Verhandlungen sind Kriegswaffen und Vergebung bedeutet Leid

Vermutlich vergraule ich mit diesem Text die letzten mir Wohlgesonnenen. Heute trifft es zudem noch meine eigenen Volksgenossen*. Es wird vermutlich so wirken, als sei meine Darstellung aus dem Zusammenhang gerissen, aber das ist es nicht, gerade wenn man meine anderen Texte kennt. Oder man muss jetzt einfach mal bis zuletzt durchhalten - wenn man möchte.

Worum geht's? Die Auswirkungen des Angriffskrieges Aserbaidschans und der Türkei auf Arzach und indirekt auf Armenien könnten als Blaupause für Deutschland und Europa interpretiert werden. Ich muss zugeben, dass ich nicht direkt schreiben kann was ich konkret im Sinn habe. Daher nehme ich diesen Krieg als Platzhalter um Ihnen gewisse Dinge mitzuteilen. Zudem schreibe ich ganz knapp etwas zu Gott und Religion im Allgemeinen. Selbstverständlich folgt auch meine völlig unvoreingenommene und vollständig neutrale Sichtweise zum erfolgten Zivilisationsbruch. Es war nämlich nicht nur ein Angriffskrieg auf Zivilisten, bei dem vor der Weltöffentlichkeit Kriegsverbrechen verübt wurden und westliche Staatsoberhäupter eigentlich nichts sagten, es geht in Form von Grabmalschändungen und dergleichen weiter.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Mir geht es jetzt nicht darum zu zeigen, dass ich mit meiner Einschätzung des Krieges recht hatte, nämlich, dass ein Drohnenkrieg nicht mit den Waffen des 20. Jahrhunderts gewonnen werden kann und was nun alle Experten weltweit bestätigen. Ich will nur den ganzen Mist in meinem Kopf loswerden und die Welt daran teilhaben lassen.

Ob der armenische Ministerpräsident, Nikol Pashinyan, tatsächlich am dritten Kriegstag die Möglichkeit hatte, den Krieg unverzüglich zu stoppen und möglichst viel Territorium zu (be-)halten, wage ich zu bezweifeln. Das wird nämlich vermehrt behauptet. Wenn dem aber wirklich so war, dann wäre das tatsächlich, gelinde gesagt, ein unverzeihlicher Skandal. Welche Gründe sollte er aber gehabt haben, nicht zu unterschreiben? Wusste er nichts von seiner Waffen-Unterlegenheit? Hat ihn etwa Herr Soros dafür bezahlt, oder die Jihadisten-Pächter Aliyev und Tayyip, damit er noch weiter kämpfen lässt, um... ja, wofür? Was sollte der Mann denn davon haben? Kein Reichtum wird ihn jemals wieder glücklich machen, er gilt seit Kriegsende bei mindestens der Hälfte der Armenier als Verräter. Wohin sollte er gehen? Pashinyan müsste doch demnach gewusst haben, dass er nicht gewinnen kann und hätte zustimmen müssen. Wenn selbst ich mit meinem begrenzten Wissen um die Waffenhoheit der Angreifer einigermaßen vertraut war, was ich durch meinen ersten Blog zum Thema beweisen kann, dann dürfte der Generalstab Armeniens wohl sehr gut darüber informiert gewesen sein. Und Moskau wird vermutlich auch deutlich gemacht haben, wie die Lage für Arzach und auch für Armenien aussieht.

Wie verliefen die Verhandlungen nun in Wirklichkeit? Das werden wir wohl kaum erfahren. Warum wurden wohl alle weiteren Waffenstillstandsabkommen von den Aggressoren gebrochen? Weil Ankara und Baku keinesfalls Frieden wollten, sondern die völlige Niederlage, mit allem was dazu gehört. So gesehen kann man Putin danken, dass er eine Einigung erzwungen hat. Er hätte das aber garantiert viel früher beenden können, wenn er denn wirklich gewollt hätte. Mir ist nicht ganz klar, welche Gedankengänge er dabei hatte. Wobei das eigentlich egal ist, weil solche Dinge frühestens in Jahrzehnten heraus kommen, wenn überhaupt.

Die Zurückhaltung der armenischen Hardliner und die Kooperation der Armenier mit den Russen finde ich sehr gut. Das wird für positive Verhältnisse in der Zukunft sorgen. Auch wenn das im Moment nicht nachvollziehbar sein mag, es ist das Gebot der Stunde, Moskaus Anweisungen buchstabengetreu Folge zu leisten. Dadurch kann man nicht nur Sicherheit gewährleisten, sondern auch Zugeständnisse "erbitten", so erniedrigend das auch klingen mag. Alle militärischen und diplomatischen Fehler, die möglicherweise von armenischer Seite gemacht wurden sind tragisch, weil Leben und Land dadurch geopfert wurden. Nur, wer hätte ahnen können, dass es 2020 diesen Angriffskrieg geben würde? Wenn irgendein Schlaumeier meint, dass er es gewusst habe, dann möge er sich bei mir persönlich melden. Außer der „Spitze der Pyramide“ wird es wohl keiner gewusst haben.

Dieser verlorene Krieg ist verdammt nochmal nicht das Ende für die Armenier im Kaukasus. Ja, über hundert Ortschaften werden übergeben, aber es gibt immer noch ein Mutterland, was nun gestärkt werden muss. Nur dadurch wird es auch weiterhin ein Rest-Arzach geben. Das soll kein dämliches "Wir schaffen das!", "Kopf hoch!" oder "Positiv denken!" Geblöke sein. Es wird ziemlich wahrscheinlich keine Gerechtigkeit geben, kein Karma, Kismet, Schicksal oder was auch immer. Es darf aber auch keine Rache geben, denn dann wird es niemals ein Ende der Gewalt geben. Uns unterscheidet etwas von den anderen. Mit Vergeltung gleicht man sich dieser gewissen Gruppe an. Was es aber keinesfalls geben darf, das ist ein weiterer Verlust an Mensch und Territorium. Das war die letzte Grenze, die jemals überschritten wurde, "bis hierhin und nicht weiter", muss es überall und für jeden klar werden.

Es ist für mich immer noch absolut unbegreiflich, dass knapp dreißig Jahre nach dem ersten Bergkarabachkrieg keine vernüftige Friedenslösung gefunden werden konnte. Das beweist mir persönlich wieder einmal, dass Politiker aller Schattierungen entweder völlig inkompetent, Getriebene oder Ganoven sind. Nicht mehr und nicht weniger. Ich kann es kaum glauben, dass auf politischer Ebene kein Mann vom Kaliber eines Jack Nasher existiert, der einen akzeptablen Deal für alle Seiten hätte aushandeln können. Ein solcher jemand, hätte meiner Ansicht nach Donald Trump sein können, der mich aber in dieser Hinsicht sehr enttäuscht hat.

Der Welt ist es vollkommen egal, ob Arzach und selbst die Republik Armenien existiert, seien wir mit uns einfach mal ehrlich. Es interessiert ihren KfZ-Meister hier genauso wenig, wie die REWE-Kassiererin, oder den örtlichen Fahrschulbetreiber. Ich mache niemanden deswegen einen Vorwurf, die Leute haben alle genug um die Ohren. Wir sind alle von früh bis abends mit unserem alltäglichen Leben beschäftigt, gerade jetzt, während der Corona-Zeit vielleicht noch mehr als sonst. Selbst für diese Zeilen habe ich persönlich eigentlich keine Zeit, weil ich morgen wieder sehr früh aus dem Haus muss, um pünktlich auf der Arbeit zu sein. Man verlässt sich auf mich, dort und zu Hause. Ich kann und will schließlich die Probleme Honduras oder Mexikos auch nicht klären, oder mich damit befassen, weil es mit meiner Lebenswirklichkeit nun einmal nichts zu tun hat. Was mich aber sehr wohl betrifft, darüber schreibe ich ja permanent und hoffe, dass ich ein paar Leute zum Nachdenken anrege.

Es ist nett, dass Frankreich und vielleicht bald noch mehr westliche Staaten Arzach als Staat anerkennen, aber es ist zu spät und es spielt zukünftig keine große Rolle. Ohne die Gnade Moskaus würden die beiden Turk-Herrscher die Fahne mit dem Sichelmond über Jerewan schwenken. Und selbst die feinen Kemalisten würden dabei Beifall klatschen. Ich möchte ganz deutlich machen: Meine Kritik und meine Abscheu gelten keinesfalls dem einfachen türkischen, aserbaidschanischen oder generell moslemischen Bürger. Diese Menschen werden von ihren politischen und religiösen Führern in Unkenntnis gelassen oder aufgehetzt. Deren Söhne werden in Angriffskriege geschickt und kommen im Sarg oder verstümmelt zurück. Zu wenige erkennen offenbar diese Strategie des menschenverachtenden Hasses oder müssen stillschweigend wegsehen, weil sie sonst auch Opfer werden könnten. Die türkische und aserbaidschanische Gesellschaft muss breit informiert werden, über historische Begebenheiten sowie über zeitgeschichtliche Fakten. Eine andere Chance für ein friedliches Miteinander sehe ich nicht, weder im Kaukasus noch in Europa.

Dieser Einschub könnte religiöse Menschen verstören:

Manche glauben möglicherweise, dass eine göttliche Fügung noch irgend etwas Positives bewirken könnte. Ich fürchte, das wird nicht passieren. Das ist aber noch nachvollziehbar. Mir stieß aber während des Krieges bereits auf, dass bei gefallenen Soldaten von Märtyrern gesprochen wurde oder „Gott sei mit den Armeniern“ und irgendwelche Sätze mit „göttlichem Willen“ generell. Es ist mir wirklich egal wer an was glaubt und ich finde es absolut furchtbar, dass jahrhunderte- bzw. jahrtausende alte Klöster und Kirchen an Moslems fallen oder übergeben werden müssen und teilweise bereits absichtlich beschädigt wurden. Aber ich muss das brutal und direkt sagen: Euer Gott war während der Pogrome im 19. Jahrhundert nicht da, er war 1915/16 nicht, er war 1988 und Anfang der 1990er nicht da. Der Erfolg im Krieg um Bergkarabach war einst der militärischen Führung geschuldet, nicht Gott. Er war auch Anfang der 1940er Jahre nicht bei seinem anderen Lieblingsvolk. Warum sage ich das so provokativ? Weil die Juden das auserwählte Volk Jahwes sind und es gab dennoch die Shoah. Die Armenier waren das erste Volk, dass das Christentum als Staatsreligion annahm, worauf man sich irgendwie einbildet, dass man auch irgendwie auserwählt sei. Offenbar wurde diese neue Religion auch problemlos angenommen, aber es hatte nichts genutzt, denn die Armenier waren nicht so oft unter eigener Verwaltung, sondern unter Besatzung. Aber klar, die armenische Kirche war der Kitt, der alle zusammenhielt. Letztlich wurden ihre Gebete nie erhört und wurden fast ausgerottet. Und jetzt war er wieder nicht da. Und soll ich euch etwas sagen? Egal woher ihr seid und welcher Religion ihr angehört: Eigentlich ist Gott nie da, nie wenn Babys und Kinder elendig an Hunger oder Krankheiten verrecken müssen oder im Krieg massakriert werden oder wenn sie vergewaltigt und ermordet werden. Er gibt nicht einmal jenen Unschuldigsten unter den Unschuldigen die Möglichkeit, wenigstens einen Lebenstag auf Erden zu verweilen. Verschonen Sie mich bitte mit Gott und seiner Barmherzigkeit und sonstigen Phrasen. Von allen Religionen ist mir zwar die christliche, trotz konfessioneller Unterschiede, immer noch am sympathischsten, das gebe ich gerne zu, aber ich verzichte darauf. Andere könnten nun argumentieren, dass man bestraft wird für seine persönliche Sünden oder es eine Kollektivschuld für was auch immer gibt. Na, das ist dann aber ein ganz besonders gütiger Gott, fast schon so launisch, wie er einst im Alten Testament war. Bitte keine Theodizee-Debatten oder ähnliches.**

Zurück zum Thema: Ich lese und höre mir, wie alle interessierten Laien, die verfügbaren Expertenansichten durch und habe wie jeder natürlich eine Meinung. Und selbstverständlich hätte ich, wie alle anderen, alles anders gemacht, weil wir ja alle total qualifiziert sind oder zumindest über den totalen Überblick verfügen was Staats- und Armeeführung angeht. Nein, aber im Ernst: Meine Ansicht, wie ich sie in den anderen Blogs beschrieb, scheint gar keine komplette Außenseiteransicht zu sein, denn ich werde quasi täglich bestätigt. Ich kann und will sie nicht dazu zwingen mein Buch zu kaufen, (von dem übrigens bis Jahresende jeder Cent vom Gewinn gespendet wird) aber schon dort versuchte ich gewisse Sachverhalte darzulegen, ohne in Verschwörungstheorien abzugleiten und gleichzeitig deutlich zu machen, dass es unerheblich ist, was "die da oben" aushecken.

Armenien und Arzach waren womöglich zusammengenommen ein notwendiges Übel für die Großmächte. Es geht wohl hierbei um mehr als das, was ich bisher beschrieb. Jeden Tag gibt es schließlich neue Informationen, aber mir geht es nicht darum tagesaktuell zu sein, sondern quasi das Große und Ganze im Blick zu haben. Es geht möglicherweise noch mehr um den Iran als ich erwartet hätte. Wenn es wahr ist, dass der Iran hätte angegriffen werden sollen bzw. deren Atomanreicherungsanlagen usw., in einer zweiten Amtszeit Donald Trumps, dann frage ich mich trotzdem: Und was hat nun Arzach damit zu tun? Weder als Aufmarschgebiet noch als Knotenpunkt für Überflüge ist die gesamte Region relevant. Mit viel Phantasie könnte man sagen, dass der Südzipfel Armeniens, der vom FSB künftig kontrolliert wird und den Zugang zwischen Aserbaidschan und Nachitschevan darstellt, auch von der NATO benutzt werden dürfte. Denn die Türkei ist NATO-Partner und Aserbaidschan kein Freund des Iran, obwohl beide Staaten schiitisch sind und zudem sind viele Iraner Aseris. All das blutige Schauspiel um Bergkarabach wäre demnach nur die Vorstufe bzw. Vorbereitung zum großen Krieg gegen die Mullahs. Würden also die USA den Iran angreifen und Russland verhielte sich neutral, würde der Iran zuerst seine Raketen gegen Israel schicken. Da aber in Aserbaidschan höchstwahrscheinlich bereits mindestens ein israelischer Stützpunkt eingerichtet ist, von wo aus Drohnen oder Marschflugkörper eingesetzt werden können, wäre die Gefahr etwas niedriger für Israel vernichtet zu werden. Selbst wenn es diesen Stützpunkt nicht geben sollte, dann darf Israel ziemlich sicher, den Luftraum Aserbaidschans für Raketen und Bomber benutzen. Das alles habe nicht ich mir ausgedacht, das ist auch kein Geheimwissen. Sogar wenn all diese Möglichkeiten nicht gegeben wären, dann würde Israel dennoch nicht untergehen, weil es über die beste Landesverteidigung der Welt verfügt und daran sollte sich Armenien orientieren.

Die Armenier sind nach dieser Auffassung somit nur lästig und man behilft sich indem man die Drecksarbeit den Turkvölkern überlässt, die dann auch ein wenig ihren Willen bekommen. Sinn ergibt das alles dennoch nicht. Eines ist jedenfalls jedem ordinären Analysten klar: Ein neuer Atlas sollte noch nicht in Druck gegeben werden, denn in wenigen Jahren werden die Grenzen vom Südkaukasus bis in die Levante neu gezogen.

Anstatt unsere Kinder zukünftig für Raumschiffe auszubilden, werden wir sie wohl zu Drohnenpiloten ausbilden müssen. Krieg ist immer pervers, aber es wird noch abartiger werden, weil ferngesteuerte Roboter als Bodentruppen agieren werden. Das wird nicht in 23 Jahren passieren, sondern in vielleicht schon in 2,3 Jahren – mark my words. "Sauberes Töten" ist somit endlich machbar, aber dadurch vielleicht auch vermeidbar. Der Ministerpräsident Armeniens besucht in diesen Tagen Firmen, die sich mit künstlicher Intelligenz und moderner Kriegsführung beschäftigen. Die Abschreckungspolitik könnte also gerade begonnen haben und Ankara und Baku zum Frieden zukünftig zwingen.

Ich sehe aus mehreren Gründen, die ich aus Platzgründen nicht aufzählen kann, schwarz, dass in den kommenden zwanzig Jahren vernunftgeleitete Menschen in hohe politische Ämter gelangen werden. Achtung „Verschwörungstheorie“: Das ist auch nicht gewollt. Aber es könnte sein, dass dies die letzte Kriegstreiber-Generation ist, die an der Macht ist. Mir fehlt aber auch hierfür der Glaube daran.

https://www.rcinet.ca/en/2020/11/25/the-nagorno-karabakh-knot-episode-2-neil-hauer/ https://www.rcinet.ca/en/wp-content/uploads/sites/3/2020/11/gettyimages-1229689418-635x357.jpg

* Bestimmt wird sich irgendwer an diesem Wort reiben. Der Begriff ist aber eigentlich richtig gewählt, weil Landsmann in meinem Kontext falsch gewählt wäre. Und Angehöriger der armenischen Nation oder des armenischen Volkes wäre zu umständlich jedes Mal auszuschreiben.

** Wussten Sie, dass der erste namentlich erwähnte Atheist ein Deutscher im 17. Jahrhundert war? https://www.grin.com/document/461616

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