Da wir ja in einer Zeit leben, in der einem schnell etwas unterstellt wird, schicke ich gleich voraus, dass ich natürlich kein Fan oder Freund des Recep Tayyip Erdoğan bin.
Für mich ist klar, dass dieser Putsch insofern geplant war, als dass Erdogan danach die Möglichkeit hatte, sein Regime einfach auszubauen und „ungeliebte“ Personen abzusetzen. Aber lassen wir das Offensichtliche bei Seite und beschäftigen wir uns mit dem weniger Offensichtlichen.
Dass, was Erdogan hier in Gang gesetzt hat, erinnert uns Mitteleuropäer an das wohl dunkelste Kapitel unserer jüngeren Geschichte und jedem normal denkenden Menschen stellt es die Nackenhaare auf, wenn er Worte wie „Säuberungen“ hört!
Die Frage, die ich mir jedoch seither stelle, ist, ob es in den angeblich so demokratischen westlichen Ländern nicht in Wirklichkeit auch versteckte Diktaturen gibt? In den USA (die selbsternannte Wiege der Demokratie) hat der Wähler die Möglichkeit zwischen Demokraten und Republikanern zu wählen. Eine erwähnenswerte Alternative welcher Art auch immer gibt es nicht. Wechselt der Präsident von Demokrat zu Republikaner oder umgekehrt, wird ein Großteil des Beamtenapparats ausgetauscht.
In den meisten demokratischen Ländern ist die „direkte Demokratie“ maximal ein Schlagwort in diversen Parteiprogrammen. Am Wahltag geben wir unsere Stimme ab und realitätsfremde und durch Parteiapparate ins Parlament gehobene Politiker, zumeist ohne jegliche praktische Erfahrung, beschließen Gesetze und nennen sich Volksvertreter.
Warum fürchtet man sich vor Volksbefragungen wie sie in der Schweiz an der politischen Tagesordnung sind? Für mich ist auch das eine Art Diktatur. Wenn ich alle paar Jahre ein Kreuz machen darf, das nach der Auszählung ohnedies nicht das Papier wert ist, auf dem es gemacht wurde, und dann habe ich bis zur nächsten Wahl keinerlei Mitspracherecht an der politischen Gestaltung dieses Landes, ist das für mich nur beschränkt als Demokratie zu werten!
Und erinnern wir uns Österreicher zurück an den Machtwechsel zu Schwarz/Blau und dann wieder zurück zu Rot/Schwarz. Was war das erste, das diese neuen Regierungspartner machten? Sie verbrachten die ersten Monate damit, Ihre Parteifreunde in die notwendigen Positionen zu setzen, die politische Tagesarbeit war gleich zweitrangig.
Dass dieser Mann in der Türkei die schlimmste Art von machtgeilem Menschen ist, bleibt unbestritten, dass all das, was sich in der Türkei seit diesem „Putschversuch“ abspielt untragbar ist, ebenfalls. Sieht man sich die politische Weltlage jedoch genau an, ist der einzige Unterschied zwischen Erdogan und unseren Politikern, dass er sich nicht die Mühe macht, seine Diktatur versteckt aufzubauen! (Natürlich ist das sehr überspitzt dargestellt) Das wahrlich gefährliche an dem Mann ist die Tatsache, dass er ein Volk hinter sich hat, das emotional, teils radikal und auf eine gefährliche Art und Weise begeisterungsfähig ist („Die Welle“). Eine gefährliche Kombination gepaart mit religiösen Auslegungen einer Glaubensrichtung, die, ganz offensichtlich, immer radikaler wird! Ein Pulverfass der gefährlichsten Richtung.
Vielleicht ist er aber auch deshalb so beliebt (nicht nur in der Türkei, auch bei Türken in Europa), weil er Führung repräsentiert und weil sich der Mensch in der heutigen Zeit genau danach ein stückweit sehnt. Natürlich ist dieser Gedanke bei uns in Europa absolut undenkbar, andererseits könnte der stetig wachsende Erfolg von rechtspopulistischen und straff geführten Parteien auch bei uns darauf hinweisen, dass eine steigende Anzahl von Menschen sich nach dieser Art Führung sehnt, anstatt der Wischiwaschi-Stillstandspolitik der Alt- und/oder Alternativparteien!
Die Reaktionen der westlichen PolitkerInnen werden substanzlos bleiben, weil die Türkei als NATO-Partner unentbehrlich für die militärisch-strategischen Überlegungen ist. Man kann als Politiker eines anderen NATO Staates quasi nur mit dem erhobenen Zeigefinger „Du Du“ sagen, aber mehr nicht! Erdogan weiß das natürlich, daher kann er auch ungeniert handelt, viel zu groß ist die Gefahr, dass er sich von heute auf morgen auf die Seite Russlands schlägt und alle von der NATO stationierten Waffensystem von heute auf morgen in die Hände Putins fallen können!
Die Frage, die wir uns alle stellen müssen, ist, ob wir Erdogan nicht für etwas verdammen und verteufeln, was unsere PolitikerInnen auch leben, nur halt unter dem Deckmantel der westlichen Demokratie, der politisch korrekten Formulierungen und der faulen Kompromisse, die uns allen weniger offensichtlich die Diktatur ins Aug stechen lassen! Überwachungen, Datenspeicherungen, Abhörmaßnahmen u.s.w. die seit 9/11 stetig wachsen, wären der Beweis dafür, dass der Staat – wenn auch vielleicht nicht der eigene – totalitär über seine Bürger herrscht!
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