Noch nie in der Geschichte standen den einzelnen Menschen so viele Informationen zur Verfügung wie heute. Und trotzdem hatten wahrscheinlich noch nie so viele Menschen das beängstigende Gefühl, die Welt nicht mehr zu verstehen. Die Informationsüberflutung durch Internet und unzählige Fernsehprogramme liefert mehr Antworten, als wir überblicken und verarbeiten können und alle ehemals vorhandenen Autoritäten, die uns einst noch gesagt haben, was gut und richtig ist, kommen uns gerade abhanden.
Nachschlagen im Lexikon bedeutete in der guten alten Zeit, dass man sich im Besitz der „richtigen“ Antwort wähnte und niemand hinterfragte, dass auch approbierte Bücher nur bestimmte Meinungen widergeben. Erst das zunächst weitgehend unzensierte Internet hat uns vor Augen geführt, dass zu fast allen Meinungen auch konträre Stellungnahmen existieren und oft nur mit aufwendiger Recherche oder fachkundigem Wissen entschieden werden kann, welche der angebotenen Informationen richtiger ist. Sollte man deshalb das Angebot an Meinungen wieder einschränken? Also eine Instanz ernennen, die für uns vorsortiert, was gut und richtig ist.
Nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, in dem Millionen Menschen katastrophal gescheiterten Ideologien auf den Leim gegangen und in den Tod gefolgt sind, muss ein solcher Vorschlag wohl entschieden abgelehnt werden. Darüber hinaus sind nicht nur die Meinungsmacher fragwürdig, sondern auch die höchst objektive Wissenschaft entzieht sich immer mehr dem was ein üblicher Verstand zu erfassen vermag.
Während man am Beginn der Aufklärung, die einen ungeheuren humanitären und naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt ausgelöst hat, noch davon ausging, dass die Welt, ähnlich einem Uhrwerk, in präzise messbaren Abläufen beschreibbar ist, müssen wir seit fast hundert Jahren zur Kenntnis nehmen, dass die Naturgesetze deutlich unbestimmter sind und gerade einmal noch von hohen Wahrscheinlichkeiten aber kaum noch von absoluter Sicherheit gesprochen werden kann. (Relativitätstheorie, Unschärferelation der Quantenlehre, Chaostheorie, Schrödingers Katze u.v.m.)
Ich habe irgendwo eine anschauliche Darstellung gelesen:“ Wenn die Welt in einem tausend Seiten umfassenden Buch dargestellt werden könnte, dann hätten wir bislang nur die ersten drei Seiten entziffert“. Ein solcher Satz sollte uns demütig machen. Wir sollten die Hoffnung aufgeben, die Welt oder gar das Universum jemals in allen Aspekten verstehen und ordnen zu können.
Wenn man das als gültige Erkenntnis zu Grunde legt, dann müssten wir endlich tolerant werden, weil eben auch eine ganz andere Meinung die richtigere und brauchbarere sein könnte. Das gilt für Politik, Religion, Wirtschaft und die Wissenschaft und vor allem und ganz besonders für den Umgang mit unseren Mitmenschen.
Interessant ist, dass große Forschungsinstitute und Firmen eine solche Denkweise längst praktizieren. Dort weiß man, wie sehr eingefahrene Meinungen den Fortschritt bremsen können und man weiß auch, dass Fehler nicht zu verhindern sind und sich erst zur Katastrophe ausweiten, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und korrigiert werden. Deshalb pflegt man eine „Kultur des Scheiterns“. Auch das sollte in unseren gesellschaftlichen Diskurs übernommen werden.
Ich finde es also gut, umfassend informiert zu werden und möglichst vielen jungen Menschen eine umfassende, gediegene Bildung zu vermitteln und sie auf dieser Basis zu offener, ruhig auch kontroversieller Diskussion zu ermuntern. In der Folge sollten wir uns aber angewöhnen, Entscheidungen zu treffen, die nicht dem Irrglauben folgen, alleinig richtig zu sein, sondern spätere Anpassungen und Korrekturen zulassen.