich mir zu, so eine Software so schnell zu schreiben, aber trotzdem meine dringende Bitte an Sie:

Machen Sie uns Diabetikern das Leben ein wenig einfacher, holen Sie die Messgeräte in der Funktionalität in die Jetztzeit und machen Sie diese und damit das Diabetesmanagement – ein wenig Marketingsprech muss sein – sexier!

Mit freundlichen Grüßen

Franz Strohmeier

Und hier ein kleiner Nachtrag aus dem Jahr 2016

Die Situation hat sich insofern etwas verbessert, als es jetzt auch Messgeräte mit Bluetooth-Anbindung gibt. Und es gibt Unternehmen, die diese Anbindung auch im Rahmen ihrer Diabetesmanagement-Software verwenden. Da sei zum Beispiel nur die vor wenigen Jahren als Startup gegründete österreichische Firma mySugr genannt, die eine großartige App für Diabetiker anbietet.

Aber jede Software ist machtlos, wenn das Zusammenspiel Smartphone - Messgerät nicht funktioniert, sprich, gewisse Smartphones von den Messgeräten einfach nicht unterstützt werden.

Mir ist klar, dass hier eine Abstimmung aufwändiger ist, weil es gesetzliche Bestimmungen für medizinische Anwendungen gibt, die es zu beachten gibt, aber ich möchte hier nur an meine Ausführungen zum Thema Standards erinnern.

Vielleicht wäre das Thema auch eines für eine positiv umgeleitete Regulierungswut der EU - auch wenn nur eine verhältnismäßig kleine Bevölkerungsgruppe betroffen ist.

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 31.05.2016 20:50:50

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