Bataclan, ba ta clan. Übersetzt: Krempel, alles, was noch so dazugehört. Aber ein Synonym für Trauer seit jenem 13. November 2015. In Paris. Und weit darüber hinaus. Auch mit dem Ende könnte ich jenen Bericht über meinen Bataclan-Augenschein knapp 100 Tage nach dem Attentat beginnen: Mit dem Ende in Jacques Offenbachs gleichnamiger Operette, nach dem das Pariser Kulturzentrum im elften Arrondissement benannt ist, hier besteigen zum Schluss die drei Hauptpersonen ein Schiff nach Hause. Nach Frankreich.
Aber, so sehr ich versuche, das Werden und meinen Zugang zu dieser Bilder-Geschichte zu verbergen, er drängt sich in den Vordergrund.
Was mache ich hier, bin ich Sensations-Tourist? Habe ich einen Rückfall in meine alten Zeiten als Lokal-Reporter? Unglück-Schauen, wie es mein sehr geschätzter Lehrmeister und Chefredakteur spöttisch/sarkastisch immer nannte. Ein Ringen von vielen Tagen. Ich/man wird es erst wissen, wenn man dem Drang, an den Schauplatz des Schauderns zu fahren, nachgegeben hat.
Selten ein Ort, der so anziehend ist, weil er dermaßen die jüngste, leider sehr blutige, Geschichte Europas erzählt. Was kann man dort sehen, was wird einen erwarten, an diesem sonnig-kaltwindigen Sonntagvormittag im noch etwas verschlafenen Paris? Das sind die Fragen, die mitreisen, die einen sehr gut quälen und damit ein sehr brauchbarer Filter sind. Ein Filter für die Annäherung an den Boulevard Voltaire. Um zu wissen, warum man etwas tut. Und nicht zur gleichen Zeit einfach nur in einem Cafe die Journale duchblättert, ein Museum oder das noch unbeschädigte Paris erkundet.
Ich wollte DAS, und ich weiss auch, wer an diesem Sonntag-Vormittag mindestens eine Stunde an dem Schauplatz Bataclan verbrachte. Es ist, es war der Flaneur in mir. Jener, der das krasse Gegenteil zum früheren Reporter darstellt, wobei natürlich die Grenzen immer fließend sind. Und eins ohne das Andere nicht existieren könnte.
In aller Konsequenz erlebt und den Schauplatz gespürt zu haben ist einfach komplett etwas Anderes (man verzeihe mir den beinah banalen Einschub), als erlitten, selbst erschaudert, selbst ge-/betroffen zu sein. Allein von den Eindrücken, die 100 Tage nach dem Angriff an diesem sonnigen Sonntag noch dominieren. Ich verknüpfe die Bilder aus den Medien mit den echten Bildern vor meinen Augen, sie passen zusammen. Ehrfurchtsvoll fotografiere ich die von der Polizei markierten Einschusslöcher in der Seitengasse, in der Passage Saint-Pierre Amelot. Ein Film läuft ab. Leider keine Operette.
Ein Film über jenen Abend, über die vielen Opfer, die an an einer riesigen Gedenkstätte sichtbar sind. Mit den Tränen der Angehörigen geschrieben, mit den Fotos der Getöteten versehen. Rund 130 Opfermahnmale mit den Rosen der vielen Angehörigen und den Kerzen der Freunde versehen. Auch den Gedanken, vor allem den Gedanken.
Selten so ein Beben bei diesem vor dem inneren Auge ablaufenden Film verspürt und bei der Andacht an das Geschehene. Ich bin hier nicht allein. Kaum einer der Menschen schafft es, an dem mit Absperrungen versehenen Bataclan, einfach nur vorbeizueilen. Die Gesichter, in die ich blicke, sind von der Andacht und der Betroffenheit gezeichnet, die 100 Tage nach der Attacke am Boulevard Voltaire präsent sind.
Schauplatzwechsel an den Place de la République, wo ich glaube, endlich dem 13. November zu entkommen zu sein. Keineswegs: Hier ist die noch viel opulentere Gedenkstätte zu spüren. Auch stehen hier Passanten mit einem Schild mit der Aufschrift "Meditez avec nous 1 minute pour la paix". Es möge helfen, es sollten mehr Menschen mitmeditieren. Denke ich.
gmh gmh
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