Neulich habe ich irgendwo unter einem Text auf fisch+fleisch einen empört verfassten Satz gelesen, sinngemäß: Wennst heute in eine Schule gehst, weißt gar nicht mehr, wer die Buben und wer die Mädels sind.

Unlängst laufe ich durch einen Supermarkt, in dem ich sonst nicht bin. Vom Arbeitstag schon recht müde irre ich durch die Gänge auf der Suche nach dem, was auf dem Einkaufszettel steht. In der Abteilung für Süßwaren steht eine Mutter mit ihrem Kind. Der Bub zeigt auf ein längliches violettes Produkt und plärrt. Die Mutter herrscht ihn an: „Echte Männer weinen nicht!“

Ein Indianer kennt keinen Schmerz! So benimmt sich doch kein Mädchen! Der ist ein Bub, der muss wild sein! - Kommen Ihnen diese Sätze bekannt vor? Natürlich tun sie das, weil sie nach wie vor in unseren Köpfen sind, weil wir sie tausend Mal gehört haben. Diese Sätze drücken ein Rollenbild aus. Er, der Starke, der das Essen ran schafft, keinen Schmerz spüren darf. Sie, die Schwache, die das Essen kocht, die andauernd heult. Gut, die Eltern unter Ihnen werden sich jetzt denken, dass Sie Ihr Kind oder Ihre Kinder sowieso ganz anders erziehen. Das ist gut. Aber wenn ich so durch Spielwarengeschäfte laufe, mir die teuer produzierten Blockbuster ansehe, sehe, wie über Quoten, Elternteilzeit und Co. gestritten wird, erkenne ich einen Teil der Gesellschaft, der da zum Teil massiv dagegen steuert. Als kleines Kind war und ist das relativ wurscht, was auch zur Erkenntnis des eingangs zitierten Users passt. Aber irgendwann im Laufe der Pubertät beginnt der Mensch, seinen Platz in dieser Welt zu suchen.

Der Teil der Gesellschaft, der sich mit einem althergebrachten, anachronistischen Weltbild zufrieden gibt, wird immer kleiner. Nur sitzen diese Menschen an vielen mehr oder weniger wichtigen Schalthebeln. Es sind die Werbeleute, die klar definierte Zielgruppen wollen; es sind Meinungsmacher, die es sich in ihrem dichotomen Weltbild gemütlich gemacht haben. Und alle posaunen ihre Meinung überlaut in die Welt hinaus. Nicht wenige Jugendliche gehen der Sache auf den Leim. Schließlich ist der Einfluss von Vorbildern aus dem direkten Umfeld - Eltern, Onkel, Tanten, Pädagog*innen - ab der Pubertät enden wollend.

Die Sache wirkt. Gemäß des Jugendmonitorsdes Familienministeriums sprechen sich zwar 85 Prozent der befragten jungen Frauen und Mädchen für ein emanzipatorisches Rollenverständnis aus, aber nur die Hälfte der Burschen und jungen Männer. Vor einiger Zeit stolperte ich zudem über einen älteren Artikel auf Spiegel-Online, der dieses Rollenbild aus neurowissenschaftlicher Sicht betrachtete. Da wurde bewiesen, dass Emotionen bei Männern und Frauen andere Gehirnregionen sehr unterschiedlich stimulieren. Die Neurowissenschaftler*innen ziehen daraus aber eher den Schluss, dass das mit kultureller Prägung zu tun hat und es gibt auch entsprechende Untersuchungen dazu. Bei ähnlicher Sozialisation (in dem Fall bei mexikanischen Polizist*innen) glichen sich die Muster an. Sprich: Je klassischer die Rollenverteilung, desto unterschiedlicher die Reaktion auf Gefühle.

Wenn wir den Kindern von klein auf gewisse Rollenbilder vermitteln, dann fehlt ihnen ein Teil der Persönlichkeit.

Darum kann die Botschaft nur sein: Alle Emotionen gehören zu dir. Sei wild, wenn du wild sein willst. Sei schwach, wenn du schwach bist. Sei nicht die Starke, wenn du dich nicht danach fühlst. Wenn du schlecht wirfst, dann geh verdammt noch einmal üben. Heul', wenn du musst, brüll', wenn du magst. Es ist nun einmal eine Welt, die Sicherheit in klaren Strukturen sucht, die es aber nicht gibt. Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, war der einzige Unterschied zwischen Männern und Frauen, dass die einen Kinder bekommen, die anderen sie zeugen können. Das hat aber rein gar nichts mit der Persönlichkeit zu tun.

Das fängt alles bei irrsinnig winzigen Kleinigkeiten an. „Echte Männer weinen nicht“ ist schnell gesagt. Aber es zeigt in seiner Schlichtheit auch das Denkmuster, in das wir uns rein zwängen.

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