Ich bemühe mich, ein toleranter Mensch zu sein. Genaugenommen fühle ich mich zur Toleranz sogar verpflichtet, weil ich davon überzeugt bin, dass Toleranz eine Tugend und ein Lebensprinzip ist und nicht nur ein chices Thema für Sonntagsreden. Mit einer solchen Einstellung löse ich gelegentlich Unverständnis aus und hin und wieder werde ich auch verdächtigt, nur zu faul für eine eigene Meinung zu sein. Also habe ich mich nach dem Begriff ein bisschen umgesehen.

Klar ist, ich meine jene Toleranz, die eine bestimmte Art des Denkens und den Umgang mit dem „Anderen“ beschreibt. Nicht den technischen Begriff, im Sinne von Maßtoleranz, oder den medizinischen Begriff, im Sinne von Verträglichkeit…

Tolerantes Denken und Handeln hat in der Gegenwart offenkundig nicht gerade Hochkonjunktur. Da liest man Sätze wie: „Toleranz ist die letzte Tugend einer untergehenden Gesellschaft.“ Oder auch: „Heute sind sie tolerant, morgen fremd im eigenen Land.“ Zitate, die wohl darauf hinweisen wollen, dass gelebte Toleranz ein Zeichen für Schwäche, eine Angelegenheit für Weicheier wäre. Es sind Sprüche, die sich nicht selten auf den Umgang mit Flüchtlingen, auf Homosexualität, auf andere Religionen u.ä. beziehen und gerade dann sind sie besonders fragwürdig und schlicht und einfach auch falsch.

Demgegenüber bin ich der Meinung, dass Toleranz, das Zulassen von Vielfalt, die Akzeptanz anderer Meinungen geradezu ein grundlegendes Überlebensprinzip der Natur und eben auch der Spezies Mensch darstellt, wobei ich gerne zugebe, dass die Menschheit nicht immer danach gehandelt hat. Ich erinnere daran, dass viele der Ideen die später als große Errungenschaften gefeiert wurden, zunächst auf massiven Widerstand geistigen Beharrens gestoßen sind und sich erst durchsetzen konnten, als ihnen Toleranz und Einsicht die Tore geöffnet haben. (Galileo Galilei, Darwins Evolutionstheorie, die Abschaffung der Sklaverei, die Menschenrechte…)

Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass Toleranz in Gesellschaften mit großem Selbstwertgefühl, einem gewissen Wohlstand und Sicherheit, als lobenswerte Tugend angesehen wurde. Offenbar sind Menschen mit festen Werten und Meinungen leichter in der Lage, gegenüber Neuem oder Anderem tolerant zu sein und Menschen, die sich ihrer eigenen Standpunkte und Werte nicht sicher sind, neigen sehr schnell dazu, Andersdenkende zu verurteilen.

Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass Toleranz in unserer Gesellschaft so misstrauisch bewertet wird. Vielleicht haben wir das Vertrauen in unsere oft zitierten, aber wenig definierten Werte verloren und fühlen uns deshalb gegenüber Neuem und Anderem so verunsichert. Vielleicht beklagen wir das Schwinden der Meinungsfreiheit und haben schon lange keine Meinungen mehr. Vielleicht fürchten wir nur deshalb den Angriff auf unsere Werte, weil wir sie schon lange nicht mehr kennen und sie kaum noch leben.

Ich bin ein Fan von Sir Karl Popper und seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde.“ (geschrieben 1945) in dem er, unter dem Eindruck des gescheiterten Nationalsozialismus und des kommunistischen Stalinismus, ausführt, wie wichtig es ist, dass eine Gesellschaft für neue Ideen offen bleibt. Offen in jedem nur denkbaren Sinn des Wortes…Alle Gesellschaften und Staaten, die gemeint haben, man könne den Bestand sichern, indem man die Grenzen dicht macht und alternatives Denken unterdrückt, sind letztlich kläglich gescheitert (das nationalsozialistische Deutschland, die kommunistische Sowjetunion, das Franko-Regime, Ceaucescu-Diktatur in Rumänien, zahlreiche afrikanische Diktaturen..)

Wann beginnen wir, aus der Geschichte zu lernen?

shutterstock/Arthimedes

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 22.03.2016 15:03:27

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