Abschied in Raten - das Ende der sozialen Kontakte

Heute habe ich auf meinem Handy gesehen, dass ich einen verpassten Anruf habe. Zu meiner Schande muss ich sagen, dass der Anruf schon vor ein paar Tagen stattgefunden hat. Mein Mobiltelefon erfüllt seinen Zweck selten. Oft genug bleibt es zu Hause liegen - Josef hat seines meist mit, und so sind wir für die Kinder immer erreichbar. Genauso bringt mir Josef mein Handy zum Auto, wenn ich alleine unterwegs bin, damit ich anrufen kann, wenn es notwendig sein sollte. Dann bleibt es eben sehr oft auch tagelang unbenutzt im Auto liegen.

Und heute eben habe ich es wieder aus dem Auto gefischt, ans Ladegerät gehängt und ein paar Stunden später auch wieder aufgedreht. Der Signalton hat mir diesen einen verpassten Anruf gemeldet. Eine Nummer ohne Namen. Also hat sich wer verwählt, denke ich.

Hätte der Anruf mir gegolten, so hätte man doch in den letzten Tagen bestimmt nochmals angerufen.

Der verpasste Anruf ist aber doch ein Highlight. Ich kann Josef etwas nicht Alltägliches mitteilen, auch wenn es an Bedeutunglosigkeit nicht zu übertreffen ist. Josef ist von Natur aus etwas neugieriger als ich - vor allem interessiert es ihn brennend, wer seine Frau anruft. Hin und wieder galoppiert seine Phantasie dann mit ihm durch.

Ich drücke ihm also das Handy in die Hand - meinetwegen soll er zurückrufen. Josef nimmt das Handy und inspiziert meine Anruflisten um dann festzustellen, dass von dieser Nummer erst ein einziges Mal angerufen worden ist. Ich bescheinige Josef, dass diese Information bestimmt überlebensnotwendig war und lasse mich vom Singsang meiner Mutter einlullen. Der Hund hat es ihr angetan. Sobald sie den Hund vorm Haus sieht, fragt sie, ob das ein Hund ist. Je nach Laune ist das ein Hund, ein Wolf, ein seltsam aussehendes Schaf oder auch ein zu groß geratener Fuchs. Hin und wieder muss auch die Katze herhalten - aber wenn schon die Fragen immer die selben sind, dann möge man uns nachsehen, dass wir beim Antworten etwas Kreativität ausleben. Meiner Mutter sind die Antworten völlig gleichgültig - vielleicht hört sie sich auch nur gerne fragen.

Josef beäugt immer noch das Handy. So, als würde ihm das Handy durchs Anstarren offenbaren, wer angerufen hat. Ich bin in Stichellaune und sage mit ernster Mine, dass ich mir einen Liebhaber zugelegt und nur vergessen habe, die Nummer zu löschen. Fünfzehn Jahre Ehe haben Josef für meine Art von Humor abgehärtet und er grinst mich an und sagt mir auf den Kopf zu, dass er das nicht so recht glauben will. Meine Mutter hat das Wort Liebhaber aufgeschnappt und findet den Hund vorm Haus auf einmal sehr unspektakulär und wenig spannend. Liebesgeschichten hört meine Mutter gerne, vor allem wenn sie selber die Hauptdarstellerin ist, aber heute muss ich sie leider enttäuschen.

Zwei Minuten Schweigen später hat meine Mutter das Wort wieder vergessen und fragt freudestrahlend, ob draußen ein Hund wäre.

Josef lässt die Telefonnummer nicht in Ruhe. Allerdings ist es ja auch mein Handy und eigentlich ist das meine Privatsache, meint er. Ein winziger Hauch von Zweifel schwingt in seiner Stimme mit. Wir beide wissen ganz genau, dass die Betreuung meiner Mutter auch eine Belastungsprobe für unsere Ehe sein könnte. Sich einfach mal wieder lebendig fühlen.... wer weiss.

Ein bisschen Mitleid habe ich nun doch mit Josef, auch wenn es mich ärgert, dass er mir einen Liebhaber zutraut. Ich nehme ihm das Handy aus der Hand und rufe die Nummer halt zurück.

Es meldet sich der Anrufbeantworter. Einer der Taufpaten meiner Kinder.

Ich bin verwirrt. Vor allem, weil die Telefonnummer ja gespeichert hätte sein sollen. Ich sage Josef, wer angerufen hat und überlege, ob sich der Taufpate eine neue Nummer zugelegt hat. Josef fischt nun sein Handy heraus und überprüft das - sicher ist sicher. Die Nummer ist noch die alte.

Und dann fällt es mir ein... ich habe im Frühling vor rund zweieinhalb Jahren mein Handy verloren. Irgendwo in Wien, als einer der Söhne beim Heer war und seine Angelobung hatte. Nachher war das Handy nicht mehr auffindbar.

Am Abend, als meine Mutter schon zu Bett gegangen war, hocken Josef und ich noch zusammen und reden über unsere sozialen Kontakte. Oder besser - über die sozialen Kontakte, die wir vor dem Einzug meiner Mutter noch hatten. Wenn man jetzt die eigenen Kinder nicht zählt, dann ist unterm Strich meine Schwester geblieben - und manchmal auch die Kinder meiner Schwester.

Und dann sitzen wir nur noch da und schweigen. Was soll man auch noch großartig dazu sagen........

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Joekah

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Silvia Jelincic

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