Silvester ist das fieseste Fest des Jahres

Kein anderer Anlass im Feierkalender ist so gemein wie der Jahreswechsel. Schließlich geht es um alles und vor allem, was man nicht hat oder ist. Zumindest wird das transportiert

Ein Blick aufs Jahr zurück ist zwischen Weihnachten und Neujahr schick wie Eier zu Ostern oder grindige Besäufnisse zu Halloween. Facebook will es: „dein Jahr 2014“. RTL, ORF und Co. wollen es: Die Emotionalsten, die Tollsten, die Besten und überhaupt. Zum Sichergehen, dass man nicht vergisst, wie gut es einem geht, auch noch die größten Katastrophen irgendwo, wo man selbst nicht ist. Das Feiern der letzten 365 Tage führt dabei auch unweigerlich zur Auseinandersetzung mit den eigenen Unzulänglichkeiten. Ungeachtet der Tatsache, ob selbst Neujahrsvorsätze für das abgelaufene Jahr gefasst wurden, prügelt einem das Umfeld alles mögliche ein, was in diesem Jahr schon wieder nicht gemacht wurde. Weil einem eben gezeigt wird, was die anderen alles erlebt haben.

Was ich nicht habe

Deshalb ist Silvester so ein gemeiner Anlass. Erstens ist es hochgradig sinnlos. Das zeigt sich schon an dem, was der Markt zum 31. Dezember hin so hergibt: Saufen und Böllern. Und zweitens ist es die geballte Ladung dessen, was bei allen anderen anscheinend viel besser läuft als bei einem selbst. Das ist anders als bei anderen Konsumfeierlichkeiten. Valentinstag und Fasching kann man doof finden und ignorieren, Ostern kann man als schlichte Möglichkeit für ein paar freie Tage sehen, der obligatorische Urlaub in der warmen Jahreszeit geht sich dank Urlaubsgeld für die meisten irgendwie aus. Für sonstige christliche Feiertage und Halloween gilt selbiges wie für Ostern und  Fasching. Familie und Freunde, die den Kern des Weihnachtsfestes bilden, können ohnehin nicht gekauft werden und überhaupt sind nicht immer die teuersten Geschenke auch die besten.

Kurz gesagt: Irgendwie kann man alles andere umschiffen, ohne sich selbst allzu sehr zu beschädigen. Nicht so bei Silvester. Da schlägt die neoliberale Marktlogik mit aller Sinnlosigkeit zu. Die Algorithmen, Umfragen und Fernsehsendungen wollen einem schlicht und ungeschönt vor Augen führen, was du nicht hast oder nicht erlebt hast: Urlaub sonst noch wo, neues Auto, neues Handy, neues Wasweißichwas. Das wirkt für das ganze Jahr, da braucht's keinen einzelnen Anlass. Man kann sich allgemein mies fühlen Das ist die Konsumkeule der Vorsätze. Aber Silvester trifft einen noch viel tiefer, im Innersten selbst.

Was ich nicht bin

Es gibt ja auch Dinge, die unabhängig vom Geld gefälligst geändert gehören. Das Wamperl ist auch nicht kleiner geworden. Noch immer steht da ein voller Aschenbecher . Das Vorzimmer ist noch immer nicht frisch gestrichen. Mit Martin hast du dich auch dieses Jahr zu selten getroffen. Neben allen perfekt getrimmten Jahresrückblicken, die der Online-Algorithmus ausspuckt, schauen die eigenen 365 Tage enorm mistig aus. Nicht nur, dass Silvester ein weiterer Anlass für hochgradig sinnlosen Konsum ist. Nein, es ballert einem nicht nur alles, was man sich nicht leisten kann oder will, sondern auch das anscheinend perfekte Leben um die Ohren.

Der ganze Müll, den du so mit dir herum trägst, ist aber am 12. April nicht weniger scheiße ist als am 31. Dezember oder 4. Juli. Umfragen, Best-of-Sendungen und Social Media-Jahresrückblicke zeigen nur die Highlights. Aber niemandem geht es 365 Tage im Jahr gut. Das ist eine harte Erkenntnis, aber es ist nun einmal so und der ganze Müll der anderen wird einfach nicht angezeigt. Es wird einfach alles weichgezeichnet, die schlimmen Dinge werden ausgeblendet. Das Leben besteht genau so wenig eben nicht nur aus den Uniabschlüssen, dem perfekten Selfie oder neuen Beziehungen.

Die kleinen Dinge sind's!

Durch all diese Vergegenwärtigung der eigenen, andauernden Unzulänglichkeiten geht aber eines verloren: Alles, was du in diesem Jahr erlebt hast und was noch kommen wird. Dieser Satz klingt vielleicht pathetisch, aber am letzten Tag des Jahres endet eigentlich nur die Steuerberechnung und sonst gar nichts. So schwer es fällt, sich dem ganzen Quatsch zu entziehen, so sinnstiftend ist es auch, nicht nur im 365 Tage-Rhythmus zu denken.

Sicherlich ist der 31. Dezember auch ein Tag, an dem Dinge geändert werden können, so mancher mag das als Tritt in den Hintern brauchen. In dem Gedöns gehen die kleinen und nicht so riesigen Dinge im Leben unter. Vielleicht musst du einfach einen Selbstcheck machen. Brauchst du das wirklich? Ist es ein so riesiges Drama, dass es dieses Jahr Kroatien statt der Karibik war? Was hat man schon davon, sich dem Eindruck hinzugeben, dass ein Jahr alles mies war und sich gefälligst morgen alles zu ändern hat?

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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