Am 24. September sind Bundestagswahlen. Meine Wahlbenachrichtigung habe ich vor rund zwei Wochen erhalten und ich werde wie jetzt seit 40 Jahren wählen gehen.
In der Zeit ist viel passiert, Schönes und Häßliches, Gutes und Schlechtes. Mir bleiben davon vor allem persönliche Erinnerungen. Die Zeiten ändern sich halt und bis vor gar nicht allzu langer Zeit war ich der Meinung, den Zeitläuften mit einer Besinnung auf's Wesentliche (für mich meine Kinder und ihr Wohlergehen an erster, dann meines an zweiter Stelle, dann kommt der Rest der Familie und irgendwann Deutschland und der Rest der Welt) durchaus entgegen treten zu können. Möglicherweise eine naive, aber wohl weitverbreitete Ansicht aktiver, arbeitender Menschen...
Jetzt stehe ich vor dem Dilemma, nicht mehr aus einer irgendwie ethisch begründbaren Position wählen zu sollen. Ich fühle mich genötigt, wenn meine Stimme denn nur ein wenig Gewicht haben soll, vor der Wahlkabine mein Gehirn und meine Überzeugung abgeben zu müssen.
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Und das hat was mit der Beliebigkeit bzw. Austauschbarkeit der heuer (das gibt herrliche Begriffe im österreichischen Deutsch;)) wählbaren Positionen zu tun.
Daher meine Impressionen aus der Kreisstadt. So ca. alle sechs Wochen fahre ich die sechs Kilometer in die benachbarte Kreisstadt, ein hübsches Städtchen im Köln-Bonner-Raum, das von einer eindrucksvollen Barock-Abtei bekrönt wird. Am vergangenen Samstag war es mal wieder soweit. Ein schöner Spätsommertag. Ich habe mir eine kleine Liste von Einkäufen gemacht, darunter Drogerieprodukte und Produkte eines entzückenden kleinen Wein- und Pastaladens, der von zwei alten Damen und ihren Angestellten "gemanagt" wird.
Ich fahre also ca. 10:00 vormittags im Sonnenschein dahin und stelle meinen Roller ab. Vor zehn sind viele Läden noch zu.
Natürlich weiß ich, dass Wahlkampf ist, aber die Plakate nehme ich nicht mehr wahr.
Mir fällt schon auf, dass es offenbar frei gehaltene Flächen am Wochenmarkt gibt, wo sonst die örtlichen Gemüsehändler stehen. Nun: ich erledige erstmal meine paar Besorgungen.
Hernach, so gegen 10:45 scheinen die freien Plätze durch Wahlkampfstände verschiedener Parteien belegt zu sein. Ich nehme das wahr. Am Marktausgang zum Bahnhof zu, ein Pavillion der Grünen: Es gibt grüne Windräder und grüne Heliumballons. Man spricht offenbar mit Parteifreunden. Ich werde nicht wahrgenommen und nicht angesprochen.
Daneben ein Pavillion der CDU im Aufbau (Windräder und Ballons sind noch nicht vorhanden, dafür aber ein federförmiges Segel der lokalen Bundestagskandidatin). Man scheint schwer mit dem Aufbau beschäftigt.
Ich setzte mich an einen Straßencafetisch und bestelle mir eine Tasse Kaffee. Rund fünf Meter neben mir ein Pavillion der SPD. Es gibt rote Windräder und rote Ballons. Auch hier spricht man im wesentlichen mit Parteifreunden. Mein Cafegenuss wird deutlich dadurch getrübt, dass die Sozen an ihrem Pavillion drei oder vier Monitore installiert haben und sie eine Rede Herrn Schulz' laufen lassen. Ich meine - ich setze mich in ein Straßencafe, um meinen Cafe, eine Zigarette und die Ansicht des geschäftigen Treibens zu geniessen - nicht den Multimillionär.
Die phonetische Belästigung endet nach einigen Minuten. Das ist auch gut so.
Nun mache ich mich langsam auf den Weg zu meinem Roller, der außerhalb der Fußgängerzone (vergass ich oben anzumerken) geparkt ist.
Ich passiere einen Pavillion der FDP (früher mit Pünktchen - heute ohne). Es gibt gelbe Windräder und gelbe Luftballons. Ich sehe auch gelbe Kugelschreiber mit blauen Clips (müssten die nicht magenta sein?). Auch dort scheint man eher mit Bekannten beschäftigt zu sein. Den Passanten schenkt man wenig Aufmerksamkeit.
Zum Schluss komme ich - etwas abseits der anderen - an einem Stand mit Sonnenschirm statt Pavillion der AfD vorbei. Dort gibt's blaue Kugelschreiber, Jojos (offenbar statt Luftballons), blaue Kugelschreiber, Feuerzeuge und Einkaufswagenchips. Es sieht so aus, dass die älteren Faltblattverteiler eher geneigt sind, auf Passanten zuzugehen.
Die Linke war an dem Tag entweder nicht vertreten oder hatte ihren Stand noch nicht aufgebaut.
Was soll ich jetzt wählen: Grüne, rot oder gelbe Windrädchen. Die Partei mit dem Luftballon, der als letztes sein Gas verliert? Die mit Kugelschreiber oder Feuerzeug?
Eigentlich schade, dass die Stand- bzw. Pavillionbetreiber an den vorbeiströmenden Menschen und ihren Meinungen eigentlich gar nicht interessiert sind.