Einer kleinen, auf einer dpa-Meldung basierenden Notiz in der online-Ausgabe der WAZ (noch vor 15 Jahren eine der seriösen Presseerzeugnisse) entnehme ich, dass sich die EU weltweit für das Verbot des Handels mit Folterwerkzeugen einsetzen will (https://www.waz.de/politik/eu-will-weltweit-den-handel-mit-folterwerkzeug-verbieten-id211969335.html, abgerufen am 19.9.2017, 17:44).

Was da am Rande der UN-Tagung gestern als neue Initiative der EU und einiger Staaten, die keine Todesstrafe praktizieren, von der EU-Handelskommissarin Frau Malmstroem angekündigt wurde, klingt zunächst mal gut.

Metallzacken (sic!), Elektroschockgürtel und für Exekutionen geeignete Chemikalien sollen nicht mehr gehandelt werden. Es gäbe für Folterwerkzeuge Kataloge und Messen und einen Handel unbekannten Umfangs.

Folter ist unmenschlich und sinnlos!

Es dürfte unter aufgeklärten Menschen zumindest innerhalb der EU weitgehende Übereinstimmung in der Ablehnung von Folter und Todesstrafe geben (ich verweise für mich auf das Lied Georg Danzers: "Ich bin dagegen" von 1978). In den USA sehen die meisten Bundesstaaten das anders, weswegen die zu den Gesprächen nicht eingeladen sind.

Folter als Mittel zur Informationsgewinnung hat sich als - ich spreche jetzt bewusst technisch - "ungeeignet" erwiesen. Daher ist Folter ein Mittel des Terrors.

Was sind Folterwerkzeuge?

Frau Malmstroem als hochdotierte EU-Kommissarin hat herausgefunden, dass es spezielle Folterwerkzeuge geben muss, da es ja Kataloge, Messen und Handel gibt. Nun sind mir einschlägige Messen noch nicht untergekommen, im Rahmen von Erotik-Messen (SM-Szene) oder Messen für Polizei-, Sicherheits- und Militärausrüstung werden aber durchaus Produkte vorgestellt, die geeignet sind bzw. sein könnten, Menschen zu foltern.

Jeder Polizist hat mittlerweile einen Schlagstock, ein Reizgassprühgerät, Handschellen u.ä. bei seiner Standardausstattung und trainiert auch deren Anwendung.

Nun nehme ich an, solche Produkte kann Frau Malmstroem nicht meinen.

Über Produkte bei Erotik-Messen für das SM-Klientel kann ich nichts sagen - mir fehlen daher anschauliche Beispiele.

Eine vage Möglichkeit scheinen mir dann noch Ausstellungen mittelalterlicher Folterwerkzeuge zu sein, die sich in verschiedenen Burgen noch mit wohligem Grausen "bewundern" lassen. Ob es unter Mediävisten da eine Sammlerszene gibt, die eher an der praktischen Anwendung interessiert ist, kann ich auch nicht einschätzen.

Das bringt mich dann zur Frage:

Was sind unser aller Allerwelts-Folterwerkzeuge?

Nun führe ich einen normalen Haushalt, habe einen recht gut ausgestatteten Werkraum, daher einiges an Werkzeug, und einen Garten. Wir können jetzt mal schauen, was man davon eigentlich alles nutzen kann um zu foltern:

Da wäre eine normale Küche mit verschiedenen Schneid- und Hackwerkzeugen. Auch Kochlöffel und Fleischklopfer sind vorhanden.

In der Werkstatt und im Garten finden sich Zangen, Zwingen, Sägen, Hämmer und dergleichen. Besenstiele, Beile und verschiedene Kabel und Seile nenne ich mein eigen.

Auch an Chemikalien mangelt es nicht: Kochsalz, Reiniger, Laugen, Säuren, Verdünner, Klebstoffe, um nur ein paar zu nennen.

Jeden dieser Gegenstände kann dazu verwendet werden, Menschen zu foltern.

Ich nehme an, Frau Malmstroem wird nicht den Handel mit Haushaltswaren, Kleidung, Baumarktartikel oder Lebensmitteln verbieten lassen.

Das bringt mich dann zur Frage:

Wie wird gefoltert?

Ich mag hier nicht in krude Fantasien abgleiten, daher Verweise auf z.B. Eugen Kogons "Der SS-Staat" oder Alexander Solschenizyns "Der Archipel GULAG". In beiden Werken (und vielen anderen) wird teilweise mit grauenhafter Genauigkeit beschrieben, mit welch unmenschlichen Methoden Menschen gefoltert werden.

Dabei fällt auf, dass die Autoren nicht von der Anwendung spezieller Folterwerkzeuge sprechen. Im Gegenteil werden - wenn denn überhaupt Werkzeuge verwendet werden - Alltagsgegenstände genutzt.

Die Menschen werden durch Entzug von Getränken, Nahrungs-, Kleidungs-, Schlafentzug, Hitze, Kälte, Stille, Lärm, schlechte Luft, Drohungen gequält und meist erfolgreich gebrochen. Kein Werkzeug erforderlich. Nur wenige halten das aus. Für die kommen dann physische Techniken zum Einsatz.

Das bringt mich dann zur Frage:

Wer foltert?

Werkzeuge foltern nicht. Menschen foltern. Diese Menschen müssen noch nicht einmal besonders brutal sein, wie wir spätestens seit dem Milgram-Experiment oder dem Stanford-Gefängnis-Experiment wissen.

Nach den dort erzielten Ergebnissen scheint es so zu sein, dass Folterer ihre Rolle dann am ehesten erfüllen, wenn sie von einer Autorität darin unterstützt werden. Wobei natürlich immer zu berücksichtigen ist, dass es grundsätzlich brutale Zeitgenossen gibt, denen das Spass macht und die m.E. in eine geschlossene Abteilung der Psychiatrie gehören und andere, die autoritärem Druck widerstehen können.

Damit habe ich das Problem "Folter" vom "Folterwerkzeug" hin zum Individuum und damit zu der Gesellschaft, der das folternde Individuum angehört, verlagert. Ich bin der Meinung, dass die Debatte am gesellschaftlichen Konsens über die Rolle und die Bedeutung von Menschenrechten ansetzen muss - nicht an Werkzeugen.

Frau Malmstroem und die EU-Kommission oder: Wie dumm bin ich eigentlich?

An diesem Punkt meines Beitrages komme ich wieder zu der Initiative wider den Handel mit Folterwerkzeugen. Wenn Werkzeuge nicht foltern, sondern Menschen, ist es unsinnig, den Handel mit Werkzeug zu verbieten. Ich habe dargelegt, dass Folter keine speziellen Werkzeuge braucht, sondern Alltagsgegenstände. Frau Malmstroem scheint das auch zu wissen, da offenbar ja keine Zahlen über den Handel vorliegen, die der Handelskommissarin als zuständige Instanz vorliegen müssten, wenn es sie denn gäbe.

Aus meinem bescheidenen Blick als EU-Bürger handelt es sich wieder um eine typische Show-Veranstaltung für die Galerie, bei der uns vermittelt werden soll: Schaut her, wir setzen uns als EU gegen Folter ein. Wir VERBIETEN den Handel. Das gibt uns ein erhobenes Gefühl moralischer Überlegenheit.

In welchem Film bin ich eigentlich?

Für wie dumm hält die Dame mich eigentlich?

Noch ein Satz zu Chemikalien: Wenn Delinquenten nicht mehr mit Giftinjektionen hingerichtet werden können, wer hindert die Staaten an Erschießungskommandos, die den gleichen Zweck erfüllen?

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pirandello

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