EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 9.12.2021
COM(2021) 777 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
Ein inklusiveres und besser schützendes Europa: Erweiterung der Liste der EU-Straftatbestände um Hetze und Hasskriminalität
„Hass bleibt Hass – und damit dürfen wir uns nicht abfinden!“
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission
Rede zur Lage der Union, September 2020
1.Einleitung
In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union von 2020 1 betonte die Präsidentin der Kommission Von der Leyen, dass der Fortschritt im Kampf gegen Rassismus und Hass ein zartes Pflänzchen ist und dass jetzt der Zeitpunkt für Veränderungen und für eine Union gekommen ist, in der Verurteilen wichtig und Handeln noch wichtiger ist. Sie kündigte folgenden Vorschlag der Kommission an: „Wir wollen die Liste der EU-Straftatbestände auf alle Formen von Hassverbrechen und Hassreden ausweiten – sei es in Bezug auf Rasse, Religion, Geschlecht oder Sexualität.“
Die Bekämpfung von Hetze und Hasskriminalität ist Teil der Maßnahmen der Kommission zur Förderung der Grundwerte der EU und zur Wahrung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“). Alle Formen und Ausprägungen von Hass und Intoleranz sind unvereinbar mit den Werten, auf die sich die EU gründet, nämlich die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte, die in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union („EUV“) verankert sind, sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.
Tatsächlich ist jede Form der Diskriminierung – sei es aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung gemäß Artikel 19 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) – verboten. Gleichzeitig ist das Recht auf freie Meinungsäußerung eine der Säulen einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft und muss nachdrücklich geschützt werden. Darüber hinaus muss die EU gemäß Artikel 67 AEUV einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bilden, in dem die Grundrechte geachtet werden. Sie muss durch Maßnahmen ein hohes Maß an Sicherheit bei der Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gewährleisten.
Hetze und Hasskriminalität schaden nicht nur den einzelnen Opfern und ihren Gemeinschaften, bei denen sie Leid und eine Einschränkung ihrer Grundrechte und -freiheiten verursachen, sondern auch der Gesellschaft insgesamt. Hass untergräbt die Grundfesten unserer Gesellschaft. Er schwächt das gegenseitige Verständnis und die Achtung der Vielfalt, auf denen pluralistische und demokratische Gesellschaften aufbauen.
In den letzten Jahrzehnten haben Hetze und Hasskriminalität in Europa stark zugenommen. 2 Hass ist in der breiten Masse angekommen 3 und richtet sich gegen Einzelpersonen und Gruppen von Menschen, die „ein gemeinsames Merkmal“ wie Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Sprache, Religion, Nationalität, Alter, Geschlecht, sexuelle Ausrichtung, Geschlechtsidentität, Ausdruck der Geschlechtlichkeit, Geschlechtsmerkmale oder ein anderes grundlegendes Merkmal oder eine Kombination solcher Merkmale teilen oder als diese teilend wahrgenommen werden. Diese Merkmale sind im Allgemeinen für andere erkennbar, sodass es für Täter einfacher ist, auf sie abzuzielen. Die Merkmale beziehen sich auf einen Aspekt der Identität einer Person, der unwandelbar oder elementar zum persönlichen Bewusstsein des eigenen Selbst gehört, während sie gleichzeitig ein Zeichen einer Gruppenidentität sind.
Die zunehmende Nutzung des Internets und der sozialen Medien hat im Laufe der Jahre auch zu mehr Hetze im Netz geführt. Der schnelle Austausch von Hetze durch das digitale Wort wird durch den Online-Enthemmungseffekt erleichtert, da die mutmaßliche Anonymität im Internet und das Gefühl der Straflosigkeit die Hemmschwelle der Menschen senkt, solche Straftaten zu begehen. Gleichzeitig wurden auch in der öffentlichen Debatte Emotionen und die Verletzlichkeit zunehmend für politische Zwecke genutzt, um rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen und Angriffe zu verbreiten, die in vielen Fällen von den sozialen Medien verstärkt wurden. 5 Die Verbreitung von Hass unter potenziell gefährdeten Zielgruppen kann in einem breiten Spektrum des gewalttätigen Extremismus von Dschihadisten bis zu rechtem und linkem Extremismus beobachtet werden. 6 Dies hat zu einer Polarisierung der Gesellschaft und damit zur Zunahme von Hetze insbesondere gegen Randgruppen beigetragen.
Die durch die COVID-19-Pandemie verursachte Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit hat die Gefühle der Unsicherheit, Isolation und Angst verschärft und eine Atmosphäre geschaffen, in der Hetze gediehen ist. Die Pandemie selbst wurde von verschiedenen extremistischen ideologischen Bewegungen genutzt, um bestimmte Bevölkerungsgruppen (aus verschiedenen Gründen, einschließlich Nationalität, Religion, Rasse, Geschlecht, sexueller Ausrichtung, Hautfarbe und sogar Alter) zum Ziel zu nehmen, was auch zu Hasskriminalität geführt hat. 7
Ziel der Kommission ist es, die Liste der Kriminalitätsbereiche der EU auf Hetze und Hasskriminalität auszuweiten. Für Hass ist kein Platz in der EU. Er sollte mit allen verfügbaren Mitteln, auch im Rahmen des Strafrechts, bekämpft werden.
2.Kontext der Initiative
Artikel 83 Absatz 1 AEUV legt eine erschöpfende Liste der Kriminalitätsbereiche 8 fest, in denen das Europäische Parlament und der Rat Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen festlegen können, die in allen EU-Mitgliedstaaten gelten. Er sieht ferner vor, dass der Rat auf der Grundlage der Entwicklung der Kriminalität einen Beschluss erlassen kann, in dem andere Bereiche besonders schwerer Kriminalität bestimmt werden, die aufgrund der Art oder Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben.
Das Erlassen eines solchen Beschlusses durch den Rat wäre ein erster Schritt zur Schaffung der erforderlichen Rechtsgrundlage, um in einem zweiten Schritt einen gemeinsamen Rechtsrahmen zur Bekämpfung von Hetze und Hasskriminalität in der gesamten EU anzunehmen. Solche künftigen Rechtsvorschriften würden das geltende EU-Recht ergänzen, das die Kriminalisierung von Hetze und Hasskriminalität aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationaler oder ethnischer Herkunft vorschreibt (siehe Abschnitt 2.2), und andere spezifische Gründe abdecken.
Für diese Initiative wurden solide Vorarbeiten geleistet, einschließlich einer externen Studie 9 , einer umfassenden Konsultation der Kommission sowie einer großen Zahl verfügbarer Berichte und Studien.
2.1.Institutioneller Kontext
Die Kommission legt diese Initiative auf der Grundlage von Artikel 17 Absatz 1 EUV 10 und nach dem in Artikel 83 Absatz 1 AEUV vorgesehenen zweistufigen Verfahren vor:
Der erste Schritt besteht darin, dass der Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig einen Beschluss erlässt, in dem Hetze und Hasskriminalität als weiterer Kriminalitätsbereich bestimmt werden, der die Kriterien des Artikels 83 Absatz 1 AEUV erfüllt. Ein solcher Beschluss weitet die Liste der in Artikel 83 Absatz 1 AEUV aufgeführten Kriminalitätsbereiche aus, sodass sie Hetze und Hasskriminalität als EU-Straftatbestand umfassen. Damit wird eine Rechtsgrundlage geschaffen, die es dem Europäischen Parlament und dem Rat ermöglicht, durch Richtlinien Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen in diesem Kriminalitätsbereich festzulegen.
In einem zweiten Schritt kann die Kommission den Erlass von Richtlinien zur Festlegung von Mindestvorschriften für die Definitionen und Sanktionen in Bezug auf Hetze und Hasskriminalität vorschlagen, die vom Europäischen Parlament und vom Rat im Einklang mit dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden.
Die vorliegende Initiative betrifft die erste Stufe und berührt nicht die Maßnahmen, die in einer zweiten Stufe ergriffen werden können. Sie greift dem Anwendungsbereich und dem Inhalt des Sekundärrechts, das später vorzuschlagen ist, nicht vor. Ebenso berührt der Erlass von Richtlinien, wie oben erwähnt, die durch die Charta geschützten Grundfreiheiten, insbesondere die Freiheit der Meinungsäußerung, einschließlich der Presse- und Medienfreiheit.
Sobald der Beschluss des Rates erlassen ist, wird die Kommission von ihrem Initiativrecht im Einklang mit den Anforderungen an eine bessere Rechtsetzung Gebrauch machen. Die Kommission wird eine Folgenabschätzung durchführen, um die verschiedenen Optionen für die Festlegung von Straftaten und Strafen und ihre Auswirkungen auf die Grundrechte, insbesondere auf die Freiheit der Meinungsäußerung und die Presse- und Medienfreiheit, die solide Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft sind, sorgfältig zu prüfen. 11
Um den Anwendungsbereich und den Inhalt der Vorschriften, die vorgeschlagen werden könnten, genau festzulegen, wird die Kommission der Entwicklung von Hetze und Hasskriminalität angesichts der jüngsten Daten und Trends besondere Aufmerksamkeit widmen. Eine solche sorgfältige Bewertung gesellschaftlicher Entwicklungen und Trends wird für die Bestimmung der Tatbestandsmerkmale künftiger Straftaten von besonderer Bedeutung sein. Dazu gehört auch die Festlegung der spezifischen Formen von Hetze und Hasskriminalität, die unter Bezugnahme auf die geschützten Merkmale der als Ziel gesetzten Personen und Gruppen unter Strafe zu stellen sind.
Hetze und Hasskriminalität als Kriminalitätsbereich
Hetze und Hasskriminalität werden auf internationaler Ebene als Kriminalitätsbereich anerkannt. 31
Bereits in seiner Empfehlung von 1997 32 hatte der Europarat Hetze als Aufstachelung zu Hass gegen Einzelpersonen oder Gruppen angesehen, die durch bestimmte geschützte Merkmale definiert sind 33 . Gemäß der Empfehlung der Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats aus dem Jahr 2015 ist Hassrede definiert als „das Befürworten und Fördern von oder Aufstacheln zu jeglicher Form von Verunglimpfung, Hass oder Herabwürdigung einer Person oder Personengruppe […] ebenso wie jegliche Belästigung, Beleidigung, negative Stereotypisierung, Stigmatisierung oder Bedrohung einer Person oder Personengruppe und die Rechtfertigung der genannten Äußerungen, die aufgrund der Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationalen oder ethnischen Herkunft, des Alters, einer Behinderung, der Sprache, der Religion oder der Überzeugung, des biologischen oder sozialen Geschlechts, der Geschlechtsidentität, sexuellen Orientierung oder anderer persönlicher Eigenschaften und Statusmerkmale getätigt werden“. 34 Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bezeichnet Hasskriminalität als „durch Vorurteile gegen bestimmte Gruppen in der Gesellschaft motivierte strafbare Handlungen“. 35
Während das EU-Recht keine rechtliche Definition von Hetze und Hasskriminalität an sich enthält, führt der Rahmenbeschluss strafrechtliche Definitionen der schwerwiegendsten Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf. Laut der Definition des Rahmenbeschlusses bezieht sich Hetze auf die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine Gruppe oder ein Mitglied einer solchen Gruppe mit einem gemeinsamen geschützten Merkmal. 36 Hasskriminalität im Sinne des Rahmenbeschlusses 37 ist jede Straftat 38 (Grunddelikt) ausgenommen Hetze, die aus rassistischer oder fremdenfeindlicher Motivation (auf einem Vorurteil begründetes Motiv) begangen wird.
Die Handlung des Täters wird sowohl bei Hetze als auch bei Hasskriminalität durch eine auf Vorurteilen basierende Motivation ausgelöst. Zielpersonen werden auf der Grundlage ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen Verbindung oder Verbundenheit mit, Zugehörigkeit zu, Unterstützung von oder Mitgliedschaft bei einer Gemeinschaft oder Gruppe ausgewählt, die ein geschütztes Merkmal teilt. 39 Diese Taten sind auf die Identität ausgerichtet oder sollen Botschaften senden; denn die vermittelten Botschaften – insbesondere, dass die ins Visier genommenen Opfer nicht zu dieser Gesellschaft gehören – sind nicht nur an das Opfer, sondern auch an seine Gemeinschaft oder Gruppe gerichtet. 40 Folglich ist das Motiv des Täters von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, diese Straftaten von anderen Straftaten zu unterscheiden und ihre schwerwiegendere Bedeutung unter Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen zu bestimmen, die diese Straftaten auf das einzelne Opfer, auf die Gemeinschaften und auf die Gesellschaft insgesamt haben. 41
Das Element des Hasses ist ein wesentliches Merkmal sowohl von Hetze als auch von Hasskriminalität. Hass führt zur Abwertung einer Person oder Gruppe und stellt eine Bedrohung der Menschenwürde derselben dar. Er negiert ihre Gleichberechtigung als Mitglieder der Gesellschaft 42 , einschließlich ihres Rechts auf Teilhabe am politischen oder sozialen Leben, den Grundprinzipien, auf die sich die EU gründet. Das Verständnis der Rolle des Hasses gegen Menschen mit geschützten Merkmalen ist für ihre Anerkennung, die Strafverfolgung und Sanktionierung in unseren Strafrechtssystemen von grundlegender Bedeutung.
Angesichts der Besonderheit, die Hetze und Hasskriminalität charakterisiert, d. h. gegen Personen oder Gruppen, die ein geschütztes Merkmal teilen (oder als dieses teilend wahrgenommen werden), gerichteter Hass, können Hetze und Hasskriminalität als „Kriminalitätsbereich“ im Sinne von Artikel 83 Absatz 1 AEUV betrachtet werden.
Bürgermeisterinnen bzw. Bürgermeister und Politikerinnen bzw. Politiker. 56 In Bezug auf Frauen im öffentlichen Leben ergab eine Umfrage unter 123 europäischen Parlamentarierinnen, dass 46,9 % der Befragten Todesdrohungen oder Androhungen von Vergewaltigungen oder Prügeln erhalten haben und 58,2 % Opfer sexistischer Online-Angriffe in sozialen Netzwerken waren 57 .
Journalistinnen und Journalisten sind häufig Opfer 58 von Hetze in sozialen Medien und könnten als Folge davon zögern, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen oder sich mit bestimmten Themen zu befassen 59 . Während Hetze und Drohungen gegen alle Journalistinnen und Journalisten gerichtet sind, zeigen Statistiken, dass Journalistinnen mehr Bedrohungen ausgesetzt sind als ihre männlichen Kollegen, insbesondere in Form von Belästigung im Internet, Androhungen von Vergewaltigung und Mord sowie Aufstachelung zu Hass aufgrund des Geschlechts. 60 Diese Angriffe sind zuweilen das Ergebnis konzertierter Kampagnen, die darauf abzielen, Journalistinnen zu diskreditieren oder zum Schweigen zu bringen.
Hetze kann nicht nur zu Konflikten führen, sondern auch zu Hasskriminalität. 61 Es gibt Hinweise auf eine „Hasspyramide“ 62 oder eine „Schadensleiter“, die von Vorurteilen (z. B. Mobbing, Verhöhnen, Enthumanisierung) und Diskriminierung (z. B. wirtschaftlicher oder politischer Art) ausgeht und zu vorurteilsmotivierter Gewalt wie Mord, Vergewaltigung, Tätlichkeiten, Terrorismus, gewalttätigem Extremismus oder sogar Völkermord führt 63 . Untersuchungen zeigen den Zusammenhang zwischen gezielten, diskriminierenden Tweets, die in einer Stadt gepostet wurden und der hohen Zahl an Hassdelikten in dieser Stadt. 64 Die Vereinten Nationen (VN) weisen darauf hin, dass „die Aufstachelung zu Gewalt, die sich gegen Gemeinschaften oder Einzelpersonen aufgrund ihrer Identität richtet, dazu beitragen kann, Gräuelverbrechen zu ermöglichen oder vorzubereiten, […] und dass sie sowohl ein Warnsignal als auch ein frühzeitiger Indikator für das Risiko dieser Verbrechen ist“. 65
Forschungsarbeiten zeigen auch, dass Hetze in sozialen Medien zu mehr Straftaten gegen Minderheiten in der physischen Welt führt. 66 Online-Hetze hat zu einer Zunahme der Gewalt gegen Flüchtlinge und Einwanderer, ethnische und religiöse Minderheiten sowie LGBTIQ-Personen geführt. 67 Hetze ausgesetzt zu sein oder das Ziel von Hetze zu sein, kann ebenfalls zum Prozess der Radikalisierung und zu gewalttätigem Extremismus beitragen. Diese können online und offline durch Sprache und Propaganda zum Ausdruck gebracht werden, können aber auch zu gewaltsamen extremistischen oder terroristischen Anschlägen führen. Dies kann destabilisierende und fatale Folgen für die Gesellschaft haben. 68
Der Europarat erinnerte daran, dass das Internet eine neue Dimension für sexistische Hassreden geschaffen hat, und betonte Folgendes: Sexistische Hassreden „[können] zu offen anstößigen und bedrohlichen Handlungen, einschließlich sexuellem Missbrauch oder Gewalt (…) oder potenziell tödlichen Handlungen [oder Selbstverletzung], eskalieren oder anstiften“ 69 . Die Entstehung von Online-Gruppen und -Gemeinschaften wie Manosphere 70 und Incel 71 , die zusätzliche internationale Foren zur Förderung und Verbreitung von Frauenfeindlichkeit und Feindseligkeit gegenüber Frauen bieten, gibt in dieser Hinsicht Anlass zu besonderer Sorge 72 .
3.2.4.Ausmaß von Hetze und Hasskriminalität
auch anhand von konkreten Beispielen. 106 Ein Beispiel ist Hetze aufgrund von Geschlechtsmerkmalen. Insbesondere intersexuelle Personen sind zunehmend zum Ziel von Hetze geworden, die von grenzüberschreitend tätigen Gruppen verübt wird. 107 Die Allgegenwärtigkeit geschlechtsspezifischer Hetze wurde auch vom Europarat 108 hervorgehoben, der stärkere Maßnahmen für ihre Bekämpfung gefordert hat.
Offline zum Ausdruck gebrachte Hassbotschaften (z. B. in den Printmedien, in Fernsehsendungen, in politischen Reden oder Sportveranstaltungen) haben jedoch eine durch ihre Auswirkungen belegte grenzüberschreitende Dimension, da sie leicht vervielfältigt und weit über Grenzen hinweg verbreitet werden können. Mehr als 80 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der gezielten Konsultation waren der Ansicht, dass Offline-Hetze einen grenzüberschreitenden Spillover-Effekt hat. 109 Sie weisen darauf hin, dass die Hassbotschaften von Netzwerken mit Mitgliedern aus mehreren Ländern entwickelt und verbreitet werden und dass Ideologien hinter Hassbotschaften international entwickelt werden und daher grenzüberschreitende Phänomene sind. 110
Die grenzüberschreitende Dimension von Hasskriminalität ist direkt mit der grenzüberschreitenden Dimension von Hetze verknüpft. Hass zieht über nationale Grenzen hinweg und führt zu einer Spirale der Gewalt. Ähnlich wie bei Hetze können die Ideologien hinter Hasskriminalität international entwickelt und schnell online verbreitet werden. Hasskriminalität kann von Netzwerken mit Mitgliedern aus mehreren Ländern (innerhalb oder außerhalb der EU) begangen werden, die zu körperlichen Angriffen anstiften und diese organisieren oder durchführen. Das Counter Extremism Project 111 , das Soufan Center 112 und die Anti-Defamation League 113 sind Beispiele für die transnationale Aktivität verschiedener Gruppen, die grenzüberschreitend Einfluss nehmen und inspirieren. Hasskriminalität kann auch ein Klima der Angst oder sozialer Konflikte schaffen, das von einem EU-Mitgliedstaat auf einen anderen übergreifen kann. 114 Hetze und Hasskriminalität können auch zur Radikalisierung und zur Bildung gewalttätiger extremistischer Gruppen führen, die Grenzen überschreiten und in ihrer Ideologie geeint sind.
Dasselbe Phänomen kann gleichermaßen dazu führen, dass hassmotivierte Straftaten in einem anderen Land kopiert werden oder gewissermaßen als Schablone für andere Straftaten dienen, die die zuerst in dem anderen Land begangene Straftat widerspiegeln. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn bestimmte hassmotivierte Straftaten viel Aufmerksamkeit erhalten und dies andere Personen dazu anstachelt, ähnliche Straftaten zu begehen („Nachahmungseffekt“). Neben dem eigentlichen Begehen von Hasskriminalität können die psychologischen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Gesellschaft leicht Grenzen überschreiten, indem sie ein Umfeld der Angst und sozialer Konflikte hervorrufen. Straftaten und Vorfälle, die sich in anderen Teilen der Welt ereignet haben, hatten Auswirkungen auf mehrere Länder, einschließlich der Bewegung „Black Lives Matter“. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konsultation der Kommission bestätigten die grenzüberschreitenden Spillover-Effekte von Hasskriminalität. 115
Dies ist ein globaler Prozess, der sich unabhängig von seiner geografischen Herkunft auswirkt. Die EU kann weltweit als Vorbild fungieren, und Ideen und Initiativen, die in anderen Teilen der Welt auf den Weg gebracht werden, können zu wirksameren Maßnahmen in Europa beitragen.
Dieser Hintergrund unterstreicht die besondere Notwendigkeit, Hetze und Hasskriminalität auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen.
Die besondere Notwendigkeit, diese Phänomene auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, ergibt sich aus den schwerwiegenden Auswirkungen von Hetze und Hasskriminalität auf die in Artikel 2 EUV verankerten Grundwerte der EU. Die Wahrung unserer gemeinsamen Werte erfordert gemeinsames Handeln.
Die negativen Folgen von Hetze und Hasskriminalität gehen über die Auswirkungen auf einzelne Opfer hinaus und können Gruppen oder Gemeinschaften von Menschen betreffen, die in verschiedenen Ländern leben. Wenn Hetze und Hasskriminalität in einigen wenigen Mitgliedstaaten nicht unter Strafe gestellt werden, könnte das die Anstrengungen untergraben, diese Phänomene wirksam zu bekämpfen, und Spillover-Effekte erleichtern. Wenn kein gemeinsamer Ansatz für die Kriminalisierung bereitgestellt wird, führt das auch zu Lücken und zu einem ungleichen Schutz der Opfer solcher Taten in der EU, da nur Personen, die als Opfer von Straftaten anerkannt sind, Zugang zu den im EU-Recht vorgesehenen Wiedergutmachungs- und Unterstützungsmaßnahmen haben. Ein fragmentierter Ansatz könnte darüber hinaus mehrdeutige Zeichen an die Allgemeinheit senden, etwa dass solche Taten nicht ernst genommen werden und ungeahndet bleiben 116 , dass sie als „normal“ angesehen werden oder es wird sogar so wahrgenommen, dass der Staat in manchen Ländern solches Verhalten legitimiert und/oder toleriert 117 .
Darüber hinaus ergibt sich aus den Bemühungen einzelner Mitgliedstaaten, unterschiedliche Formen von Hasskriminalität und Hetze selbst unter Strafe zu stellen, die besondere Notwendigkeit, Hetze und Hasskriminalität auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen. Ein solcher Ansatz führt zu einer Fragmentierung und zu fehlenden gleichen Ausgangsbedingungen für Personen, die Opfer von Hetze und Hasskriminalität werden können.
ergänzen.
4.Mehrwert der Ausweitung der Liste von EU-Straftaten
4.1.Eine wirksame Antwort auf EU-Ebene
Auf der Grundlage der vorstehenden Bewertung ist die Kommission der Auffassung, dass diese Initiative auf EU-Ebene die wirksamste Antwort auf die ermittelten Herausforderungen ist. Insbesondere kann nur eine gemeinsame Initiative auf EU-Ebene die in Artikel 2 EUV verankerten gemeinsamen Werte wirksam schützen, die durch alle Formen von Hetze und Hasskriminalität untergraben werden, unabhängig von den Personen und Gruppen, gegen die sie gerichtet sind.
Gemeinsame Anstrengungen können wirksam und konsequent auf die Herausforderungen reagieren, die sich aus dem grenzüberschreitenden Charakter der beiden Phänomene sowie aus ihrem Umfang und ihrer zunehmenden Tendenz ergeben. Angesichts der derzeit divergierenden und fragmentierten strafrechtlichen Ansätze der Mitgliedstaaten und ihrer begrenzten Auswirkungen auf EU-Ebene wird das grenzüberschreitende Problem mit dieser Initiative umfassend angegangen.
Nur ein gemeinsamer Ansatz für die Kriminalisierung von Hetze und Hasskriminalität auf EU-Ebene kann einen einheitlichen Schutz der Opfer solcher Handlungen in der gesamten EU gewährleisten. Dazu gehört auch der Zugang der Opfer zu den besonderen Schutzmaßnahmen, die den schutzbedürftigsten Opfern von Straftaten gemäß der Opferschutzrichtlinie gewährt werden. Angesichts der grenzüberschreitenden Dimension von Hetze und Hasskriminalität und der Notwendigkeit einer strafrechtlichen Lösung wird die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden von entscheidender Bedeutung sein. Eine gemeinsame strafrechtliche Reaktion kann das gegenseitige Vertrauen und die justizielle Zusammenarbeit verbessern, die die Grundprinzipien eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der EU sind, in dem die Grundrechte geachtet werden.
4.2.Fehlende Alternativen zur Ausweitung der Liste von EU-Straftaten
Auch wenn es möglicherweise einige Überschneidungen mit bestimmten in Artikel 83 Absatz 1 AEUV 137 aufgeführten Kriminalitätsbereichen gibt, konnten bislang auf EU-Ebene keine Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen für Hetze und Hasskriminalität erlassen werden.
Insbesondere die teilweise Überschneidung zwischen „Computerkriminalität“ und Hasskriminalität sowie Hetze würde es unabhängig von den verwendeten Mitteln nicht ermöglichen, strafrechtliche Mindestvorschriften zu erlassen, unter die alle Formen von Hetze fallen. Sie könnte die Annahme von Mindestvorschriften für über das Internet verbreitete Hetze ermöglichen, jedoch nicht für Hetze, die über andere Mittel begangen und verbreitet wird, beispielsweise durch das öffentliche Teilen oder die öffentliche Verbreitung von Schriften oder Bildmaterial bei öffentlichen Versammlungen (z. B. Sportveranstaltungen), Fernsehsendungen und politischen Reden. Dies würde bedeuten, dass es einen einheitlichen EU-weit harmonisierten strafrechtlichen Rahmen für Hetze geben würde, die über digitale Mittel begangen wird, gegenüber einem abweichenden und fragmentierten Ansatz in der EU in Bezug auf Hetze, die über andere Mittel erfolgt. Eine ähnliche, ungerechtfertigte Trennung würde zwischen der Kriminalisierung von Hetze und Hasskriminalität entstehen, da Hasskriminalität nicht unter die Rechtsgrundlage für „Computerkriminalität“ fallen würde. Eine solche stückweise Kriminalisierung kann diese eng miteinander verknüpften Phänomene nicht wirksam und umfassend bekämpfen.
Bestimmte Fälle von Hasskriminalität könnten unter bestimmten Umständen als unter „Terrorismus“ fallend angesehen werden und als terroristische Straftat eingestuft werden, insbesondere wenn eine terroristische Absicht nachgewiesen werden kann, wie beispielsweise die Absicht, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern 138 . Trotz solcher möglichen Überschneidungen gelten „Terrorismus“ und die Definition terroristischer Straftaten nicht für alle Fälle von Hasskriminalität und können daher nicht dazu herangezogen werden, Hetze und Hasskriminalität umfassend unter Strafe zu stellen.
Vor diesem Hintergrund scheint es, dass nur die Festlegung von Hetze und Hasskriminalität als neuem eigenständigem Kriminalitätsbereich einen wirksamen und umfassenden strafrechtlichen Ansatz in Bezug auf diese Phänomene auf EU-Ebene ermöglichen kann.
Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass diese Initiative der Kommission mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, das der Erfüllung der Kriterien des Artikels 83 Absatz 1 AEUV innezuwohnen scheint. Darüber hinaus steht die Initiative in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel. Insbesondere verursacht sie an sich keinen finanziellen oder administrativen Aufwand für die EU, die nationalen Regierungen, die regionalen oder lokalen Behörden, die Wirtschaftsbeteiligten oder die Bürger.
5.Schlussfolgerung
Die Dringlichkeit der Bekämpfung von Hetze und Hasskriminalität in der gesamten EU erfordert gemeinsame Anstrengungen und ein gemeinsames Engagement.
Mit der vorliegenden Mitteilung ersucht die Kommission den Rat, mit Zustimmung des Europäischen Parlaments, diese Initiative voranzubringen und über die Ausweitung der Liste der EU-Straftaten auf Hetze und Hasskriminalität zu entscheiden. Zu diesem Zweck wird der Mitteilung eine Initiative der Kommission zum Erlass eines Ratsbeschlusses gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV beigefügt.
Nach dem Erlass eines Ratsbeschlusses wird die Kommission befugt sein, Rechtsvorschriften zur Kriminalisierung von Hetze und Hasskriminalität auf EU-Ebene vorzuschlagen. Unter besonderer Berücksichtigung der nationalen Rechtsrahmen und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament wird die Kommission eine entschlossene Antwort auf die Herausforderungen vorschlagen, die heute und in Zukunft durch Hetze und Hasskriminalität in der gesamten EU bestehen.
QUELLE:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52021DC0777
vom: "AUFRUF "Grundrechte und Rechtstaatlichkeit"
Status
Angekündigt
Beginn
23. April 2025
Frist
18. September 2025
Budget
18.000.000 €
ID
CERV-2025-CHAR-LITI
Originalfassung [Info-Blog vom Freitag, d. 21.März 2025]
_Gnossi-E-Satie_