Das Thema "Chemnitz" ist wohl schon gründlich abgelutscht, aber dennoch möchte ich auch meinen Senf dazu geben. Zuerst kurz die Faktenlage - nicht über den Mord; da sollte der Hintergrund klar sein. Sondern hinsichtlich der angeblichen "Hetzjagd" auf Ausländer, die stattgefunden haben soll.
Es gab nämlich keine. Wie Publico direkt bei der Staatsanwaltschaft erfragte, hat es in Chemnitz "Nach allem uns vorliegenden Material [...] keine Hetzjagd gegeben".
Alles, was es gab, war ein einziger dokumentierter Übergriff sowie einige Hitler-Grüße. Schlimm genug, aber grundsätzlich wäre das Polizeiarbeit, bei der man "dem Rechtsstaat schonmal vertrauen könnte".
Dann kam aber die deutsche Bundesregierung, die ohne jegliche Belege diese kämpferische Formulierung übernahm; die Medien sprangen dankbar auf, und die Sache explodierte regelrecht.
Schlimm genug, dass hier offensichtlich eine Regierung mit Fake News arbeitet, und noch dazu der AfD vorwirft, dieses traurige Ereignis zu "instrumentalisieren und auszuschlachten" - das sind Ironiewerte jenseits jeder Skala.
Nein, was mich schockiert hat - und zwar so richtig - ist der Demonstrationsaufruf der Staatsspitze für Demos "Gegen Rechts".
Demokratieverständnis direkt aus Ankara
Woher kennen wir denn üblicherweise noch Regierungen, die ihre Anhänger zu Gegendemos aufrufen? Venezuela? Iran? Türkei? Lupenreine Demokratien also!
Dazu ist zu sagen, dass das Demonstrationsrecht ein Freiheitsrecht ist - also ein Recht der Bürger gegen den Staat, um ihre Anliegen vorzutragen. Dieses Recht ist fundamental, weshalb zB Demos auch vor Gegendemonstrationen zu schützen sind und großer Freiraum besteht, was wo erlaubt ist.
Was ist aber, wenn der Staat selber zu einer Demonstration aufruft? Ist es dann noch ein "Freiheitsrecht" - oder eher Mittel staatlicher Gewalt? Man möge bitte beachten: Wenn das Verhalten der "rechten" Demonstranten in Chemnitz irgendwie illegal wäre, wäre die Demo ja aufzulösen. Das ist ja nicht der Fall, das wird ja nicht einmal behauptet! Es wird nur die Meinung der Demonstranten als unerwünscht bezeichnet, als außerhalb des demokratischen Konsens stehend. Welche Meinung das denn sein soll, die da außerhalb steht, bleibt ungesagt; Zweifel verhallen im dumpfen "gegen RÄCHTS!"-Gebrüll. Ist es die Forderung, abzuschiebende Flüchtlinge auch tatsächlich abzuschieben, die hier Merkel und Co so schlecht bekommt?
Und gegen diesen grundsätzlich legalen Protest (der in einer Demokratie ja erlaubt sein muss) ruft die Regierung zu einem "Gegenprotest" auf, noch dazu unter dem Motto #wirsindmehr - was zumindst für mich ein bisschen nach Drohung klingt. Eine Drohung, die manche "Linke" durchaus auch "motiviert" zu haben scheint:
Screenshot Twitter
Der Eindruck? Verheerend!
Was bezweckt diese Regierung damit? Einen "Dialog" kann es ja nicht sein, wenn die Demonstrationen "Rechts" genannt werden und das Konzert ja klar "gegen Rechts" ist. Die Bürger von Chemnitz müssen sich allein gelassen fühlen.
Werden sich so die Demonstrationen, der Unmut, der Zorn besänftigen lassen, wenn man pauschal alle "für Rechts" erklärt, und dann den "Rechten" vorführt, dass man "ja mehr ist als ihr"?
Auch die Rolle der Medien ist verheerend. Einseitige Berichterstattung ist das eine, aber dass zB orf.at es unterlassen hat, klare Zahlen von Demonstranten zu nennen (um ja nicht erwähnen zu müssen, dass die "Rechten" spontan mehr Leute aufstellen konnten als die "Linken"); dass bewusst mit falschen Bildern, falschen Worten, falschen Behauptungen operiert wurde ("Hetzjagd", "Pogromstimmung",...) - all das soll irgendwie den Vorwurf der "Lügenpresse" in den Augen der Bewohner von Chemnitz entkräften?
Man möge sich nichts vormachen: Hier werden besorgte Bürger in Chemnitz zu Nazis gemacht, und de facto aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Ihre berechtigten Sorgen (ich verweise auf den von Aron Sperber geposteten Überblick) bleiben ungehört, ja, werden als "unerwünscht" dargestellt.
Demokratie, quo vadis?
Ich habe letzten Samstag noch ein amüsantes Gespräch mit einem guten Freund, der halt leider etwas links angehaucht ist, geführt; er meinte, dieses ganze Gerede vom "Zusammenbruch" sei doch lächerlich, und mit einem Grinsen meinte er, er könne es kaum erwarten, wann es soweit ist - er werde das zu Lebzeiten nicht mehr erleben, dass die "Rechten" Recht haben. Wenige Stunden später dann - Chemnitz. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gefragt, ob er sich freut, dass er den Anfang seines Wunsches in Erfüllung gehen sieht.
Ich habe bereits Anfang 2016 (!) vor derartigen Entwicklungen geschrieben und gewarnt (man möge die grottige Formatierung des damaligen Textes entschuldigen); ich habe insbesondere gesagt, was meiner Meinung nach die Grundvoraussetzungen eines funktionierenden Staates sind.
Inwieweit das derzeitige Handeln sämtlicher Akteure - der deutschen Regierung, der einseitig berichtenden Medien, diverser Künstler (die den rechten Ossis zeigen wollen, wie "Zivilisation" funktioniert) hilft, die Demokratie, das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Institutionen zu festigen? Wohl eher nicht.
Demokratie besteht aus Dialog, aus Anhören auch anderer Meinungen; aus Maß halten, aus Kompromiss und aus dem grundsätzlichen Anerkenntnis, dass der "Andere" auch Bürger ist - also dazugehört. Genau das wird den Leuten von Chemnitz nicht gezeigt - Ihnen wird klar gesagt, dass sie eben NICHT dazugehören - und dass die "Guten" vor allem "mehr" sind - auch wenn man sie aus allen Ecken Deutschlands ankarren muss.
Mit "gelebter Demokratie" hat das wenig zu tun.