Über die vereinfachte Weltsicht

Österreich hat gewählt. Die eine Hälfte der Wähler freut sich über den Sieg ihres Kandidaten, die andere Hälfte ist enttäuscht. Daran ist nichts Besonderes und auch das knappe Ergebnis ist nach der Stichwahl durchaus zu erwarten gewesen. Neu ist die lebhafte politische Diskussion, die dieser Wahl vorausgegangen ist und über diese müsste man sich eigentlich freuen.

Wenn nicht – und das halte ich für bedenklich – das politische Handeln immer mehr von plumpem Populismus geprägt werden würde.

Jede Art von politischem Populismus betont den tatsächlichen oder vermeintlichen Gegensatz zwischen „Volk“ und „Elite“. Behauptet also eine prinzipielle Diskrepanz zwischen „unten“ und „oben“ und nimmt für sich in Anspruch, auf der Seite des einfachen Volkes zu stehen. In einer solchen „wahren“ Demokratie werden zwischengeschaltete Institutionen (Kammern, Gewerkschaften, Parteien und Parlamente) nachrangig, gefordert werden plebiszitäre, direkt demokratische Entscheidungen. Solche Parteien behaupten ernsthaft, das Volk nicht beeinflussen zu wollen, sondern nur dessen erkennbaren Willen umzusetzen, wobei andere als die eigenen Meinungen, als „gehirngewaschen“ oder „Lügenpresse“ verunglimpft und abgelehnt werden.

Ihre Wähler hängen dabei der Illusion nach, in ihrem Denken von niemandem beeinflusst zu werden, endlich so reden zu können, wie sie das möchten und keinem was schuldig zu sein. Damit werden so gut wie alle Gegenargumente abgeschmettert. Woher also kommt diese „eigene“ Meinung, die angeblich so unbeeinflusst ist?

Alles was ein Mensch denkt und fühlt, ist üblicherweise das Produkt seiner bisherigen Erfahrungen. Diese Erfahrungen werden bewertet, von der Umgebung gefärbt und dienen als Grundlage für den weiteren Umgang mit unserer Welt. Unser Denken ist immer die Reflexion auf das was uns begegnet und diese Reflexion ist abhängig von unseren Vorbildern, Eltern und Erziehern, Schule, Büchern, Filmen, Vorträgen etc. Wenn jemand im Wald, allein unter Wölfen aufwächst, wird er die Meinungen und Verhaltensweisen der Wölfe annehmen und alles was ihm danach begegnet wird durch diesen Wolfsfilter betrachtet werden. In einem normalen Leben bilden wir unsere „eigenen“ Meinungen durch Kennenlernen von unzähligen anderen Ideen und Gedanken, denen wir mehr oder weniger vertrauen, sie gewichten und in unser Denken, Fühlen und Handeln integrieren.

Einfach gestrickte Menschen bedienen sich dabei nur weniger Ideen und Gedanken. Sie bilden sich daraus ihre Sicht auf die Welt, halten dies für umfassend und geben sich damit zufrieden. Vernünftige, aufgeschlossene und neugierige Menschen erkunden die Welt mit offenem Geist und offenem Herz. Sie begegnen Ungewohntem, Andersartigem, Fremdem. Sie werden versuchen es zu verstehen, es ablehnen oder befürworten. In jedem Fall aber wird es zu einem Teil ihrer Erfahrungen und ihre persönliche „eigene“ Meinung. Intelligente, gebildete Menschen werden dabei bis an ihr Lebensende bemüht sein, diesen Schatz an Erfahrungen und Wissen zu einer Erkenntnis zu formen und dabei berücksichtigen, dass diese Erkenntnis keine endgültige, keine ausschließliche und „wahre“ Erkenntnis sein kann, sondern immer nur ein Zwischenergebnis darstellt.

Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahrzehnte belegen eindeutig, dass erfolgreiche Gesellschaften immer auch offene Gesellschaften sind. Ausgrenzungen und Einschränkungen führen erwiesenermaßen zu einem Niedergang. Der Aberglaube, dass Egoismus und Selbstsucht zum Erfolg führen, ist sowohl für das einzelne Individuum als auch für Gesellschaften längst widerlegt. Der Evolutionserfolg der Spezies Mensch beruht auf der Tatsache, dass der Mensch altruistisch, also rücksichtsvoll und selbstlos zu handeln vermag.

Klar, dass wir nicht auf allen Gebieten zu unmittelbaren und eigenen Erkenntnissen vordringen können. Denken wir z.B. an die Musik und die Tatsache, dass etwa der Genuss klassischer Werke fast immer ein gehöriges Maß an Gewöhnung, auch an Kenntnis erfordert, um zum Genießen befähigt zu werden. Denken wir daran, wie wenig wir von Quantenphysik verstehen, obwohl wie ihre Anwendungen praktisch täglich konsumieren. Wie wenig wir von Medizin verstehen, obwohl wir die verschriebenen Pillen zumeist brav schlucken. Wie wenig uns politische Zusammenhänge und Hintergründe vertraut sind, obwohl sie unser Leben täglich beeinflussen. Sollen wir deshalb alles ablehnen, verdammen und schlecht reden?

Die andere Methode besteht eben darin, sich diesen Gebieten zumindest ein Stück anzunähern, den Versuch zu unternehmen, es wenigstens teilweise zu verstehen. Und ja, ich weiß schon, Musik kann man auch schön finden, wenn man davon nichts versteht und die Pillen wirken auch, wenn man keine Ahnung von ihrer Wirkung hat, aber zum Weltverständnis eines gebildeten Menschen gehört es nun einmal, möglichst viel zu verstehen und nachvollziehen zu können und dazu bedarf er des Lernens, der Meinung von Fachleuten, denen er vertraut, deren Meinung er sich anschließt, oder sie auch ablehnt. Das nennt man dann eine eigene Meinung, die aber niemals unbeeinflusst sein kann.

Ich hoffe, sie verstehen jetzt meine Aversion gegen schlechte Medien. Gegen Zeitungen, die uns eine einfache Welt vorsetzen wollen, gegen Berichte, die so sehr vereinfachen, dass sie zur Lüge verkommen. Und gegen jene Form von Populismus, die uns erklären möchte, dass man nur an einer einzigen Schraube drehen müsste, um die Welt viel besser zu machen. Hüten wir uns vor einfachen Erklärungen, sie beschreiben immer nur Bruchstücke der Wirklichkeit.

G. Novak

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