Nein, es ist nicht egal, ob Rechts oder Links. Aber darum geht es schon längst nicht mehr. Es geht um viel grundlegendere Fragen von Anstand und Humanität und ob für uns Grundtugenden wie Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung (die 4 Grundtugenden Platons) noch irgendeine Bedeutung haben.

Ich weiß nicht, ob überhaupt Hoffnung besteht, dass sich die Spezies Mensch in Richtung gefestigter Humanität weiterentwickelt.

Klar ist hingegen, dass es viele Möglichkeiten gibt, schon erreichte Fortschritte zu stoppen und ins Gegenteil zu verkehren. Dabei erinnere ich mich an die Zukunftsbilder die wir in jungen Jahren leidenschaftlich diskutiert haben und uns ganz sicher waren, dass vor uns eine Zeit liegt, in der unterschiedliche Religionen, verschiedene Hautfarbe und sozialer Status des Elternhauses keine, oder zumindest nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen werden. Die Nationalstaaten, so hofften wir damals, würden an Bedeutung verlieren, militärische Auseinandersetzungen auf Grund internationaler Verträge nicht mehr nötig, vielleicht sogar nicht mehr möglich sein.

Waren das nur die Träumereien junger Menschen, insbesondere von Studenten? Ich wurde Architekt und habe später auch an einer berufsbildenden Schule unterrichtet. Ich glaube noch immer daran, dass die Welt und der Mensch in dieser Welt sich zum Besseren wandeln kann und es Sinn macht, sich darum zu bemühen. Was sonst sollte man jungen Menschen denn auch erzählen, als die Idee einer aufgeklärten, friedlichen und toleranten Welt?

Ich habe Freunde, die sich in ihrem Beruf mit dem Thema unserer Zukunft auseinandergesetzt haben und meinen Optimismus durchaus teilen. „Man werde sich den gesetzten Zielen in einer Auf- und Abbewegung nähern, aber kein Wellental wird in die alten Zustände zurückführen. Vorausgesetzt es gibt keine Katastrophe (Krieg, Wirtschaftskrise oder ähnliches.)“

Zugegeben, eine solche Krise überraschte uns 2008/09. Die Meldungen über notwendige Bankenrettungen überschlugen sich, die Rettungspakete erreichten unvorstellbare Summen und der Glaube an ein ewiges Wachstum bekam deutliche Kratzer. Was das Vertrauen in Staat und Regierung aber noch weit nachhaltiger zerstörte, war der scheinbar alle überraschende Flüchtlingsansturm, der inzwischen zahlenmäßig zwar deutlich an Bedeutung verloren hat und auch viel weniger Geld verschlungen hat, als die sog. Banken- und Immobilienkrise, aber noch immer die Politik dominiert. Populistische Parteien schürten und schüren die Ängste der Wähler, Medien und Sozial-Medien verstärken diesen Trend und plötzlich wird wieder so getan, als ob die Lösung in nationalen Alleingängen, in Abschottung und Protektionismus gefunden werden könnte.

Haben die Pessimisten also doch recht? Und was macht es mit uns, wenn diese Horde von Angsthasen marodierend durch die Städte zieht und behauptet, sie hätten es schon immer gewusst?

Tatsächlich ist es gegenwärtig chic, an allem zu zweifeln, sich keine Träume zu gönnen und die Zukunft in dunkelgrauen Farben zu malen. Da werden die Randale in Chemnitz und die Silvesternacht von Köln zu Bürgerkriegsvorboten hochstilisiert und die geschockten Zuseher neben der Straße bejammern, dass es schlimmer angeblich nicht mehr werden kann. Wenn solche Aussagen aus dem Munde von Menschen kommen, die während der 50 Jahre DDR erwachsen geworden sind, kann ich mich nur wundern und frage mich, ob sich von denen keiner fürchtet, dass sich ihre rückwärtsgewandten Rezepte zur „selbsterfüllenden Prognose“ wandeln und die düsteren Schattenbilder von den Wänden steigen, an die sie jetzt noch projiziert werden.

Fremdenhass gerade in jenen Regionen wo relativ wenige Fremde wohnen, Angst vor kommender Arbeitslosigkeit, wo mit 2 Prozent Arbeitslosigkeit praktische Vollbeschäftigung herrscht. „Aber die Menschen fühlen sich abgehängt…das ist ihre gefühlte Wahrheit, alles andere wird nicht zur Kenntnis genommen. (Fake-News und Lügenpresse…)

Ich habe schon in früheren Beiträgen zu beschrieben versucht, dass uns Menschen eine absolute Wahrheit, zumindest in diesem Leben, nicht zugänglich ist. Ich möchte hier nicht auf die wirklich zahlreichen Definitionen von „Wahrheit“ eingehen, aber was wir als wahr bezeichnen, beruht im Allgemeinen auf einer prüfbaren Übereinstimmung mit der gegenständlichen Welt, oder einer gesellschaftlichen Übereinkunft, die zumeist von einer Mehrheit geteilt wird. Diese Übereinstimmung würde unserer Sehnsucht nach Wahrheit für den Alltagsgebrauch vermutlich genügen. Im Moment allerdings finden wir immer weniger solcher Übereinstimmungen, was uns das Gefühl gibt, dass die Welt vor unseren Augen zerfällt.

Immer weniger Menschen verstehen die Funktion jener technischen Geräte, mit denen sie täglich hantieren. In den Suchmaschinen des Internet findet sich für so gut wie jede Meinung ein mehr oder weniger plausibler Beleg und wir ahnen, dass wir von der Politik, von der Werbung, von der Industrie mehr oder weniger bewusst belogen werden, wobei ich mir erspare, all die Beispiele der letzten Jahre hier aufzulisten.

Ich frage mich allerdings, bis zu welchem Grad man all diese Lügen, Täuschungen und Fake-News verdichten kann, bis eine Gesellschaft daran elendiglich erstickt, weil man sich einfach auf wirklich nichts mehr verlassen kann. Weil die Schattenbilder an der Wand lebendig geworden sind.

In manchen amerikanischen Filmen wird der spätere Held in eine schlimme Ungerechtigkeit verwickelt und wendet sich mit diesem Problem an seinen Vorgesetzten. Der Kinobesucher weiß aber bereits, dass auch dieser Vorgesetzte ein Krimineller ist und dem Bedrängten nicht helfen wird. Der wendet sich an die nächsthöhere Instanz um Hilfe und der Zuseher ahnt, dass auch diese Stelle dem Netz des Bösen angehört. Oft ist erst der oberste Richter, der Gouverneur oder gar der Präsident ehrlich genug, um ein glückliches Filmende zu ermöglichen. Inzwischen haben wir alle von bestechlichen Richtern gehört, von Gouverneuren und Landeshauptleuten die in kriminelle Machenschaften verwickelt waren und sind und wenn man an den gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten denkt, fällt es eigentlich schwer in die Spitze des Staates Vertrauen zu haben.

Was also soll man dieser Filmfigur raten? Wohin soll sie sich wenden? Zu welcher Institution darf diese Person noch Vertrauen haben? Können wir in dieser Welt wirklich nur mehr uns selber vertrauen?

Tatsächlich lässt sich eine weitgehende Entsolidarisierung feststellen, die genaugenommen vor 40 Jahren mit Einführung des Bonus-Malus-Systems bei Haftpflicht - Versicherungen begonnen hat. (Wer mehr Unfälle hat, soll auch mehr bezahlen – klingt noch ganz gut.) Sportarten mit höherem Risiko erfordern eine zusätzliche Versicherung, ebenso Raucher, weil höheres Gesundheitsrisiko, Benützung von Schipisten nur für Bewohner der örtlichen Nobelhotels. Volle Leistung im Krankenhaus nur mit Zusatzversicherung… Das alles geht Hand in Hand mit einer erschreckenden Empathielosigkeit, die da und dort den Ruf laut werden lässt, man möge den Kindern in der Schule beibringen wie Empathie geht. – „Geht’s noch?“ Fragt man sich.

Wir haben zugelassen, dass Lügen salonfähig geworden ist. Scheinbar alle tun es. Politiker, Journalisten, Produktwerbung… der amerikanische Präsident tut es – also dürfen wir es auch? Political Correctness wird von vielen Menschen als unerlaubte Einschränkung ihrer Ausdrucksmöglichkeit empfunden und dementsprechend wird in den sozialen Netzwerken gejubelt, wenn immer grobschlächtigere Volksvertreter es denen „da oben“ so richtig reinsagen. Wir lassen es zu, dass in den Medien immer dümmlichere Pappnasen zu Stars hochstilisiert werden und wundern uns, wenn immer mehr Menschen davon träumen, irgendwann mit ihrer eigenen Dummheit auch zum Star zu avancieren. Ich jedenfalls halte nichts von dem Rat, dass die Klügeren nachgeben sollen, weil sich damit irgendwann tatsächlich die Dümmeren durchsetzen würden. Oder ist das sogar schon geschehen?

G.Novak

g.novak

g.novak Bleistift auf Papier ca. 20x30 cm

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