Wie sehr hat Heinz Fischer das Wahlergebnis vom 24. April mitbeeinflusst?

Bei allen professionellen Analysen nach dem 1. Wahlgang zur Bundespräsidentenwahl 2016 ist mir eines abgegangen. Neben der Überraschung über den Wahlerfolg des Norbert Hofer und mehr oder weniger ehrlichem Mitleid mit den Kandidaten der ehemals staatstragenden Parteien ÖVP und SPÖ (samt seltsamer medialer Schonung der beiden honorigen Herren, einer Schonung, derer sich andere gescheiterte Menschen selten erfreuen können) wurde viel zu wenig diskutiert, was vor allem auch abgewählt wurde:

Abgewählt wurde das jahrzehntelang gepflegte und auch durch den derzeitigen Bundespräsidenten Heinz Fischer so gut wie durch kaum einen anderen personifizierte Bild und Rollenverständnis des Amtes des Bundespräsidenten als, ja, als was eigentlich, als Grüßaugust und Staatsnotar. Alle vorne liegenden Kandidaten (Hofer, van der Bellen und in Abstrichen auch Frau Griss) haben zum Ausdruck gebracht, das Amt aktiv auszulegen, langjährige Traditionen nicht eins zu eins zu übernehmen und – horrible dictu! – die Rechte eines Bundespräsidenten wirklich auszuüben und auf Basis dieser Rechte selbständig Entscheidungen zu treffen, sei es, was die Beauftragung mit der Regierungsbildung, sei es, was die Abberufung eines Bundeskanzlers betrifft.

Mit ausgelöst wurde diese wohltuende Debatte ausgerechnet durch den quer durch die Bank verlachten „Kasperl“ (Eigendefinition) Ing. Richard Lugner, der das Thema der Entlassung einer Regierung in einem ZIB2-Interview bei Armin Wolf auf das Tapet brachte.

Daraufhin bot sich dem interessierten Bürger vor allem in den sozialen Medien ein interessantes und teilweise entlarvendes Bild auf den Wissensstand von selbst- und fremdernannten Meinungsbildnern, vor allem auch aus dem journalistischen Bereich:

Erstens die an unseren berühmten Ferdinand den Gütigen (auch: Gütinand der Fertige) mit dem ihm zugesprochenen Ausspruch „Jo, dürfen’s denn des?“ erinnernde Frage, ob das überhaupt in den Kompetenzen des Bundespräsidenten liege und zweitens das Erstauenen darüber, dass ein Bundespräsident wirklich einen Kanzler entlassen darf und bei der Auswahl desselben rechtlich an keine Ergebnisse zur Nationalratswahl gebunden ist.

Ein bekannter Kolumnist berichtete gar sensationell von seinem Gespräch mit einem Verfassungsrechtler, der ihm den Weg zu einer FPÖ-Regierung samt FPÖ-Mehrheit im Nationalrat (Entlassung des Bundeskanzlers, Ernennung von Strache zum Bundeskanzler, Ernennung von gewünschten Ministern auf Vorschlag Straches, Auflösung des Nationalrats und Neuwahl auf Vorschlag dieser Bundesregierung) skizziert habe.

Mit Verlaub, dazu braucht man keinen Verfassungsrechtler, sondern nur die entsprechende Lektüre des B-VG oder entsprechende Aufmerksamkeit in Staatsbürgerkunde samt guten Lehrern.

Und zur Beruhigung: Die Väter der Verfassung haben ein ausgewogenes Verhältnis der Checks and Balances geschaffen, das bedeutet auch Möglichkeiten, einen Bundespräsidenten wieder loszuwerden (dem p.t. Publikum sei die Recherche der entsprechenden Bestimmungen als Fallstudie anempfohlen).

Und hier kommen wir (endlich) zur Rolle des BP Marke Heinz Fischer:

Er hat keines seiner vielfältigen Rechte in Anspruch genommen, als es notwendig gewesen wäre. Allein durch seine Sozialisation und Biographie ist er so in den verkrusteteten (im negativen Sinn) Strukturen des Landes der letzten Jahrzehnte verhaftet, dass er vermutlich gar nicht anders konnte.

Wie hat Fischer reagiert, als der heute zurückgetretene Werner Faymann sagen wir es einmal vorsichtig, das Abwürgen eines für ihn unangenehmen Untersuchungsausschusses im Nationalrat durch den nur mehr eine Karikatur seines vor vielen Jahrzehnten kritische Fragen stellenden Selbst, Josef Cap, wohlwollend zur Kenntnis genommen hat? Gar nicht.

Hat Fischer Konsequenzen daraus gezogen, dass die jetzigen Koalitionspartner nur durch völlige Unwissenheit bezüglich der wahren Zahlen des Budgets und der darüber von ihnen verlautbarten Zahlen (die andere Erklärungsvariante schreibe ich hier lieber nicht nieder) mit Ach und Krach gemeinsam die 50 % Hürde bei der letzten Nationalratswahl genommen hat? Nein, im Gegenteil. Alle handelnden Personen wurden wieder in hohe Ämter berufen und der Mann, von dem die Forderung nach ein „paar Millionen für den Werner“ (als Inserate-Ausgaben seitens der ÖBB) kolportiert wurde und gegen den Ermittlungen wohlwollend eingestellt wurden, wurde sogar zum Minister. Alles so, als sei an Regierungsmitglieder nur die Anforderung, nicht strafrechtlich auffällig geworden zu sein, zu stellen und als wären moralische, charakterliche Fragen höchstens sekundär.

Wie hat Fischer anlässlich der Flüchtlingskrise im letzten Herbst agiert? Der Verfasser dieser Zeilen ist überzeugt, dass die damalige Vorgangsweise, wenn auch rechtlich nicht gedeckt, aus humanitären Gründen und um Zeit zu gewinnen und den Druck aus dem Kessel zu nehmen, richtig war. Wie aber wurde die gewonnen Zeit genutzt? Gab es hörbare Aufforderungen des Bundespräsidenten, wieder zum rechtlichen Zustand zurückzukehren (und gegebenenfalls für eine Änderung rechtlicher Bestimmungen mittels Regierungsvorlage zu sorgen)? Gab es Kontakte als Staatsüberhaupt, um die Nachbarländer und übrigen Mitgliedsstaaten der EU an die notwendige Solidarität zu erinnern? Wenn ja, war es zumindest nicht erfolgreich.

Was es gab, war ebenfalls heute, eine Stellungahme in Ö1 im üblichen Orakel-Sprech eines Alan Greenspan, konkret (oder eben nicht): „Nicht alleingelassen bei Flüchtlingen, Maximum an Solidarität gab es aber nicht“.

Das sind Beschwichtigungsformeln, die einem Hofer geradezu den roten Teppich in die Hofburg ausrollen.

Dem Selbstverständnis eines selbstbewussten Präsidenten eines souveränen, stolzen Staates kann auch die Aktion mit maximalem Fremdschämfaktor nicht entspringen, die ich am meisten mit der Amtszeit von Präsident Fischer in Verbindung bringe: Das gegenüber den USA unterwürfige und brave Nachschauen in der Präsidentenmaschine Boliviens, ob nicht eventuell ein gewisser Eduard Snowden in der Bordtoilette einen Zigarette raucht.

All diese Aktionen passen zu jemandem, der das Durchschneiden von Eröffnungsbändern perfektioniert, aber für diese Aufgabe ist der Posten zu teuer – und hier ist den Kritikern des Amtes rechtzugeben, unnötig.

Ein Staat des 21. Jahrhunderts braucht einen aktiven, die Regierung, den Nationalrat und die Bevölkerung unterstützenden aber auch im Sinne ausgewogener Machtbalancen kontrollierenden Präsidenten.

Wäre das ein Abgehen von bisherigen Gewohnheiten, ein Brechen der Realverfassung, ein Verstoß gegen die Verfassungwirklichkeit (ein Begriff, den der Verfassungsrechtler (sic!) Andreas Khol in einer Diskussion geprägt hat)? Ja, und zwar, ja, Gott sei Dank!

Denn vergessen wir nicht: Realverfassung ist ein beschönigender Begriff dafür, dass ohne jede rechtliche Legitimation seit Jahrzehnten nicht dafür vorgesehene selbsternannte Organe Entscheidungen für diese Republik treffen: Sei es die Sozialpartnerschaft, sei es der bunte Herrenabend Landeshauptleutekonferenz – und sei es auch die Gewohnheit nach Art einer Fastfooddemokratie („Eine Apfeltasche dazu?“) nach einer Wahl zur Legislative auch gleich den Chef der stimmenstärksten Partei zum Chef der Exekutive zu machen – auch wenn das u.a. auch dank unseres Bildungssystems von den Bürgern zumindest prima vista so erwartet wird.

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Fortunate Son

Fortunate Son bewertete diesen Eintrag 09.05.2016 18:58:50

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