Es ist ungefähr ein Jahr her, da kamen hunderttausende Menschen aus diversen Krisenregionen in Europa an. Unzählige für uns namenlose Menschen haben ihre Flucht nicht überlebt, wurden schon im Herkunftsland massakriert, auf dem Weg erschossen oder sind im Mittelmeer ersoffen.
In Europa wird indes diskutiert, wie Flüchtlinge „aufgehalten“ werden können. Deals mit zwielichtigen Staatschefs machen die einen, die anderen entsenden schon das Militär „um den Flüchtlingsstrom einzudämmen“ oder wollen, wie NEOS-Chef Matthias Strolz, unter dem Deckmantel „europäische Integration“ ein neues Heer aufstellen, um die Außengrenzen der Europäischen Union zu schützen.
Die Nutznießer der „Flüchtlingskrise“ sind in Europa Rechtsaußenparteien. Diese beherrschen seit Jahrzehnten den Klassenkampf. Nämlich das Ausspielen der Klassen, die ohnehin schon marginalisiert sind, gegeneinander. Gerade in Österreich wollen Christkonservative, also FPÖ und ÖVP, soziale Errungenschaften wie die Mindestsicherung kürzen. Als Grund werden Flüchtlinge genannt, die „nichts ins Sozialsystem einzahlen“ und dennoch davon profitieren sollen. Und – schwups! - wurde aus der Forderung der Leistungen für (anerkannte) Flüchtlinge die Forderung der Deckelung für alle Menschen, die Mindestsicherung beziehen.
Überzuckert wird diese Thematik noch mit der diffusen Angst vor einer „Islamisierung“, die auf statistischer Ebene beinahe jeder Grundlage entbehrt. 2010 waren laut dem renommierten PEW Researsch Center knapp sechs Prozent der Europäer*innen Muslime. 2050 werden es zehn Prozent sein. Selbst wenn möglicherweise die „Bekenner*innenquote“ steigen sollte, heißt das ja nicht gleichzeitig, dass es mehr Menschen einer gewissen Religion gibt. Sei's drum.
Aber Angst ist eine starke Triebfeder. Das wissen Populisten zwischen Athen und Stockholm.
Natürlich ist es eine Mammutaufgabe, die vielen, im Verhältnis aber recht wenigen, Menschen, die da kommen, zu integrieren. Ihnen Bildung zu ermöglichen, einen Job, Wohnraum. Und dass jene, die sich radikalen Ideen zuwenden, weil sie an sich und der neuen Heimat scheitern, keine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Wir müssen uns schon bewusst sein, dass das alles nicht im Vorbeigehen geschieht und neben Zeit und Geduld auch Geld kostet. Aber in Verhältnis zu den „echten“ Problemen, sind das Peanuts. Denn mit „echt“ meine ich jene Problemlagen, die alle Menschen betreffen.
Die Frage, ob mit dem Asylrecht etwas geschehen sollte oder nicht, ist im Grunde gar keine. Nachdem Asyl ein Menschenrecht ist und Österreich/die EU durch diverse völkerrechtliche Verträge verpflichtet ist, es zu gewähren, braucht man darüber keine links/rechts-Diskussion vom Zaun brechen. Selbiges gilt für für die Thematik der Islamisierung. (Religiöser) Fundamentalismus ist schließlich in allen Glaubens- und Ideologierichtungen abzulehnen, vom Staat hoheitlich zu überwachen und zu bekämpfen. Dabei ist es wichtig anzuerkennen, dass die Verhinderung von Anschlägen – siehe Frankreich – mit Einschränkung von Grundrechten auch nicht möglich ist. Denn Terror gehört wohl leider dazu, egal, woher er kommt. Ich habe hier dazu schon gebloggt.
Die Themenblöcke „Asyl“ und „Islamisierung“ sind eher Marketinginstrumente für populistische Parteien und Boulevardmedien, als virulente Themen, die uns alle angehen sollten. Einen Einblick liefern jeden Tag die Social Media-Kanäle solcher Parteien oder die Medien selbst. Wer letztlich glaubt, dass Vorgänge wie in der Türkei wirklich etwas mit der Religion Islam an sich zu tun hat, der sollte sich noch einmal die europäische Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ansehen.
Fiskalisch viel interessanter sind Themen wie kalte Progression, Verteilungsgerechtigkeit, Bildung, Gesundheitswesen, Umweltschutz und so weiter.
Aber das ist vermutlich viel zu fad. Wer ständig nur auf „die Ausländer“, „die Armen“ hinhaut, will Klicks generieren oder politisches Kleingeld heraus schlagen. Darauf können wir doch nicht allen Ernstes alle reinfallen!