Du spielst mit Mitte 20 noch UNO etc? Offenbar bist du zurückgeblieben

Ich habe die Titelaussage vor kurzem in ähnlicher Form gehört (allerdings nicht gegen mich gerichtet). Selbst wenn jemand etwas Derartiges zu mir sagt, ist mir das so sch*** egal. Ich habe kein Problem damit, dass ich noch immer eine Leidenschaft besitze, die im Kindergarten begann. Letztere werde ich meinen Kindern und Enkeln eines Tages weitergeben (aber das Hobby dadurch nicht verlieren). Jedenfalls ist es doch bitteschön meine Sache, ob ich jetzt Mikado, Uno oder Scrabble spiele. Wenn ein anderer damit ein Problem hat, ist das sein Bier und nicht meines. Viele lassen sich durch entsprechende Gedanken aus der Fassung bringen, aber mir ist das so blunzn, was andere von mir denken.

Kurzes Beispiel: Verlaufen eine topmoderne Sesselbahn und ein Kurzbügler parallel und sind beide so um die 3 km lang, so werde ich nie den Sessellift benutzen. Auch wenn der Schlepplift nur für mich fährt und 10000 andere die Sitzheizung etc. "genießen", ist mir das egal. Ich entspanne mich bei meiner Liftfahrt im Stil der 60er bzw. 70er und lasse mich nicht von anderen ablenken. Wenn die Beine nicht mehr wollen, setze ich mich kurz hin (nicht in den Sessellift, sondern auf eine Bank oder zum Essen in eine Hütte). Sobald es wieder geht, kehre ich zum Schlepplift zurück. Während die Warteschlange an der Sesselbahn wächst und wächst, lache ich mir - im Schlepplift fahrend - ins Fäustchen.

Daran sieht man sehr deutlich, dass man sich anderen keinesfalls anpassen muss. Auch nicht puncto Brettspiele. Beim Bundesheer habe ich meinen Gameboy reaktiviert und ggf. Pokemon gespielt. Unlängst sprach ich mit Bekannten über die Anfänge von Pokemon. Also wie das auf uns wirkte usw. Ja, und? Wenn dann einer denkt "Wir sind schon so "alt" und reden an einem Freitagabend über Pokemon", so kann ich darüber nur lachen. Ist doch schön, wenn man noch die Geschichte von Ash und Pikatchu kennt. Bzw. sind das gemeinsame Erinnerungen, weil wir früher alle irgendwie vor dem Fernseher mitgefiebert haben, als Ash z.B. einen neuen Arenaleiter herausforderte. Ist halt schon interessant, wenn der 10-jährige Bub loszieht und sich der Herausforderung "Pokemonmeister" stellt.

Nun aber zum eigentlichen "Problem". Als Rapid gegen Ajax spielte (das Auswärtsspiel - was letztendlich auch zum Erfolg führte), habe ich spontan beim Manuel angeklingelt. Da wir beide Rapidfans sind, wäre es doch nett gewesen, das Spiel gemeinsam anzuschauen. Kam zufällig gerade in der Nähe vorbei - Spiel lief schon für fünf Minuten oder so. Er machte nicht auf. Vielleicht ist er ja gar in Amsterdam. Jedenfalls schrieb ich ihm dann auf FB und es kam nur zurück "du worst des... i hab mi ned grührt weili niemandn erwartet hab u ned irgnd am g***** untn antwortn wollt... aba i bin um a paar jahre älta worn bei dem spü gg". So musste ich mir das Match alleine ansehen, was natürlich irgendwie deprimierend war. Miteinander seine Mannschaft zu bejubeln ist doch einfach viel schöner... Allerdings gebe ich zu, dass ich unangekündigte Besuche genauso wenig mag. Aber in dem Fall ging es nicht anders. Am Handy hat er auch nicht abgehoben (habe ihn trotz neuer Nummer einfach angerufen). Jedenfalls fragte ich ihn via FB, ob er am Freitag daheim sei. Er habe nichts vor. Ok, ich werde am Abend vorbeischauen. Damit wusste er, dass ich anläuten werde. Ratet einmal, was dann war.

Keiner meldete sich. Weder bei der Glocke noch am Handy. Super! Von meinem besten Hawara habe ich mir das Kartenspiel Skip-Bo (ist mit UNO verwandt) ausgeborgt, um es Manuel zu zeigen. Plötzlich kam ein älterer Mann zur Tür. Wenige Sekunden später erschien ein anderer Herr mit Einkaufstasche, gesenktem Blick und sehr blasser Hautfarbe. Das war Manuel. Er wäre an mir einfach vorbeigegangen, wenn ich mich ihm nicht frontal in den Weg gestellt hätte. Seine erste Reaktion war nur "Wos mochstn du do?" - dazu halb geschlossene Augen und ein entsprechender Unterton. Ich hatte sofort den Verdacht, dass er betrunken sei. Das Leiberl hing wie ein ausgeleierter Fetzen auf seinem Oberkörper. Ich war irgendwie erschrocken, ging aber dennoch in seine Wohnung mit. Immerhin war ich seit Silvester nicht mehr dort. Dem anderen Mann sagte ich im Vorbeigehen, dass ich gerade beim Manuel angeklingelt hatte und er halt nicht da war. Ersterer nickte nur grinsend.

Manuel hat anschließend gesagt, dass ich ja nicht angerufen habe, wann ich genau herkommen werde. Das verneinte ich, da er ja wie auch sonst schon so oft nicht abgehoben hat. Beim Einkaufen habe ich das Handy halt auf lautlos. Tja, dann kann ich dir aber auch nicht helfen... Jedenfalls war es für mich ungewohnt, nach sieben Monaten wieder einmal bei ihm zu sein. Irgendwie fast schon "unangenehm". Schließlich zeigte ich ihm Skip-Bo. Er wollte das unbedingt am Balkon spielen, wo es inzwischen kaum mehr Licht gab. Somit war es auf Dauer etwas anstrengend, die Ziffern auf den Karten zu erkennen. Aber ich hatte keine Lust auf eine Diskussion und brachte das einfach hinter mich.

Er trank sein Bier und handelte meist nicht gemäß Spielregeln. Man muss am Ende jedes Zuges eine Handkarte abwerfen - ob man will oder nicht. Erst danach abheben - also die Hand wieder auf fünf Karten auffüllen. Manuel praktizierte das oft umgekehrt und meinte "is doch eh des söbe". Er fing z.B. einmal zwei Ablegestapel mit jeweils einem 10er an. Dabei half ich ihm sogar, indem ich sagte "den an 10er konnst oba afoch auf den ondan drauflegen". Jedenfalls konnte ich das Spiel recht schnell zu meinen Gunsten beenden, worüber ich nicht traurig war. Mit ihm machte das einfach keinen Spaß und ich fragte auch gar nicht nach einer weiteren Runde. Sagte nur dazu, dass ich mir Skip-Bo vom Flo ausgeborgt habe. Manuel erwiderte "is der Flo iwie zruckbliem oda so? Sowos spüt ma doch im Kindagortn". Ich entgegnete darauf nichts mehr und bekam allmählich etwas Kopfweh (weil mich seine Art innerlich aufregte und dann auch noch die Hitze dazu). Wir redeten noch ein bisschen, ehe ich meinen Aufbruch verkündete. "I hob ziemlich Schädelweh und werd mi jez schleichn. Es geht afoch nimma, tuat ma Lad" - so in etwa habe ich das formuliert. Er hat überraschenderweise gar nicht gekontert bzw. herumgejammert, sondern nahm das recht gelassen zur Kenntnis. Keine zehn Minuten später war ich dann auch schon am Heimweg.

Bei meinem kurzen Besuch überlegten wir zwar, was wir in Zukunft machen könnten bzw. was wieder einmal cool wäre. Aber ich legte mich nicht fest, da ich für mich selbst entscheiden musste, was ich aus diesen zwei Stunden beim Manuel mitnehme. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass er mir an dem Tag nicht gut getan hat. Es war nicht einmal 22 Uhr und das an einem Freitag. Was ist bitte los? Wie habe ich den Manuel dazu gebracht, mich so früh "gehen zu lassen"? Konnte es irgendwie nicht glauben, da er ja zu Silvester noch ein Theater abzog, als ich um 04:00 Uhr gehen wollte. Habe Flo geschrieben, ob er noch auf ist. Nach wenigen Minuten hat er mich zurückgerufen und ich brachte ihm bereits am gleichen Abend Skip-Bo wieder retour.

Ich erzählte ihm dann natürlich kurz von der Situation beim Manuel. Er verstand es auch nicht und zeigte mir am nächsten Tag eine Seite, wo man Skip-Bo online gegen neuronale Netzwerke spielen kann. Wenn mehrere Universitäten zu dem Spiel Forschungsarbeiten gemacht haben (oder möglicherweise noch immer forschen), wird das wohl kaum Kindergartenniveau sein. Mir war die diesbezügliche Aussage von Manuel grundsätzlich egal. Wem es nicht passt, dass ich Skip-Bo spiele, der hat Pech gehabt. Fand es aber dennoch interessant, dass Flo sofort recherchierte.

Immerhin habe ich mit letzterem schon einige Stunden in einem Kaffeehaus verbracht, wo wir nur Skip-Bo gespielt haben. Meine Kinderfrau und ihr Mann haben es sich mit Anfang 70 auch zugelegt. Generell bietet das Spiel für Mathematiker sehr viel "Stoff". Wie lege ich am besten die Abwurfstapel an? Der Gegner muss eine 5 spielen - wenn ich jetzt meinen 2er hinlege, ist es einigermaßen wahrscheinlich, dass ich ihm damit helfe (er könnte ja eine 3 und eine 4 auf der Hand haben). Lauter derartige Überlegungen kreisen mathematisch denkenden Leuten beim Skip-Bo-Spielen im Kopf herum. Demnach würde ich es als spielerische Methode für die Erlernung der grundlegenden Wahrscheinlichkeitsrechnung bezeichnen. So Dinge wie "Günstige/Mögliche", "Und" und "Oder" kann man mit den Karten wunderbar veranschaulichen.

Zum Abschluss dieses Beitrags möchte ich nochmals auf den ersten Absatz eingehen. Oft hatte ich das Gefühl, dass sich meine Eltern wegen meiner dort erwähnten Leidenschaft genieren. Das ist aber inzwischen nicht mehr der Fall, da sie sich damit abgefunden haben. Selbst wenn dem nicht so wäre, würde mich das nicht kümmern. Ich stehe zu dieser Leidenschaft genauso wie zu meinem Lifthobby. Wer mich deshalb für verrückt, zurückgeblieben, krank oder einfach nur abnormal hält, hat einfach keine Ahnung. Je oberflächlicher jemand ist, umso weniger wird er/sie das Ganze begreifen können. Im Grunde steckt da extrem viel Psychologie dahinter, die auch ich erst einmal verstehen musste. Unterbewusst war mir letztere schon immer klar. Nun "weiß" ich genau, wie es überhaupt zu der Sache kam und was mit mir damals passierte. Ein wenig Schicksal spielt auch mit. Ich wollte ja diese Leidenschaft auch bei Bewerbungen im Punkt Hobbys etc. angeben. Doch was hat meine Mutter gesagt? Kannst ja nicht machen, wie schaut das denn aus... Aha, ich soll also nicht ich selbst sein? Wenn mich der (potentielle) Chef darauf anredet, erkläre ich ihm das gerne. Kann er das nachvollziehen, ist es gut. Wenn nicht, ist es mir aber auch egal. Der Punkt ist der, dass ich meinen Chef damit nicht künstlich beeindrucken will. Diese Leidenschaft bestimmt ganz einfach mein Leben (mit) und gehört deshalb zu meinem Lebenslauf dazu.

Wir brauchen uns also für gar nichts genieren. Wenn Person X gefällt, dass du so bist wie du bist, ist das gut. Kann Person Y aber gar nichts mit deinen Ansichten, Werten, Bedürfnissen, Einstellungen etc. anfangen, ist das ihr Problem und nicht deines! Hat ein 50-jähriger als Hobby das Kartenspiel UNO, so müssen wir das akzeptieren. Er wird schon wissen, warum ihn das begeistert.

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Hansjuergen Gaugl

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