An dieses Thema muss ich gerade denken, nachdem ich "Kleine Städte sterben langsam" von Thomas Rottenberg, gelesen hab

Ich sitz gerade im 14A und fahr die Strasse runter. Wie ich so rechts und links raus schau, fallen mir die vielen lerstehenden Lokale auf. Ich muss fast an ein Ghetto denken, so trostlos wirkt der Anblick. Aber hier, bei uns, in Wien, in Österreich?

Bei manchen sieht man noch, wie sie eingerichtet waren. Viele haben noch das Geschäftsportal, oft ein einfaches Schild, nichts besonderes halt. Doch bei ein paar sieht man, mit wieviel Liebe, Hoffnung und Zuversicht, sie gestaltet sind. Aber wo sind die Menschen dahinter, die sich eine schöne Zukunft erhofft haben? Für die dieser eine kleine Laden der Zweck ihres Lebens sein sollte, die eigene kleine Lebensaufgabe. Mit ganzem Herzblut herausgeputzt. Sicher, eine Menge dieser Lokale hatte gar keine Zukunft zu erwarten. Einfach nur irgendwas, vielleicht um 1Euro, billig verkaufen. Geht's ists schön, geht's nicht, was solls... Oder Filialen irgendwelcher Ketten, die den Standort einfach wieder geschlossen haben.

Doch dazwischen immer wieder gescheiterte Zukunftspläne, zerstörte Existenzen, tiefe traurigkeit.

Unsere Familie hat 1889 einen Optiker Familienbetrieb gegründet, der zu den ältesten seiner Zunft in Österreich gehört. Ich bin die 5. Generation. Mein ganzes Leben hab ich davon geträumt, die Firma zu übernehmen, nie, wirklich nie, wollte ich etwas anderes als Optiker werden. Dabei hätte es garantiert viele Berufe gegeben, in denen ich besser wär. Ich möchte damit nicht sagen, das ich schlecht in meinem Job bin, das bin ich ganz sicher nicht, aber ich war in der Schule in vielen Fächern gut, nur nicht unbedingt in denen, die für Optik gebraucht werden.

Die Berufschule hab ich halt so grad irgendwie hinter mich gebracht, doch ich hatte was anderes, ich hatte Herzblut. Manche, die sehr gute Schüler waren, machen inzwischen ganz was anderes und ich hab erlebt wie manche in der Schule gut waren, in Mathematik, Physik, Werkstoffkunde, aber nicht mit Kunden umgehen konnten. Ich war kein guter Schüler, aber ich habe von der Familie gelernt, das gelernt, was den Beruf wirklich ausmacht. Den Kunden, von dem wir letztlich leben, das zu verkaufen, was für sie das optimalste ist. Bedarfsanalyse, Wissen um die Möglichkeiten, mit denen man ihnen helfen kann. Und da bin ich gut!

Lang hab ich bei uns in der Firma gearbeitet, bis ich auch mal woanders angefangen hab. (Daheim ist man mit 40 noch Lehrling...) Doch die Zeiten sind schlechter geworden und ich war noch nicht bereit die Firma zu übernehmen.

Und sie wurden noch schlechter... bis mein Vater die Firma verkauft hat.

Als sich mein Lebenstraum aufgelöst hat, alles wofür ich gelebt habe, was ich mir immer vorgestellt habe, alles vorbei...

Noch jetzt, 15 Jahre später, bin ich noch nicht darüber weg. Wobei, hätte die Firma schon mir gehört und hätte ich sie schliessen müssen, ich hätte keine Sekunde weiterleben wollen.

Es ist noch immer ein Optiker Lokal und es läuft sogar noch unter unserem Namen, doch wenn ich rein gehen sollte, bin ich ein Fremder. Da geh ich lieber gar nicht mehr hin, mach um die Strasse einen Bogen, weil vorbeizufahren und die langen Erinnerungen zu haben, ist viel zu schmerzhaft. Ich behalt sie lieber als den Familienbetrieb, der er war, im Gedächtnis.

So ist es unter den vielen geschlossen Lokalen, eines das noch offen ist, das aber in meinen Gedanken geschlossen ist. Meine kleine geschlossene Perle...

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Kristallfrau

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Silvia Jelincic

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Bluesanne

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