Merkel, #Grexit und deutsche Machtpolitik

Nichts Genaues weiß man in Bezug auf Griechenland. Darauf sollte man sich in der heutigen Medien- und Informationswelt – nicht nur, aber in besonders ablehnenswerter Form in Bezug auf die griechische Staatsschuldenkrise - verlassen können. Beispiele gibt es bei verschiedenen Medienwatchblogs wie Kobuk, dem Bild-Blog oder Stefan Niggemeier. Man weiß nur, dass es in den nächsten Tagen zu einer Entscheidung kommen soll.

Die Faktenlage schaut ungefähr und das doch relativ unbestritten so aus: Die arrivierten griechischen Parteien Nea Dimokratia (konservativ) und PASOK (sozialdemokratisch) sind im Zuge der Wirtschaftskrise mit dem dazugehören Management gescheitert. Bereits beim Beitritt zur Eurozone 2001 war das Land hoch verschuldet. Die Gründe sind vielfältig. Ein teurer Staat, Korruption, Privatisierungen, ein Handelsbilanzdefizit, Lohnerhöhungen im Zuge deer Euro-Einführung, mangelnde Investitionen, wenig Steuermoral, vor allem bei denen, die ohnehin viel Geld haben. 2010 suchte die Regierung das erste Mal um Rettung durch die Europäische Union an, 2012 folgte das zweite Ansuchen. Im selben Jahr hatte Griechenland eine Bruttoverschuldungvon 156,9 Prozent. Eurostat wies damals für Portugal und Irland 125,8 bzw. 121,7 Prozent aus, Deutschland lag bei 79,3. Heutzutage ist Griechenland im Grunde genommen bankrott. EU, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfond (IWF) verordneten der Regierung harte Einschnitte, die das Land wieder auf die Beine bringen sollten. Doch die Griechinnen und Griechen hatten es im Winter schließlich satt. Laut Medienberichten soll ein Großteil der kolportieren 380 Milliarden Hilfsgelder und vor allem Hilfskredite in den Banken- und Finanzsektor geflossen sein. Bei der griechischen Bevölkerung, die die Einschnitte durch das Korsett der Trioka im täglichen Leben erfahren, am auf jeden Fall zu wenig an, um den Konsum zu steigern.

SYRIZA will das Sparprogramm abändern

Das Land hievte im Winter 2015 schließlich die linkspopulistische SYRIZA an die Spitze der Regierung. Der Auftrag: Schluss mit der Austerität, also dem anhaltenden Sparen. Die Regierung unter Alexis Tsipras versprach eine Verabschiedung des harten Sparkurses. Seit dem Amtsantritt versucht SYRIZA nun die Abkehr vom Sparen zu erreichen – mit heftigem Widerstand aus EU, EZB, IWF und den wichtigsten Ländern der EURO-Gruppe, allen voran Deutschland. Das sind die unbestrittenen Fakten. Was die Regierung Tsipras letztlich konkret an Verbesserungen für das eigene wählende Volk erreichen kann, weiß derzeit niemand. Die EU, angeführt von dem Duo Merkel/Schäuble, will um einen Verbleib Griechenlands im Euro kämpfen. Den Preis soll die breite Masse an Griechinnen haben. Vor allem medial gepushte Meinungsbildung vonseiten deutscher Boulevard- und Qualitätsmedien vergiftet die Debatte zusehends. Dennoch ist man geneigt, sich auf die Seite von SYRIZA zu schlagen. Schließlich geht es vor allem EZB und IWF um Fiskalisches, weniger bis gar nicht um konkrete soziale Fragen. Dass die Griechinnen und Griechen durch eigenes Wahlverhalten und in geringerem Ausmaß (in Bezug auf die breite Masse) eigenes Tun „selbst schuld“ sein sollten, ist eine Fehlannahme. Gerade in Österreich und in Bezug auf die HYPO Alpe Adria sollte man sich da nicht anmaßend melden...

Staatsbankrotte nicht so ungewöhnlich, wie man denkt

Nun geht es also um eine Lösung. Auf weitere Einschnitte, die die gesamte Bevölkerung betreffen, kann und will sich die Regierung Tsipras nicht einlassen. Kann nicht, weil man versucht, Wahlversprechen einzuhalten, will nicht, weil es so weit es diverseste unabhängige Erfahrungsberichte aus dem täglichen Leben betrifft, gar nicht anders geht. Und die Geldgeber wollen freilich ihr Geld zumindest zum Teil wieder sehen, was nicht unbedingt eine komplett verquere Ansicht ist – auch wenn angemerkt werden sollte, dass man auch als Kreditgeber ein Risiko trägt. So viel zu den Fakten. Eine Lösung scheint nicht in Sicht. Staatsbankroteallerdings sind in der Geschichte eine Seltenheit. Seit 1980 alleine sind 73 Länder weltweit 90 Mal bankrott gewesen. Wäre da nicht die Sache mit dem Euro beziehungsweise die enge Verbundenheit innerhalb der Europäischen Union – Griechenland hätte wohl schon längst Insolvenz angemeldet.

Ein Vorwurf, den die Geldgeber sicherlich nicht von der Hand weisen können, ist, dass ein liquider Schuldner super ist. An solchen kann enorm gut verdient werden. Die Zinsen alleine übersteigen den geborgten Betrag zumeist recht deutlich. Das ist ein Teil der Griechenland-Problematik. Nicht, dass die Kreditgeber ihr Geld nicht verlieren wollen, nein, man verdient schlichtweg gut daran. Und weiters fürchtet sich Europa einfach, dass das negative Auswirkungen auf die gesamte Eurozone hat. Außer Deutschland – und das zu Lasten vieler ärmerer EU-Länder – schaffte es kaum ein Land der Eurozone, merkliche Überschüsse zu produzieren.

Geht es wirklich um Griechenland?

Das letztlich wirklich Ablehnenswerte ist aber nicht einmal das viele Geld. Es ist der Subtext. Es geht um politische Glaubwürdigkeit, die Angela Merkel um alles in der Welt verteidigen will. Man will Deutschland als führende KraftEuropas sehen. Wirtschaftlich ist man es, auch wenn das durch Hartz IV und Lohn- und Sozialdumping auf den Schultern der eigenen Wähler*innen passiert. Weltpolitisch ist man es auch. Selbst wenn im Krisenfall die Armeen Frankreichs oder Englands voran schreiten, der wichtigste Draht aus den USA, Russland und China ist die Telefonleitung nach Berlin. Dass die elf Millionen Griechinnen und Griechen sowie die Staatsinsolvenz des Landes einen Riesenimpact auf den Euro, die Stabilität der Eurozone oder der EU haben, ist im Vergleich zu den restlichen 323 Millionen Bürger*innen der Eurozone und der über 500 Millionen Menschen in der EU nicht sehr glaubwürdig.

Die Bild-gestützte Kampagne gegen Griechenland ist nur ein weiteres Puzzleteil zur europäischen Vorherrschaft. Deutschlands Regierung hat sich für den Weg entschieden, keinen Milimeter vom Finanzdiktat gegenüber Griechenland abzuweichen. Nachdem sich gerade die großen EU-Staaten in maßgeblichen Fragen ohnehin nicht auf ein von Brüssel gelenktes Vorangehen einigen können, will nun eben Merkel diktieren, was passiert. Eine harte Linie gegenüber die politisch ganz wo anders stehende SYRIZA zeigt, wer der Chef im Hause Europa ist. Ein Ausscheren ist nicht erlaubt, der zu zahlende Preis darf dafür hoch genug sein. Und man folgt Angela Merkel und der CDU. Dass dabei viele auf der Strecke bleiben, interessiert nicht. Auch wenn die Auswirkungen doch auch in der Breite spürbar sind und sich auch interner Widerstand, siehe diverse Streiks, zusammenbraut.

Die Angst vorm Anderen

Aber Merkel hat einiges auf der Habenseite. Die prosperierende Wirtschaft, zum Teil aufgebaut auf der Ausbeutung der eigenen Wähler*innen, überwiegt in der öffentlichen Darstellung die negativen Vorgänge. Merkel, das ist Feeldgood. Dass man beispielsweise auf griechische Militärinvestitionen pocht, hat sicherlich auch den Grund, die eigenen Waffenprodzenten Deutschlands nicht zu verprellen. Die wertkonservative und wirtschaftsliberale Politk schafft es einfach, auf Basis von Traditionen, wie etwa die Kernfamilie, und möglichst viele Freiheiten für die Wirtschaftsreibenden, das neoliberale Märchen perfekt mit dem Marketing abzustimmen. Gegenstimmen? Fehlanzeige!

Eine Politik, die vielleicht wenn schon nicht offen gegen Konzerninteressen auftritt, aber definitiv das Lösen sozialer Probleme, auch auf Kosten neuer Schulden, in den Vordergrund stellt, passt da nicht dazu. Darum waren ja die koservativ geführten Regierungen Griechenlands perfekte Partner für Deutschland. Weil sie die selben Märchen erzählen. Und die EU steht vor diesem Paradigmenwechsel. Linke Volksbewegungen stürmen nicht nur in Griechenland zum Erfolg – Spanien, Italien. Da stört der konservative Rollback, der in Frankreich droht, kaum. Der entscheidende Punkt betrifft aber letztlich die Innenpolitik Deutschlands. Die entideologisierte Sozialdemokratie wäre ein Partner für Rot-rot-grün – und dann wäre es vorbei mit Angela Merkels Vormachtstellung. Gegenwärtig steht es laut Umfragenziemlich patt zwischen CDU/CSU und rot-rot-grün. Lässt sie in Griechenland schleifen und die Menschen in Deutschland erleben eine Alternative zum „alternativlosen“ CDU-Kurs, war's das mit der Merkelichkeit. Ein großes, Podemos-geführtes Spanien würde sich dem deutschen Fiskaldiktat noch mehr erwehren, als es das kleine Griechenland tut oder kann.

So schwächt jeder Erfolg der Tsipras-Regierung Angela Merkel. Hier geht es nur und ausschließlich um Macht.

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