Wer allzu oft von den früheren guten Zeiten redet, läuft Gefahr, als alternder „Grantler“ eingestuft zu werden und wenn man den Statistiken glauben kann, dann geht es in der Gegenwart ja mehr Menschen gut, als noch vor ein paar Jahren. Empfunden wird das freilich ein bisschen anders. Es scheint, als würden sich jede Menge diffuser Ängste ausbreiten – nicht selten geschickt geschürt und politisch missbraucht. Kann sein, dass man in der heutigen Zeit damit leben muss, aber ich erinnere mich an eine Zeit, in der Angst, zumindest als politisches Instrument, kaum eine Rolle gespielt hat, weil eine starke Mehrheit davon überzeugt war, dass sich alles zum Guten wenden wird.

Es gab eine Zeit, in der man wirklich daran geglaubt hat, dass alle Menschen, egal welcher Religion und Hautfarbe, friedlich miteinander auskommen könnten und wenn es da und dort noch nicht funktionierte, war man trotzdem überzeugt, dieses Ziel in absehbarer Zukunft erreichen zu können. Es war die Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders, später die Zeit, die als anbrechendes Wassermannzeitalter gepriesen und besungen wurde.

„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“ Carl Sandburg hat diesen Satz in einem Gedicht schon 1936 geschrieben, der in den 70-er Jahren, besonders im deutschsprachigen Raum zum Slogan für eine ganze Generation wurde. Natürlich weiß auch ich, dass der Satz eine schöne Phrase blieb und es weiterhin Kriege gab, in denen Menschen auf grausame Art starben. Aber das ferne Ziel blieb die Utopie eine Welt ohne Krieg, ohne Waffen.

Hin und wieder sprach man damals von der „gelben Gefahr“ und meinte, dass uns die Chinesen einfach überrennen würden, aber es trat nicht ein und verlor seinen Schrecken. Schließlich wurde der Vietnamkrieg beendet, Nixon fuhr nach China, die großen Blöcke führten Abrüstungsgespräche. Die EU breitete sich aus, die Berliner Mauer wurde friedlich abgetragen, der Eiserne Vorhang zerbröselte, der ehemals böse Ostblock war zum Partner geworden und weil es schließlich keine Feinde mehr gab, wurde unser Bundesheer und andere Heere kleingeschrumpft.

Natürlich lässt sich darüber streiten, wer oder was diese Entwicklung ausgelöst und vorangetrieben hat. Politiker wie Brandt, Gorbatschow, Genscher… die Gunst der Stunde… der wirtschaftliche Niedergang des Kommunismus? Jedenfalls gab es das Ziel, die Jugend zu toleranten, friedlichen Bürgern zu erziehen, Religionen und Nationen als gleichwertig und gleichberechtigt zu betrachten und das soziale Gefälle zu verkleinern.

„Erziehung nach 1945 kann nur ein Ziel haben, nämlich das was davor war, mit allen Mitteln zu verhindern.“ Diesen Satz habe ich irgendwo gelesen, bevor ich zu unterrichten begann und er schien mir richtig und wichtig.

Wenn ich mich heute umsehe, wenn ich lese, was auch hier auf f+f an Pessimismus und gegenseitiger Diffamierung verbreitet und als salonfähig hingenommen wird, dann frage ich mich, was in den wenigen letzten Jahren mit uns geschehen ist.

Demokratie und Freiheit, die jahrelang errungen und erkämpft wurden scheinen vielen so selbstverständlich, dass kaum noch jemand bereit ist, dafür Opfer zu bringen. Für Freiheit kämpft man nicht, man hat sie. Aber ist das wirklich so?

Seit 2006 gibt es den jährlich veröffentlichten Demokratieindex, in dem 167 Länder bewertet und gelistet werden. Daraus geht hervor, dass nur knapp 5 Prozent der Weltbevölkerung in vollständigen Demokratien leben. Deutschland und Österreich liegen in dieser Liste gegenwärtig an 13. und 14. Stelle.

Ich erinnere mich an einen Disput mit einem meiner Kinder, in dem ich versucht habe zu erklären, dass man sich seine persönliche Freiheit erringen muss. Eine von anderen gewährte Freiheit ist immer nur das, was andere unter diesem Begriff verstehen und insofern immer zu wenig. Und ich habe mich auch öfters gefragt, ob es nicht klug wäre, die Freiheit junger Menschen (etwa die von Schülern) gezielt einzuschränken, damit sie deren Wert bewusst und für sich schätzen lernen. Dies in der Hoffnung, dass sie das dann auch wirklich tun und ihnen „ihre Freiheit“ wieder was wert ist.

„Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Dieses Zitat wird üblicherweise Goethe zugeschrieben und ich glaube nicht, dass er dabei in erster Linie an materielle Güter gedacht hat. Auch geistige Errungenschaften schwinden, wenn sie nicht gepflegt und geübt werden.

Beim Betrachten der unten kopierten Karte des Demokratieindex fällt natürlich auch auf, dass die funktionierenden Demokratien mit dem Wohlstand in diesen Ländern zu tun haben. Demokratie ermöglicht offenbar Wohlstand und manche meinen auch, dass erst Wohlstand die Demokratie ermöglicht. Nun bin ich nicht genügend Historiker um zu sagen, welche Meinung die richtige ist. Was also zuerst da war.

Ich habe darüber im Feb. d. J. einen Beitrag geschrieben. „Frieden braucht Wohlstand und Wohlstand braucht Freiheit“ auf den Leopold Scharf

damals geantwortet hat, dass Freiheit und Wohlstand nichts wert sind, wenn sie nicht mit „Liebe im Herzen“ einhergehen, weil ansonsten nur der Egoismus gefördert würde.

Sind wir tatsächlich in den letzten Jahren so egoistisch geworden, dass wir uns gegenseitig das Wasser abgraben und nicht mehr sehen wollen, dass für uns alle genug da wäre, wenn wir uns zu einer gerechteren Verteilung durchringen könnten?

„Only bad news are good news.“ Dieser Satz mag für die Verkaufszahlen von Zeitungen stimmen, für die Psyche der Menschen hat er sich längst zur Katastrophe entwickelt. Da scheint die Terrorgefahr allgegenwärtig, wird jeder Fall von Vogelgrippe zur Bedrohung für die Welt, die nur noch von Finanz- und Wirtschaftskrisen geschüttelt wahrgenommen wird. Von der guten alten Zeit zu träumen wird auch in Zukunft nicht genügen.

Wir sollten es wieder wagen, positive Utopien zu denken und darauf vertrauen, dass sie eines Tages wahr werden können. Diese Methode hat vor einigen Jahren noch funktioniert. Warum sollte sie das jetzt nicht mehr tun?

Quelle: The Economist Intelligence Unit

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