500.000 Arbeitslose? Dann müssen wir eben alle weniger arbeiten!

Zwölf Prozent der Menschen, die arbeiten könnten, tun das nach nationaler Definition nicht. Zwölf! Weil sie als arbeitssuchend gemeldet sind oder in Schulungen stecken. Dabei wäre es an der Zeit, endlich weniger zu arbeiten.

Schreiben Sie doch einmal auf, wie viele Stunden in der Arbeit Sie tatsächlich etwas Produktives tun. Ich wette mit Ihnen, es sind weniger als die acht Stunden, für die Sie bezahlt werden. Und ich verwette auch mein Erspartes drauf, dass die meisten von Ihnen nicht deshalb fünf Tage die Woche von neun bis fünf im Büro sitzen, weil es dort so schön ist, sondern weil Sie für Ihren Lebensstil einfach so und so viel Geld brauchen, das Sie eben nur für Vollzeitarbeit bekommen. Und da rede ich auch nicht von einem übertrieben luxuriösen Lebensstil.

Streuen wir über dieses Gedankenmodell noch ein paar Dinge drüber. Etwa eine sechste Urlaubswoche. Oder dass sich Unternehmen für anfallende Überstunden rechtfertigen müssen. Und noch eine komplette Erleichterung für Existenzgründer*innen und andere Selbständige, also dass die Progression der Sozialversicherungsbeiträge komplett anders wäre – falls Sie lieber auf eigene Rechnung arbeiten wollen.

So eine Umstellung geht nicht von heute auf morgen. Sie scheint aber auf lange Sicht alternativlos, weil es ganz offensichtlich nicht möglich ist, in der heutigen Zeit genug Jobs zu schaffen. Selbst die vorsichtigere Berechnung von Eurostat, die Österreich bei nur 5,1 Prozent Arbeitslosigkeit sieht, spuckt für die Europäische Union eine Quote von zehn Prozent aus. Nur: Wer soll das am Ende des Tages bezahlen, gerade in Österreich, einem Land, in dem im internationalen Vergleich Arbeit sehr hoch mit Abgaben belastet ist?

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber wenn ich das Geschichtsbuch aufschlage und sehe, dass vor hundert Jahren die Menschen in Wien ihre Betten vermietet haben, damit die darin schlafen können und die Normarbeitszeit in dieser Zeit bei rund 60 Stunden Arbeit pro Woche lag, sehe ich da Land. Damals hat sich auch noch keiner vorstellen können, dass wir mit einem kleinen Kästchen mit Menschen am anderen Ende der Welt sprechen können und sie dabei sehen, oder dass einmal ein Mensch am Mond spaziert und so weiter. Einhergehend mit einer echten Reform der Abgaben auf Arbeitseinkommen muss da was gehen.

Natürlich tobt in der Volkswirtschaftslehre ein Streit, ob eine Arbeitszeitverkürzung überhaupt etwas bringen würde. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass Berechnungen rein nach Produktivität zu kurz greifen. Im primären und sekundären Sektor der Wirtschaft, der Urproduktion und dem industriellen Sektor, arbeitet in Österreich nur rund ein Viertel der Angestellten. Der Rest ist im Dienstleistungssektor zu finden.

Diese Tertiärisierung des Arbeitsmarktes in einer postindustriellen Gesellschaft führt auch dazu, dass traditionelle Berechnungen der Produktivität kaum greifen. Wie misst man etwa Erfolg im Sozialbereich? Wie viel Haare müssen geschnitten werden, damit ein*e Friseur*in „produktiv“ ist? Oder bemisst sich der Erfolg einer Servierkraft daran, wie viele kleine Braune tatsächlich durch Arbeit „produziert“ wurden? Eine Milchmädchenrechnung dazu: Wenn drei Leute 40 Stunden arbeiten und dann nur noch 30, muss eine neue Arbeitskraft eingestellt werden.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut errechnete 2013, dass eine Reduktion der Wochenarbeitszeit schon auf 35 Stunden 130.000 neue Arbeitsplätze schaffen würde. Vermutlich müssten die Arbeitsnehmer*innen den Unternehmen auch etwas entgegen kommen. Das ist in dieser Studie im Ausmaß von vier Prozent einberechnet. Das wären 2013 gemäß Statistik Austria bei einem geschlechterübergreifenden Medianeinkommen inklusive 13. und 14. Gehalt von 1.808 Euro im Monat Einbußen von rund 70 Euro. Gegengerechnet mit den 730 Euro, die man steuerfrei allenfalls dazu verdienen darf wäre das eine monatliche Einbuße von 10 Euro.

Alles offene Fragen, deren Antworten noch ausstehen. Fakt aber ist, dass es in der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung wohl kaum Möglichkeiten gibt, in halbwegs absehbarer Zeit genügend neue Arbeitsstellen zu schaffen. Dann muss die Arbeit aufgeteilt werden. Angesichts von bald einer halben Millionen Arbeitssuchender sowie 300 Millionen Überstunden und Mehrarbeit wohl ein Gedankengang, mit dem sich Politik und Wirtschaftstreibende ernsthaft auseinander setzen sollten.

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