Grexi

Heute war der letzte Betriebstag. Ich ließ alle Gäste frei fahren. Der Lift gab noch ein letztes Mal alles. Die Stützen knarrten bei jedem Gehänge. Einmal riss ein Schleppseil ab, es war dem am Teller hängenden Gehsteigpanzer einfach nicht mehr gewachsen. Gott sei Dank passierte das im Flachstück. Anderenfalls hätte ich womöglich noch so kurz vor dem eigentlich bitteren Ende die Rettung gebraucht...

Ich möchte nun mit euch nochmals diesen Tag Revue passieren lassen. Ab morgen ist der Lift ein LSAP. Der Impfstoff gegen LSAP kam leider noch nicht an. Somit muss ich mich schweren Herzens dem LSAP-Virus geschlagen geben...

Um 08:58 erschien ein gut gebauter Pensionist mit Kinderski beim Lift. Er war bei der Polizei. Keiner seiner Kollegen hatte momentan Zeit, weshalb er sich für diesen so wichtigen Einsatz nochmals aus dem Ruhestand aufgerafft hatte. Sein Dienstfahrzeug - ein Aixam - gab vorhin dein Geist auf. Der eigentliche Tatort sei glücklicherweise nicht weit von der Lift-Bergstation entfernt.

In der nächsten Sekunde öffnete ich für ihn meine Lift-Pforten, obwohl der Lift erst eine Minute später offiziell in Betrieb gegangen wäre. Diese 60 Sekunden können ja am Ende entscheidend sein. Daher startete ich den Lift vorzeitig und drehte ihn sogleich auf Vollgas. Der ominöse Polizist flog zwar nach der ersten Stütze hin, aber er ließ sich vom Teller am Boden liegend mitschleifen. Zeitlich konnte er es sich nicht leisten, nochmals zur Talstation zurückzufahren. Als ich sah, dass er am Ausstieg zu liegen kam, stellte ich den Lift wieder auf Normalgeschwindigkeit um.

Einen Liftwart an der Bergstation brauchte es nicht. Ich sehe vom Tal die ganze Trasse. Mit meinem Feldstecher kann ich so den scharfen Frühjahrs-Skigirls die ganze Zeit am A**** starren. Selbstverständlich läuft der Lift in solchen Phasen auf Langsam 2. Wenn es ganz extrem wird, stelle ich ihn auch einmal für ein paar Minuten komplett ab.

Später tauchte eine unverkennbare Lehrerin auf. Mit Müh und Not hievte sie die Kinder der Reihe nach zum Einstieg. Schließlich wollte sie ein Schüler-Gruppen-Ticket lösen. Ich sagte ihr, dass der Lift ab morgen Geschichte sei und ich deshalb am letzten Tag alle gratis fahren lasse. Völlig schockiert und gleichzeitig erleichtert winkte sie ihre Schützlinge her und ich reichte einem nach dem anderen den Teller. Mit der Zeit wusste ich auch schon all ihre Namen. Sie hießen liby, Leo, Aurelie, Helmuth, Anna Vienna, Silvia, Steven, Gerhard, Globy, Sandra, Steffi, Hajü, Daniela und irmi.

Irgendwann sagte ich zur Lehrerin "Na, heit amoi net Pythagoras, sondan zur Abwechslung Skifohrn".

Es gab heute besonders allgemein viele Gäste. Offenbar wurde man in den Medien doch ausreichend über den Lift und seine aktuelle Situation informiert. Die meisten machten nach 10 Fahrten eine Pause. Aber diese Schülergruppe aus dem vorigen Absatz fuhr bis zum Schluss durch. Es war echt schön, denen auf die Ski zu schauen. Wir haben ja eh ein kleines Problem mit richtig guten Nachwuchsskifahrern. Vielleicht holt ja einer von ihnen in ein paar Jahren diverse Kristallkugeln im Ski-Weltcup...

Nun war es 16:00 Uhr. Ich hängte die Kette über den Einstieg und deckte die Kartenlesegeräte bzw. die Schaltsäule ab. Die letzten Skifahrer zogen noch ihre Schwünge. Von der netten Lehrerin und ihren braven Schülern verabschiedete ich mich sogar persönlich.

Schließlich wurde es komplett still. Alle waren weg - nur mehr ich und der Lift. Mir war klar, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte. Voller Trauer beschloss ich, direkt im Anschluss die Gehänge vom Seil zu nehmen.

Als ich damit fertig war, sah ich plötzlich einen Skifahrer. Er zog mit Vollgas die Piste herunter - sein Helm blinkte blau. Nanu, gibt es etwa eine Liftpolizei? Ich habe doch eh alles nach Vorschrift gemacht. Der Betriebsleiter ließ sich wegen mir in den letzten 20 Jahren nicht ein graues Haar wachsen...

Im nächsten Moment stand der omninöse "Raser" auch schon vor mir. Ich erkannte ihn wieder, da war der Polizist von heute morgen. "Das muss ja ein großer Einsatz gewesen sein..." sagte ich zu ihm. Er antwortete: "Ja, wir brauchten sogar die Cobra." Darauf reagierte ich mit folgenden Worten: "Na servas, hoffentlich konnte der Fall ordnungsgemäß beendet werden." Er schaute ich mit traurigem Blick an. Ich wollte nicht nachfragen und noch mehr Öl ins Feuer gießen. Die Situation war schon unangenehm genug. Allmählich wurde mir unwohl, denn er starrte mich noch immer schweigend an. Auf einmal schrie er "April, April!"

Letztendlich unterhielten wir uns noch ein wenig. Dabei erfuhr ich auch, was der wirkliche "Einsatz" war. Eigentlich wollte er sich nur mit ein paar Freunden aus der Polizeischule im Gasthaus hinter dem Berggipfel treffen. Wir wissen ja, dass ihm sein "Dienstfahrzeug" blöderweise einging. Gott sei Dank hatte er 2 Brettel im Auto, wodurch er meinen Lift spontan nutzen konnte.

Er hätte fast vergessen, dass es dunkel wurde. Deshalb fuhr er wie der rasende Roland den Hang hinunter. Sein Orientierungssinn sei ja nicht gerade der beste. Anderenfalls hätte er sich demnach im Gelände verirrt. Stellt euch das vor, wie dann in der Nacht die Stützen vom Lift knarren würden und unser Polizist komplett alleine im benachbarten Wald übernachten müsste.

Immerhin gab es nicht unweit vom Lift eine Bushaltestelle, wo heute glücklicherweise auch noch ein Bus vorbeikommen und halten sollte. Der Polizist nahm diesen Umweg natürlich in Kauf. Seine Familie würde nach diesem "schweren Einsatz" bestimmt auf ihn warten. Ich wünschte ihm noch viel Erfolg mit dem Aixam, der ja nach wie vor mit einer Panne am Fahrbahnrand stand. Darauf sagte der Cop "Schau ma moi, vielleicht wird er bis zum nächstn Einsotz wieda fit."