Zukunft abgelehnt - Wie politische Einstellungen eine Stadt lähmten

Ein Signal gegen Vielfalt: Was der Rückzug eines Investors über unsere Gesellschaft sagt

Es hätte ein Aufbruch werden können. Ein gemeinsames Projekt für eine Region, die wirtschaftlich zu kämpfen hat, aber strukturell Potenzial besitzt. In Onstmettingen, einem Stadtteil von Albstadt, plante die Stadt auf dem Gelände der ehemaligen Textilfabrik Wohnhas den Bau einer zentralen Kindertagesstätte – nicht aus eigener Kraft, sondern in Zusammenarbeit mit der privaten Benevit-Gruppe. Zehn Millionen Euro wollte der Unternehmer Kaspar Pfister investieren. Der Plan war ambitioniert, aber durchdacht: eine Pflegefachschule, angebunden an die bereits bestehende Pflegeeinrichtung vor Ort, kombiniert mit einer städtischen Kita. Ein Doppelprojekt, das nicht nur den akuten Mangel an Pflegekräften adressiert hätte, sondern auch die Betreuungssituation für Kinder verbessert hätte, zu einem Zeitpunkt, an dem die Stadt ihre bisherigen Kita-Gebäude als baufällig einstuft und kaum Spielraum im Haushalt hat.

Doch der Traum platzte, noch bevor das Vorhaben überhaupt den Stadtrat erreichte. Der Grund: das Wahlergebnis. In zwei Wahllokalen in Onstmettingen erreichte die AfD 33 und 37 Prozent. Für Pfister war das ein Signal, nicht bloß ein Ausdruck politischer Unzufriedenheit, sondern ein Misstrauensvotum gegen genau jene Vielfalt, für die sein Unternehmen steht. „Es geht hier nicht nur um Ausbildung, sondern um Integration“, betont er. Und dort, wo lautstark von „Remigration“ gesprochen werde, wolle er keine Schule bauen.

Der Rückzug war keine spontane Entscheidung, sondern das Ergebnis wachsender Zweifel, genährt durch ein gesellschaftliches Klima, das sich in Teilen zunehmend gegen das richtet, was das Projekt verkörpern sollte: Offenheit, Zusammenarbeit, Zukunft.

Pfister hätte in Onstmettingen vor allem Menschen mit Migrationsgeschichte zu Pflegekräften ausgebildet, Menschen, die nicht nur dringend gebraucht werden, sondern auch bereit sind, sich in eine Gesellschaft einzubringen, die ihnen häufig skeptisch begegnet. Diese Skepsis, so Pfister, sei mittlerweile so greifbar geworden, dass Investitionen in sozialen Zusammenhalt nicht mehr planbar seien. Der Standort war ideal, die Baupläne weit fortgeschritten, Architektenmodelle lagen vor, Schulklassen waren konzipiert. Aber das Gefühl der Ablehnung wog schwerer als jede betriebswirtschaftliche Kalkulation.

Oberbürgermeister Roland Tralmer, der die Entscheidung bedauert, spricht offen über die Risiken. Wenn ein Drittel der Bevölkerung einer Partei folgt, deren Programm sich offen gegen Zuwanderung stellt, dann sei die Akzeptanz für Projekte wie das von Benevit nicht mehr garantiert. Auch wenn Tralmer betont, dass nicht jeder AfD-Wähler ein Überzeugungstäter sei, bleibt die Sorge: Wer Vielfalt ablehnt, verliert nicht nur moralisch – er verliert auch ganz konkret Chancen. Chancen auf Investitionen, auf Bildung, auf Versorgung. Oder, wie Tralmer es zugespitzt formuliert: „Meinen Rollstuhl wird einmal kein Original-Schwabe schieben.“

Pfister, der mit seiner Firma an 32 Standorten 48 Einrichtungen betreibt und rund 1.800 Menschen beschäftigt – davon fast 500 aus 67 Nationen –, wollte mit dem Projekt in Onstmettingen ein Zeichen setzen. Dass er sich nun öffentlich zurückzieht, ist keine Trotzreaktion, sondern eine politische Botschaft. Auch andere Vorhaben, etwa das geplante Ärztehaus in Meßstetten, geraten ins Wanken. Auf die Frage, ob die Entscheidung in Onstmettingen Folgen habe, antwortet Pfister knapp: „Das macht es nicht leichter.“ Und mehr muss er nicht sagen.

Für die Stadt ist die Lage nun prekär. Der Kita-Bau ist aus eigenen Mitteln nicht zu stemmen. Die bestehenden Einrichtungen sind nicht mehr sanierungsfähig, der Bedarf an Plätzen ist hoch, die Perspektiven unklar. Man beginne wieder bei null, heißt es aus dem Rathaus. Was bleibt, ist eine Lücke – und das Wissen, dass sie nicht hätte entstehen müssen.

Und all jenen, die die AfD aus Protest gewählt haben, sei gesagt: Wer Parteien unterstützt, die Vielfalt bekämpfen und Integration verhindern wollen, wählt nicht nur gegen „die anderen“. Er wählt auch gegen sich selbst. Gegen die Erzieherin, die fehlt. Gegen den Pfleger, der nicht kommt. Gegen den Investor, der nicht mehr investiert. Politik ist keine Meinungsäußerung ohne Folgen, sie ist eine Entscheidung mit Wirkung. Und diese Wirkung zeigt sich nicht in Talkshows, sondern im Alltag: in geschlossenen Kindergärten, in überlasteten Pflegeheimen, in fehlenden Zukunftsperspektiven.

Pfister nennt es Rückzug. Tralmer nennt es Risiko. Onstmettingen nennt es: eine vertane Chance.

Und vielleicht wird man eines Tages zurückblicken und erkennen, dass es nicht ein Großprojekt war, das gescheitert ist, sondern eine Haltung. Eine Haltung, die lieber trennt als verbindet, die lieber abschottet als gestaltet. Eine Haltung, die am Ende nicht schützt, sondern lähmt. Wer in einer alternden Gesellschaft glaubt, auf junge, internationale Hilfe verzichten zu können, hat das Prinzip Zukunft nicht verstanden.

Und wer glaubt, dass man eine Kita bauen kann, ohne Platz für Vielfalt zu schaffen, der wird lernen, dass es am Ende nicht an Geld, sondern an Offenheit fehlt.

moinzon/pixabay https://pixabay.com/photos/germany-flag-banner-3115774/

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