In den letzten Monaten hat sich einiges getan. Die Welt wurde mit einer Pandemie konfrontiert, welche die meisten Staaten, trotz vereinzelter Warnungen, ziemlich unvorbereitet getroffen hat. Mancherorts diskutiert man noch immer, wie darauf reagiert werden soll, ob zigtausende Tote als Kollateralschaden hingenommen werden, um die Wirtschaftsabläufe nur ja nicht einzuschränken, wie lange es dem Einzelnen zumutbar ist, auf Mitmenschen Rücksicht zu nehmen und gelegentlich liest man sogar, dass es alle die Toten gar nicht gegeben hat und wir nur mit gefälschten Bildern verängstigt werden sollten. Die Menschen wollen ihr früheres, unbeschwertes Leben zurück und das möglichst rasch.
„Wir haben drei Monate lang nur das gekauft, was wir wirklich brauchen und die Weltwirtschaft schlitterte angeblich in die größte Krise seit hundert Jahren!??“
Virologen und Chemiker der ganzen Welt suchen nach einem Impfstoff oder zumindest einem wirksamen Medikament, um der Pandemie Herr zu werden und Wirtschaftsfachleute fragen, wie man den niederbrechenden Systemen zu einem Neustart verhelfen kann. Das alles vor drohenden oder schon ausgebrochenen sozialen und politischen Unruhen und Staatsführungen, deren Vertrauenswürdigkeit immer deutlicher schwindet.
Mit einem politischen Richtungsstreit ob Rechts oder Links hat die gegenwärtige Uneinigkeit schon längst nichts mehr zu tun, wenngleich neben Massengräbern auch gerade neue gesellschaftliche Gräben ausgehoben werden. In welchen Ländern die besseren Strategien gegen die rasante Ausbreitung der Pandemie angewendet wurden, läßt sich anhand der gemeldeten Sterbefälle mit einiger Treffsicherheit sagen, wie realistisch eine zweite Welle über uns hereinbricht, kann nur geraten werden. Wichtiger wäre die Frage, wie man die Wirtschaft wieder ankurbelt und dabei gleichzeitig die alten, schon vor Covid 19 zutage getretenen, systemischen Fehler vermeidet. Genau darüber hört und liest man allerdings wenig.
Erinnern wir uns: es gab vor der Pandemie eine weltweite Diskussion über das Klima. Es gab sogar erste Hoffnungsschimmer dafür, dass das Problem von einer breiten Öffentlichkeit verstanden wurde. Dann haben wir gesehen, dass die Natur an vielen Stellen erstaunlich rasch in der Lage war, sich zu regenerieren. Die Luft war besser, die Flüsse und Seen sauberer, in den Familien wurde mehr miteinander geredet, Urlaubspläne auf ein bescheideneres Maß heruntergefahren. Es gab eine Menge guter Vorsätze.
Wir haben gesehen, welche Berufe systemrelevant sind, mit welchem Aufwand Pflegekräfte und Billigstarbeitskräfte aus Ländern mit niedrigen Löhnen herbeigeschafft werden. Das Versprechen mit den höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen ist längst wieder vergessen. In fast allen Branchen bemüht man sich, die alten Umsatzzahlen zu erreichen und die Methoden sind noch immer die gleichen wie vor der Krise.
Vielleicht wäre jetzt, da die Wirtschaftsforscher zweistellige Prozentzahlen als Rückgang befürchten, der Moment gekommen, darüber nachzudenken, ob nicht auch geringere Wachstumsraten ausreichen, um Sicherheit und Wohlstand zu generieren. Konzepte bei denen Teilen der Ressourcen und gegenseitige Anerkennung der Leistungen keine hohlen Phrasen sind. Vielleicht braucht es nicht alle Lebendtiertransporte die vor der Krise angeblich überlebenswichtig waren. Wir könnten hinschauen und erkennen, dass in riesigen „Tierfabriken“ nicht nur die Tiere, sondern auch die arbeitenden Menschen übel behandelt werden. Vielleicht können wir manches im Inland produzieren, was im fernen Ausland unter unvorstellbarer Ausbeutung erzeugt wurde. Vielleicht kommen wir langsam dahinter, dass Waffenproduktionen viel zu oft dazu verwendet werden, berechtigte Anliegen zu unterdrücken und mögliche Auflehnung gar nicht entstehen zu lassen.
Die Pandemie hat viele Unzulänglichkeiten sichtbar werden lassen, die uns bisher als überlebenswichtig dargestellt wurden und sie hat gezeigt, dass die selbstregulierenden Kräfte der freien Märkte sehr rasch an ihre Grenzen stoßen und Gesundheitseinrichtungen, Schulen und Kultureinrichtungen auch dann gebraucht werden, wenn sie keine Gewinne abwerfen. Wir werden uns darüber einigen müssen, welche Güter und welche Leistungen unverzichtbar und wieviel sie uns wert sind. Wobei ich mir nur schwer vorstellen kann, dass die Welt dann genau wieder so wird, wie sie vor der Pandemie war.
Ich befürchte allerdings, dass die Chance für systemändernde Reformen nicht allzu lange bestehen bleiben wird, weil überall dort, wo es gelingt mit den althergebrachten Methoden wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, weder Zeit noch Energie darauf verwendet werden wird, über alternative Konzepte nachzudenken.
g.novak