Ist Long Covid nur Einbildung oder eine reale Krankheit? Manche behaupten, dass die Erkrankten, die offenbar zumeist aus dem öffentlichen Dienst stammen, einen auf Blöd machen würden, um nicht arbeiten gehen zu müssen. Es gibt auch Leute, die sagen, es gibt weder den Corona-Virus oder sogar jene, die generell Viren leugnen. Ich will hier nicht ins Detail gehen oder dieses Fass aufmachen. Stattdessen möchte ich von jemandem berichten, der mir sehr nahe steht und laut seinen Ärzten an Long Covid leidet.
Wie ich aus seinen Schilderungen lernen konnte, gibt es kein einheitliches Krankheitsbild. Hier ist seine Geschichte im Kurzformat:
Er ist ein körperlich normal gebauter, eigentlich gesunder, fürsorglicher Familienvater, arbeitet in der Privatwirtschaft, hat Personalverantwortung und ist eher der Typ „mit Schmerzen“ oder „verschnupft“ zur Arbeit gehen, „keinesfalls krank schreiben lassen“. Er hat sich im Winter 2021 zwei Mal impfen lassen müssen, damit er gewisse Dinge des normalen Lebens einigermaßen wieder wie gewohnt ausführen darf, weil die Einschränkungen zu arg gewesen seien. Er war also keinesfalls ein Befürworter der sog. Impfung.
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Kurze Zeit nach der „Auffrischungsimpfung“ begann nun etwas, was ihm bis heute kein Arzt erklären kann. Er war bei mehreren Ärzten aus verschiedenen Fachbereichen, angefangen von Hausärzten über den Neurologen bis hin zum Psychiater und Gedächtnisambulanz. Demnächst auch bei einem Psychologen. Es wurden ein MRT gemacht, EKG, EEG, verschiedene Bluttest, mehrere Fragebögen ausgefüllt und befindet sich nun in einer Studie mit einer App, bei einem Pharmakonzern über eine Uni-Klinik. Keinerlei Vorerkrankungen, auch kein Alzheimer in der Familie o.ä.
Etwa drei Monate nach der Impfung hatte er sich Corona eingefangen und war dadurch mehrere Tage so krank, wie er es noch nie erlebt habe und wovon viele Erkrankte immer wieder berichteten: Ausgeknocked, paralysiert, vollständig fertig mit der Welt. Erstaunlicherweise wurden die nicht geimpften schneller wieder fit, aber das mag nur ein persönlicher Eindruck sein. Er und seine Frau hatten jedenfalls bereits während der Bettlägerigkeit gemerkt, dass er Schwierigkeiten hatte einfache Sätze zu bilden und dass ihm Wörter nicht einfielen. Auch später hauten ihn übrigens einfache Erkältungen komplett um, so wie er es in seinen über vierzig Lebensjahren niemals erlebt hätte.
Um es abzukürzen, seit spätestens der „Genesung“ zeigten und zeigen sich verschiedene Symptome, Indikatoren oder wie auch immer man es nennen möchte, die vorher nicht existierten: Erst jetzt, also fast zwei Jahre später, langsam nachlassende Wortfindungsstörungen, die seit mindestens dem Ausbruch von Covid-19 bestehen sowie krasse Gedächtnis- bzw. Erinnerungslücken, verbunden mit anhaltend schwankenden Konzentrationsschwierigkeiten.
Mehrere Beispiele aus dem Alltag wurden genannt, wovon ich ein paar exemplarisch nennen möchte. Der Mann hat mittwochs zu einer bestimmten Zeit immer ein Meeting, woran er hin und wieder auch teilnahm. Irgendwann, nach mehreren Wochen, wird er darauf angesprochen, dass er endlich wieder daran teilnehmen müsse. Mein Freund fiel aus allen Wolken, als man ihm sagte, dass dieser Termin schließlich seit Ewigkeiten bestehe. Er erinnert sich aber überhaupt nicht daran, an kein einziges Meeting!
Schon mal von Brainfog gehört? Nein? Stellen Sie sich den Morgen nach einer durchzechten Nacht vor. Und das tagtäglich. Jeden Tag wäre es so, als sei ein Schleier über ihrem Kopf, manchmal ein weißer, manchmal ein schwarzer, also manchmal schlimm, manchmal noch viel schlimmer.
Weitere Beispiele: Eine Kollegin erklärte ihm mehrmals, am gleichen Tag, exakt die völlig gleiche Sachlage, aber er konnte es sich einfach nicht merken. Ebenso schafft er einfaches Kopfrechnen nicht mehr, sondern muss einen Taschenrechner verwenden. Nicht kurz nach der Krankheit, sondern auch noch heute passieren diese Dinge.
Früher konnte er wie ein Wasserfall zu jedem Thema reden, heute stockt er schon bei manch banalen Fragen wie er z.B. seine Pizza belegt haben möchte. Nur bei wenigen Themen redet er fließend, logischerweise nur bei sehr vertrauten Themen. Bei einer Sitzung vor seinen Kollegen und Chefs habe er, weil er sich überhaupt nicht mehr an seinen Satzanfang erinnerte und auch nicht mehr an die eigentlich Frage, etwas völlig anderes erzählt. Er sehe zudem die Wörter oder Begriffe, die er sagen sollte sogar bildlich und teilweise geschrieben vor seinen Augen, liegen quasi auf der Zunge, aber könne sie nicht aussprechen und müsse permanent Synonyme verwenden oder umständlich beschreiben. Selbst viele Texte seiner Lieblingslieder sind nicht mehr in seinem Gehirn abgespeichert, bei manchen Liedern, die er seit 30 Jahren kennt und liebt, sei es so, als würde er sie zwar irgendwie kennen, aber identifiziert sie wie Songs aus dem letzten Jahr – so in der Art, hat er es beschrieben.
Allerdings gibt es seit der Impfung oder Erkrankung – je nachdem was man glauben möchte – auch etwas Positives: Er erinnert sich an Dinge, die vor 8, 15, 26, oder 33 Jahren passierten. Völlig belanglose Dinge ebenso wie Sachen, die früher nicht in einen Zusammenhang gebracht werden konnten, wie z.B. diese völlig verrückte Sache: Ende der Neunziger Jahre wurde er von einer jungen Frau auf einem Fest angesprochen und sie redete mit ihm, als kannten sie sich bereits. Er dachte vermutlich, dass sie aus einer Parallelklasse oder anderswo her kannte. Er fragte also höflich nach, aber erhielt keine Antwort. Knapp 25 Jahre später erinnerte er sich plötzlich an diese Situation und an die Umstände des ersten Kennenlernens. Und so gebe es immer wieder Erinnerungen zu völlig absurden Zeiten, die nicht ansatzweise miteinander zusammenhängen würden. Vielleicht war diese Situation die erste Amnesie, die nun mit über 40 Jahren durch die „Impfung“ verstärkt oder hervorgehoben wurde?
Bei diesen späten Erinnerungen sei es sogar so, dass er die Situationen fast schon real fühlen könne, mit allen Sinnen und mit quasi jeder Kleinigkeit, wie z.B.: Eine Autofahrt auf einem bestimmten Streckenabschnitt, wo ein bestimmtes Lied im Radio lief, der Beifahrer diese und jene Klamotten anhatte, so wie die Autos im Rückspiegel, Passanten an einer Ampel und und und. Selbst das Rekapitulieren mehrerer Gespräche, die sehr weit zurück lägen, sei möglich, fast wortwörtlich, was die damaligen Gesprächsteilnehmer teils erschreckt bestätigen könnten. Was genau bedeutet das? Warum erinnert sich das Gehirn an eine völlig nutzlose Vergangenheit, aber nicht an vollständig relevante Informationen in der Jetzt-Zeit?
Nun weiß er nicht, ob diese Gehirn-Probleme seit der Impfung oder seit der Erkrankung bestehen, weil es zeitlich relativ nah beieinander war. Die aufgesuchten Ärzte und die im Netz sind alle widersprüchlicher Ansichten. Es gibt weder Medikamente, die man einnehmen könne, geschweige denn eine Heilung. Die einzige Aussicht sei, den temporären Zustand beizubehalten. Mit Sport und Vitaminpräparaten könne man etwas nachhelfen, so auch mit gesunder Ernährung, aber „zurück zu alter Stärke“ wird es wohl nicht geben können. Es bestehe ansatzweise die Hoffnung, dass sich neue Synapsen bilden, aber belegbar ist wohl bisher nichts. Seit über anderthalb Jahren muss sich mein Freund tagtäglich so sehr motivieren und auf sein maximal mögliches Level bringen, damit er seinen unteren bis mittleren Durchschnitt von damals erreicht.
Natürlich habe ich ihn gefragt, weshalb er sich das weiter antue und er damit nicht zu seinem Chef geht, damit er wenigstens etwas entlastet werde. Seine Antwort lautete, dass er sofort abgelöst werden würde und somit sein gutbezahlter Posten weg wäre. Was würde man ihm dann noch anbieten? Was könne er denn dann noch machen, wenn so eine "Krankheit" öffentlich gemacht wird? Niemand würde einem noch andere Menschen oder Maschinen anvertrauen, aus Angst es würde sonst etwas mit einem passieren. Er verdeutlichte es mir auch noch einmal so, was ich ziemlich anschaulich finde: "Stell dir vor, du bist Zugführer deiner Kompanie und du gehst nun zu deinem Hauptmann und erzählst ihm was Sache ist. Der wird den Batallionskommandeur anrufen und im gleichen Augenblick wirst du logischerweise deines Kommandos enthoben. Das war es dann. Was wollen die noch mit dir? Oder stell dir diese Hollywoodfilme vor, wo die Cops nicht mehr auf die Straße dürfen, sondern Schreibtischjobs haben und dann neurotisch werden oder Alkoholiker." Ja, das ist schon irgendwie nachvollziehbar, wie ich finde.
Abschließende Worte habe ich nicht.
Jaroslav Devia https://unsplash.com/de/fotos/xfYiIpHnvhs