Wenn sich Parteien mit sich selbst beschäftigen wollen, haben sie viele Möglichkeiten - vor allem im Wahlkampf. Eine besonders vielversprechende ist freilich der Online-Chat. Genauere Zahlen mögen unbekannt sein, ob und wie viele Chat-Teilnehmer im Wahlkampf NICHT Partei-Angestellte oder eigene Wahlkämpfer sind ist nicht bekannt. Fakt ist, dass Online-Chats in Wahlkämpfen in erster Linie eine Schlacht der Parteisekretariate sind.
Wer allerdings nur Parteien und Politiker als Akteure sieht, hat weit gefehlt. Denn entscheidend ist die Auswahl der Fragen, die von den Journalisten im Chat zur Beantwortung zugelassen werden. Und hier ist die jeweilige Blattrichtung und die persönliche politische Einstellung der Redakteure als potenzielles Auswahlkriterium nicht völlig von der Hand zu weisen.
Als Beispiel habe ich mir den Standard-Chat mit Manfred Juraczka angesehen. Ein perfektes Exempel, wie so ein Chat abläuft. Viele Fragen wurden nicht gestellt (was aufgrund des begrenzten Zeitraums auch nicht anders möglich ist). Wie die Auswahl erfolgt, war allerdings nicht nachvollziehbar.
Die Fragen wurden als Kommentare im Chat gepostet. Einziges Problem: Viele Fragen wurden erst gar nicht freigeschaltet - waren also für die anderen User gar nicht erst zu sehen. Und andere Fragesteller kamen oft an die Reihe. Bestes Beispiel war User greenling, dem sogar selbst auffiel, dass er zu oft an die Reihe kam. Rosa Winkler-Hermaden vom Standard entschuldigte sich dafür, "alles nur ein Versehen". Doch Greenling war nicht auf den Kopf gefallen. Er stellte die selben Fragen plötzlich wordident mit einem anderen Account, "Theatre of Tragedy" (s. Screenshot).
Ob diese "Panne" für Nervenflattern in der Grünen Parteizentrale sorgte, ist nicht verbürgt. Ebenso wenig kann der Standard-Redaktion politische Absicht bei der Auswahl der Fragen nachgewiesen werden - so seltsam diese Auswahl auch erscheinen mag.
Wollen Medien aber ihre Glaubwürdigkeit behalten, würden sie gut daran tun, Fragen generell freizuschalten und die Auswahl transparent zu machen. Sonst ist schnell böse Absicht unterstellt.
Parteien freilich kann man in diesem Fall schwer Ratschläge erteilen. Denn wer sollte seine Poster öffentlich machen - wenn er sicher weiß, dass die Poster der anderen Parteien im Verborgenen bleiben?
Und so bleiben auch im Wien-Wahlkampf Chats ein Wettbewerb zwischen Parteien und Journalisten - in denen der Erkenntnisgewinn für die Wähler gegen Null tendiert.