Es ist eine extrem radikale These, die vielleicht auch in den Hinterzimmern der hohen Politik diskutiert wird, nämlich: Arzach sollte komplett evakuiert werden, damit Armenien gestärkt wird. Es sollten auch keine armenischen Greise dort verbleiben, stattdessen sollten alle Bewohner in Armenien angesiedelt werden. Egal, wie viel Geschichte, auch Familiengeschichte und Leid daran hängt. Ich weiß, jeder Tropfen Blut wäre es wert, weiter dafür zu kämpfen, aber eben auch nicht. Aus militärischer Sicht wird es mittelfristig ein Sieg für die beiden Turkvölker werden, die keine diplomatische Lösung wollen. Es ist so gewollt, sonst würde man sie kaum gewähren lassen. Alleine werden es die Armenier nicht schaffen. Es würde unweigerlich zu einem fürchterlichen Guerillakrieg verkommen, das müsste jedem klar sein. Wie viele Menschen sollten also noch sterben?

Mein Postulat wäre, wenn ich irgend etwas zu melden hätte: Armenien zur Heimstätte der Armenier machen. Hierzu müssten die bestehenden Städte erweitert oder eine größere oder zwei bis drei kleine, neue Städte errichtet werden. Die Gelder hierfür fallen natürlich nicht vom Himmel, aber langfristig wäre das eine logische Konsequenz und richtige Option. Ich bin überzeugt davon, dass die Diaspora-Armenier wieder viel spenden würden, damit der erste Anschub klappt. Sicherlich würden auch Hilfen von anderen Staaten erfolgen. Es würde definitiv auch mehr investiert werden durch die Privatwirtschaft. Es ging ja, bis Corona kam, bereits langsam aufwärts. Zeitgleich müsste eine verkürzte Wehrpflicht auch für junge Frauen eingeführt werden, so dass sie notfalls für den Objektschutz herangezogen werden können usw. Ich schreibe das, obwohl ich für kleine und hochspezialisierte Freiwilligenarmeen stehe. Aber hier ist es zweckmäßig und beruhte wohl kaum auf Zwang. Eine Wehrpflicht wie in Israel wäre auch nicht nötig, aber auch das müsste man sich ggfs. wohl offen halten.

Warum schreibe ich überhaupt so etwas? Bin ich ein bezahlter Verräter, der die Moral der kämpfenden Truppe rücksichtslos sabotiert oder bin ich einfach nur geisteskrank?! Weder... noch.

Keiner der Global Player - Staaten und Konzerne - ist ernsthaft interessiert den Armeniern in Bergkarabach zu helfen. Die Länder und Städte, die Arzach dankenswerterweise als Staat anerkannt haben und auch nicht-symbolische Hilfe leisten, lasse ich jetzt aus Platzgründen unerwähnt.

Der Krieg könnte - sofern er nicht sehr bald gestoppt wird - im wahrsten Sinne des Wortes ausufern. Sultan Tayyip und Aliyev werden vermutlich mit ihren Jihadisten-Kumpels versuchen die Front auf Armenien zu verlagern. Russland wird aber ziemlich wahrscheinlich die Grenzen des Staates Armenien schützen. Zudem sollte klar sein, dass ab einer bestimmten Schmerzgrenze auch Russland die Geduld verlieren wird und Staatsgrenzen überschreiten würde. Tayyip will scheinbar den NATO-Bündnisfall und durch wohlkalkulierte Provokationen könnte er zumindest einen größeren Krieg mit mehreren Staaten entfachen. Die USA werden nur mahnende Worte an Ankara richten und das wird es gewesen sein. Egal wer POTUS sein wird und egal wer nach Putin demnächst russischer Präsident wird, Arzach ist nur ein drittrangiges Problem, die Wünsche der Türkei und das Öl Aserbaidschans sind wichtiger und noch ein paar weitere Dinge, die Armenien und Arzach nicht bieten können.

Glaubt wirklich irgend jemand daran, dass Aserbaidschan oder künftige türkische Regierungen die Armenier in Arzach in Ruhe lassen werden, falls es doch noch einen halbgaren Kompromiss geben sollte?

Ich hatte es schon an anderer Stelle geschrieben und wiederhole es gerne nochmal: Es wurde für künftige Generationen unmöglich gemacht, friedlich und kooperativ miteinander zu leben. Zudem hat man Freundschaften zwischen Türken und Armeniern, die es ja unbestritten überall gibt, zumindest erschüttert. Von Verwandten, die in "Konstantinopel" leben, hörte ich, dass ihre türkischen Nachbarn sie notfalls beschützen würden. Das war im Zuge der Autokorsos und Fahnenverbrennungsaktion (das war übrigens eine Fahne Kolumbiens), im September und Oktober 2020, welche nur ein paar Kilometer weiter jeweils stattfanden. Ich hoffe jedenfalls inständig auf solch eine Solidarität. Ich hoffe aber auch sehr auf ein Tribunal für die verantwortlichen Kriegstreiber, am Besten nicht in den Haag, sondern von den Völkern Aserbaidschans und der Türkei selbst, wenn sie denn endlich merken, wie sehr sie von ihren Spitzenpolitikern belogen wurden. Ich weiß, das ist ein naiver Wunsch.

Wenn also nichts mehr in Sachen diplomatischer Lösung gehen sollte, dann wäre ein durchdachter und (von Blauhelmen?) gesicherter Rückzug das Beste um Menschenleben zu retten und zukünftiges zu sichern. Aber auch überhaupt zu ermöglichen. Klingt zynisch, ist aber so: Tote können nunmal kein neues Leben erschaffen und auch nicht konsumieren.

Makalu/pixabay https://pixabay.com/de/photos/armenien-jerewan-ararat-stadt-3721418/

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