Meinungseinfalt – Wer darf was sagen?

Deine Meinung ist doof – blöd nur, dass viele Menschen in diesem Internet ihre Meinung einfach so verbreiten können. Medien und Plattformen helfen dabei auch noch. Hier ein kleiner, persönlich gefärbter Guide, warum es trotzdem dienlich ist, nicht nur im eigenen Saft zu braten.

Herzlich willkommen in meinem persönlichen Elfenbeinturm. Zu Ihrer Linken finden sich meine theoretischen Abhandlungen über eine gerechtere Welt. Diese schließen mit ein, dass es kein Geld gibt, alle Waren frei verfügbar sind und die Menschen damit umgehen können, da Neid geächtet wird. Wir leben in einer Welt, in der die freie Marktwirtschaft verwirklicht ist. Aber nicht im Sinne des Aufwiegens von Waren und Dienstleistungen in einer wie auch immer gearteten Währung, sondern in Form von Kompetenzen. Jeder Mensch hat eine Fähig- oder Fertigkeit, die eine Gesellschaft weiter bringt. Was man zum Leben braucht, wird gegeben, da alle alles tun, damit alle alles haben.

Zu Ihrer Rechten befindet sich eine große Abteilung mit Sprüchen und Meinungen, abgelegt unter dem Label „Geht gar nicht, oida!“ Unter dieser Rubrik finden sich Texte und Aussagen über „Genderwahnsinn“, „neokonservativen Wirtschaftsliberalismus“, „Das wird man doch noch sagen dürfen!“, „Ausländer raus“ oder „Notwendigkeit von Eliten“. Ich blicke da immer mit tiefer Verachtung drauf, da ich diese Dinge schlichtweg ablehne, wir uns in meinem Kopf befinden und ich zu meinen Überzeugungen stehe. Es mag nun überheblich klingen, aber ich halte Menschen, die diese Dinge unterstützen für in gewissem Maße recht befreit von emotionaler oder tatsächlicher Intelligenz. Werfen Sie mir ruhig pure Arroganz vor! Hier der Sander mit seinen hehren, aber unrealistischen Ansichten. Da die Realos, die verstanden haben, dass sich letztlich jede*r selbst die der Nächste ist. Sie funktioniert wohl in beide Richtungen, die Meinungseinfalt.

Aussprechen dürfen ihre Meinungen, für die Gegenseite auch „Bullshit“, freilich alle. Warum auch nicht? Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gewährleistet das in Artikel 19, die Europäischen Menschenrechtskonventionen in Art 10, die Charta der Grundrechte in der Europäischen Union in Artikel 11 oder der Artikel 13 des Staatsgrundgesetzes in Österreich. Allerdings, und das sollte nicht vergessen werden, handelt es sich dabei um ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Sprich: Wenn eine Plattform wie fisch+feisch sich entschließt, einen Beitrag nicht zu veröffentlichen, hat das nichts mit Beschränkung der Meinungsfreiheit zu tun. Das wäre nur der Fall, wenn der Staat zensieren würde. Eingriffe in diese Veröffentlichungen wären durch Paragraphen des Strafgesetzbuches erfüllt, etwa wenn es sich beispielsweise um Verhetzung (§ 283 StGB) oder Verleumdung (§ 297 StGB) handelt. Wenn es ein Offizialdelikt ist, dann muss die Staatsanwaltschaft sogar von sich aus handeln, ohne Wenn und Aber.

Alles, was das ganze Rechtliche nicht berührt, darf demnach gesagt werden. Es liegt schlichtweg im Ermessen derer, die die entsprechende Infrastruktur bereitstellen, um irgendwas zu verbreiten, ob sie das auch tun. Das ist bei offenen Plattformen wie etwa Facebook, Twitter oder auch Blogspot und Wordpress sonnenklar. Bei Plattformen mit redaktionellem Anspruch etwas weniger. Und das ist auch gut so. Es ist richtig und wichtig zu hinterfragen, warum der Standard, der Kurier, die Presse oder auch fisch+fleisch diese oder jene Meinung veröffentlichen, gegebenenfalls sogar bewerben. Und hier kommen wir direkt zum Dilemma: Wie viel ist erlaubt? Aus welchen Motiven ist es zulässig? Ich meine, eine geldlose Welt ist doch ziemlich unvorstellbar? Der Sander ist ein Spinner! Wie kommen die dazu, so etwas zu posten? Und am Ende des Textes wird er auch noch dargelegt haben, warum Meinung A und Z, die einander diametral entgegenstehen, auch verbreitet gehören! Zu Hülf!

Nun, da muss schnell einmal eines eingeschoben werden: Die meisten Themen, die uns dazu verleiten, Fragen wie „Dürfen die das?“ zu stellen oder Aussagen wie „Was soll der Scheiß?“ zu treffen, sind hoch emotional aufgeladen. Gender, Migration, Steuern, Identität – objektive Atteste in Form von wissenschaftlichen Untersuchungen und Daten treffen auf subjektive Eindrücke. Es sind – von meiner Warte aus gesehen – zumeist Ängste, die die Menschen zur Meinungseinfalt antreiben. Beispiele gibt es ja zur Genüge. Fürchtet der antifeministische Mann nicht nur um seine Vormachtstellung ein faules Aas zu sein und plötzlich die eigenen dreckigen Socken zu waschen? Hat der formal unausgebildete FPÖ-Wähler nicht einfach Angst, dass jemand kommen könnte, um ihm seinen Job zu mopsen? Könnte der Staat beim Umverteilen gerade mein Einkommen weiter beschränken? Wähne ich mich als Teil einer Bildungselite, weswegen ich es ablehne, dass andere Bevölkerungsschichten sich als „Neureiche“ dazu gesellen? In meiner Welt ist dem so. Aber in der Medienwelt steckt freilich auch Kalkül dahinter. Je emotionaler das Thema, desto mehr Menschen wollen entweder die eigene Meinung bestätigt haben oder einen Reibebaum, um sich an der gegenteiligen abzureagieren. Sie erraten es: beides bringt Klicks, die bringen Reichweite, das bringt Geld.

Es wäre hochgradig engstirnig, diesen Punkt vonseiten der Medienschaffenden von der Hand zu weisen. Ein antifeministischer Text, wie dieser hier im Standard, ruft zum Beispiel genau all die Emotionen hervor, die es für Überstunden für's Community Management und Shitstorms jeglicher Größe benötigt. Und die Medien haben das immer so gemacht. Die Zutaten für den „Nachrichtenwert“, der vor dem Internet zu Verkaufs-, heute zu Klickzahlen führt, sind alt. Die meisten Untersuchungen zu dem berühmten Nachrichtenwert beginnen selten bei „Relevanz für den Alltag“, sondern bei Dingen wie Sensation, Überraschung, Nähe und so weiter. Das ist auch logisch. Wer will schon differenzierte Abhandlungen über Abwasserverschmutzung lesen, wenn man menschliche Tragödien, die – wie im Fall des Airbus-Absturzes – uns alle betreffen könnten, bis ins unerträgliche Ausmaß ausschlachten kann? Tipp: Es zahlt sich aus.

Aber Meinungseinfalt betrifft nicht kalkulierte Provokation oder die immer übertriebener werdende Sensationsgeilheit der Medien. Es ist nur ein Teilaspekt. Es geht vielmehr darum, dass es durchaus vertretbar sein muss, auch dumme Meinungen zuzulassen. Denn eines vergessen Sie und ich oftmals, wenn wir so in unserem Elfenbeinturm spazieren gehen und uns dabei durchaus auch über andere erhaben fühlen: Man kann diese Realität durchaus betrachten und andere Schlüsse ziehen. Schließlich ist es ja so, dass jede Meinung nicht von heute auf morgen zustande kommt. Das meine ich ganz wertfrei. Alles ist gewissermaßen gebiased – voreingenommen, befangen, unausgewogen, parteiisch, verzerrt, tendenziös, gefärbt. Kann ein*e Beamt*in, der/die den Lebtag nichts anderes war, die Sorgen des Prekariats nachvollziehen? Spricht aus mir, dem im mies bezahlten Sozialbereich und prekären Journalismus arbeitenden Menschen, nicht der Neid? Ich sage auf beides „Nein“, denn ich halte den Menschen an sich für ein Wesen, das zu hoher Empathie fähig ist. Alles andere erachte ich als einfältig.

Aber umgekehrt kann ich nicht so tun, als gebe es diese Menschen nicht, die – von meiner Warte aus – einfältig ihre Meinungen postulieren. Denn es ist einfältig anzunehmen, Feminismus, Migration oder Antirassismus wären der falsche Weg. Es ist einfältig, in einem abgeschlossenen Ökosystem nach grenzenlosem Wachstum zu streben. Es ist einfältig, in der neoliberalen Wirtschaftsordnung den Wohlfahrts- und Sozialstaat als Korrektiv dessen, was der Markt nicht im Stande ist zu regeln, abzulehnen. Ich würde zwar nicht so weit gehen zu sagen, dass ich mir meine Feinde näher halten will als meine Freunde, aber ich halte es für wichtig, die andere Seite zu kennen. Das IST gerade ein Grundsatz im Recht und im Journalismus: Es möge auch die andere Seite gehört werden. Man muss die erwähnten Ängste ja nicht einmal ernst nehmen, um sie wahr zu nehmen. Sie komplett zu ignorieren und aus dem Elfenbeinturm heraus als inexistent abzukanzeln, ist da der falsche Weg. Und es wäre ja auch falsch, sich irgendwann zurück zu lehnen, mit seinen Ansichten zufrieden zu geben und diese als Konsequenz daraus auch nie mehr zu hinterfragen.

Letztlich ist es, alle Klick-heischende Medienlogik beiseite, gut zu wissen, in welchem Ausmaß die eigenen (=richtigen?) Überzeugungen weiter verbreitet werden müssen. Das funktioniert aber nur, wenn ich es zulasse, dass beispielsweise Andreas Gabalier seine Fifties-Romantik auch aussprechen kann. Das Ausmaß der Zustimmung zu diesem – ich erlaube es mir - „Bullshit“ definiert dann die Länge des Weges, der noch zurück zu legen ist. In dem Fall eben, dass endlich allen klar wird, dass 51 Prozent der heimischen Bevölkerung eben nicht „mitgemeint“ sind, wenn ich nur „Söhne“ singe oder das generische Maskulinum verwende. Umgekehrt wirkt es auch als Korrektiv. Nach Jahrzehnten verfehlter Integrationspolitik sich über den Erfolg der Ausländerfeinde der FPÖ aufzuregen, sollte auch den Entscheidungsträger*innen vor Augen führen, dass hier einige Dinge im Argen liegen. Oder findet irgendjemand, dass die ÖVP und die SPÖ das von, sagen wir, den frühen 90ern weg sinnvoll gelöst haben?

Das wichtigste zum Schluss: Sie, liebe Leser*innen, sind der beste Gradmesser! Wenn ich ansehe, welche Artikel beispielsweise auf fisch+fleisch so richtig viel geklickt werden (siehe links!), dann sehe ich schon, was akzeptiert wird und was nicht. So anders als mein Elfenbeinturm dürfte Ihrer wohl auch nicht sein, wenn Sie bis zu diesem Satz durchgehalten haben.

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Jürgen Heimlich

Jürgen Heimlich bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:05

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