Nichtsahnend sitze ich mit meiner Mutter beim Frühstück. Manchmal frage ich mich schon, woran es liegt, dass mich gewisse Dinge immer von der Breitseite her erwischen. So, dass ich keinerlei Abwehrhaltung einnehmen kann und dass allein schon der Gedanke an Flucht zuviel Zeit kosten würde. Habe ich keine innere Stimme, die mich davor warnt, wenn es emotional so brenzlig wird, dass es sogar mich bildlicherweise aus den Latschen wirft.
Meine Mutter hat offensichtlich ein Gespür dafür. Nicht anders ist es zu erklären, warum sich das heutige Frühstückstischgespräch in genau diese Richtung gewendet hat, die mich dann sprachlos machen wird.
Ich sitze also da, sehe in das wie gewöhnlich sehr harmlose Gesicht meiner Mutter und überlege, wo Josef die Tageszeitung versteckt hat. Nicht, dass er sie absichtlich versteckt, seine Ablageorte sind nur kreativ gewählt. Die beliebtesten Stellen der Zeitungsablage habe ich schon gecheckt, fündig würde ich allerdings nicht. Meine Mutter kaut bedächtig an einem Stück Toast. Wenn es so heiß ist, dann ist das mit der Nahrungsaufnahme immer so ein Problem. Jeder Bissen muss vorab besprochen werden, manchmal hilft nur mehr der Griff in die Kindertrickkiste - ein Bissen für mich, und einen für Josef, einen für die Katze und so weiter. Klingt grenzdebil, aber der Zweck heiligt hier definitv die Mittel. Verstehen kann das nur jemand, der in einer ähnlichen Situation ist. Wir lassen meiner Mutter viel Freiraum, aber Essen, Trinken und die Medikamente sind leider unvermeidbar.
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Es ist ein mühsames Frühstück. Meine Mutter hat nicht gut geschlafen, wie gesagt - es ist einfach zu warm. Plötzlich habe ich das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen. Meine Mutter fixiert einen Punkt in meinem Gesicht. Sie habe einen Wunsch, teilt sie mir mit. Wünsche sind bei meiner Mutter selten, wenn man davon absieht, dass sie in regelmäßigen Abständen sterben will, was ihr bisher aber verwehrt blieb.
Ich wappne mich innerlich wieder auf ein Gespräch über das Sterben und vollziehe ebenso innerlich ein Kreuzzeichen - hallelujah.... es ist also wieder mal so weit.
Und wie erwartet, beginnt der Satz damit, dass sie vom Tod spricht. Da der Zeitpunkt ja näher kommt, das spüre sie genau, würde sie eben gerne etwas vorher mit mir besprechen. Ich überlege, wo meine Mutter hingekommen ist - die demente meine ich - das was sie sagt, klingt irgendwie so klar und durchdacht. Sogar ihr Augen erscheinen mir heute anders - blitzblau und bei weitem nicht so trüb wie sonst. Es ist auch nicht der weinerliche Singsang, der für gewöhnlich die Sterbensgespräche dominiert. Das macht mich neugierig.
Nun, sage ich, geht die Geschichte jetzt weiter? Meine Mutter fragt mich, ob ich es denn nicht erwarten könne und ein bisschen Boshaftigkeit schwingt in diesen Worten mit. Das ist definitiv meine Mutter, denke ich bei mir, verkneife mir aber einen weiteren Kommentar.
Ich will, dass du meine Hand hältst, sagt sie und lässt mich unwissend sitzen, während sie nun doch das letzte Stückchen Toast verspeist. Ich warte, ob noch was kommt. Aber sie kaut ihren Toast und schweigt. ich denke bei mir, dass ich sie in Ruhe zu Ende essen lassen werde - wer weiß, ob eine Unterbrechung nicht dazu führt, dass sie dann nichts mehr isst.
Nach einer Weile, meine Mutter hat fertig gefrühstückt, erscheint ihr der Zeitpunkt gekommen, den scheinbar achtlos liegen gelassenen Faden des Gesprächs wieder aufzunehmen. Also... wie ist das jetzt, wirst du meine Hand halten. Wobei, frag ich und wische mir ein paar Krümel vom Kinn.
Wenn ist meinen letzten Weg antrete, sagt sie und lässt mich dabei nicht aus den Augen.
Tja, und dann bin ich sprachlos. Vor allem, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Das erste was mir einfällt, ist die Tatsache, dass ich möglicherweise ja gar nicht mitbekommen muss, wann sich meine Mutter auf den Weg macht. Sie könnte irgendwann einfach einschlafen und morgens nicht mehr aufwachen, was ihr zu wünschen wäre. Ich schlucke erstmal den Kloß herunter, der sich in meinem Hals bildet. Was für eine Bürde legt mir meine Mutter da auf. Mir wird flau im Magen - Dinge, die ich vom Verstand her nicht lösen kann, belasten mich. Kann ich ein Versprechen geben, dass ich möglicherweise nicht halten kann, weil die Umstände es nicht zulassen? Oder soll ich meiner Mutter einen Wunsch abschlagen, nur weil meine Vernunft mir sagt, dass ich hierzu kein Versprechen geben kann. Ich fühle mich elend.
Der Blick meiner Mutter verändert sich. Es liegt ein hilfloses Flehen darin. Sie will definitiv sicher stellen, dass sie im Augenblick ihres Todes nicht alleine ist. ich verspreche ihr also, dass ich mich bemühen werde, da zu sein, wenn es so weit ist. Das erscheint mir fair und richtig. Ich bin nicht sicher, ob es meine Mutter zufriedenstellt, aber das Thema ist offensichtlich für sie abgeschlossen.
Als ich endlich wage, sie wieder direkt anzusehen, sind die Augen wieder trüb. Sie fragt mich, wo Josef ist. Der Tag geht weiter seinen gewohnten Gang.
Übrigens.... alles Gute zum Geburtstag, Mama.