Die Revolution 1848:
Aufgebrachte BürgerInnen stehen dem Militär am Ende einer Gasse gegenüber. Die Stimmung in der Menschenansammlung ist explosiv. Das Militär antwortet mit Schüssen in die Menge, die habsburgischen Machthaber wissen nicht so recht, wie sie reagieren sollen. Dem verdutzten Kaiser Ferdinand wird als Ausdruck seiner Verwunderung über den Volkszorn der Satz zugeschrieben: “Ja, dürfen’s denn des?”
Ich erlaube mir, diesen berühmten Spruch aus hochherrschaftlichem Munde zu zitieren, und zwar in Zusammenhang mit der vielgepriesenen "Meinungsfreiheit" und die Grenzen derselben. Aktuell wird viel über den schlimmen Fall einer Vergewaltigung einer jungen Frau mitten in Wien AUF EINER ROLLTREPPE diskutiert - die Wogen gehen hoch in den sozialen Medien.
Es wird lang und breit darüber debattiert, ob eine solche Tat auf einer Rolltreppe technisch überhaupt möglich und durchführbar sei, in Anbetracht dessen, dass es sich dabei um einen sich bewegenden Untergrund handelt, noch dazu in Stiegenform, und diese auch nicht sehr lang ist... Überlegungen werden angestellt, Argumente hin- und hergeworfen, es wird spekuliert, was das Zeug hält. Und dabei neben aller technischen Abarbeitung dieses Vorfalles offensichtlich ganz darauf vergessen, worum es im gegenständlichen, so heiß debattierten Fall eigentlich geht - nämlich um einen abscheulichen Übergriff auf eine junge Frau mitten in unserer Stadt. Und darauf, dass diese junge Frau Teil unserer Gesellschaft ist.
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Was mich zurückbringt zur Eingangsfrage:
Ja, dürfen's denn des? Wie weit darf die Meinungsfreiheit gehen - und: ist nicht die Würde des Opfers höher zu bewerten, als die Möglichkeit, über nahezu ALLES diskutieren zu dürfen? Ist es statthaft, in ellendslangen Diskussionen mittels unzähliger Postings zu erörtern, wie weit ein Übergriff nun tatsächlich gegangen ist, ob es sich "nur" um eine versuchte Vergewaltigung gehandelt hat oder doch um eine vollzogene? Gesetzt den Fall, das Opfer würde tatsächlich die angestellten Spekulationen jemals zu Gesicht bekommen - wovor Gott es hoffentlich bewahren möge - ist das nicht quasi eine Wiederholung der Gewalt an diesem?
Und - wie steht es um die moralische Integrität derjenigen, die hier wild darauf losspekulieren, wie weit die mögliche Penetration gegangen sei, und ob es sich überhaupt um eine solche gehandelt habe - ganz so, als ob es um den Gebrauch eines komplizierten technischen Gerätes mit allen Vor- und Nachteilen ginge, den man ventiliert?
Ist eine solche Verbreitung über derartige Taten nicht auch ein Zeichen für die Verrohung unserer Gesellschaft, in der alles durchgekaut wird und es keinerlei Tabus mehr gibt? Ohne Rücksicht auf mögliche Opfer oder Betroffene?
Oder ist es tatsächlich das Recht auf die vielbesungene Meinungsfreiheit, deren Beschränkung dann ebenso Empörte entrüstet zurückweisen?
Und wie schaut es aus mit diversen anderen Greueln, die in unserer Welt tagtäglich passieren? Darf man sich über im Krieg zu Tode gekommene Ethnien lustig machen, bzw. Witze darüber reißen?
Manche Betroffene selbst sind darin ja geradezu Meister - dürfen aber andere als die jeweils Betroffenen auch über deren Qualen witzeln? Oder ist das nur und ausschließlich den Betroffenen selbst gestattet?
Darf man über eine Religion spotten? Darf man Gott, den Propheten oder sonstwen beleidigen? Wobei hier der Terminus der Beleidigung mehr oder weniger eng gezogen werden kann, je nachdem, um wen es sich gerade handelt.
Muss man sich stets und korrekt um die Befindlichkeit derjenigen sorgen und auf diese Rücksicht nehmen, bevor man sich in Satire, Spott oder Hohn ergießt?
Müssen wir künftig jedes Wort auf die Goldwaage legen?
Die Sache mit der Meinungsfreiheit - gar nicht so einfach.