Der Papst und die Abtreibung - und plötzlich ist alles gut

Als Atheist blogge ich nur selten über Religion; ich meide das Thema wie eine ansteckende Krankheit und wie der Teufel das Weihwasser.

Dennoch, als katholisch erzogener Österreicher kann ich mich "Kirchennews" nicht gänzlich entziehen, und so stolperte ich heute über folgende welterschütternde Schlagzeile:

Papst erlaubt Vergebung der Abtreibung (1)

Na Bumm! dachte ich mir. Vergebung der Abtreibung. Nach kirchlicher Definition ist diese ja schlimmer als Mord, und wird gleich mit Exkommunikation sanktioniert - und zwar für ALLE Beteiligten. Immerhin handelt es sich dabei (nach kirchlicher Ansicht) um die Tötung eines vollwertigen menschlichen Lebens, das noch gar nicht getauft wurde - und damit fährt die arme Seele des Babys natürlich schnurstracks in die Hölle. Ach nein, sorry - ich meinte natürlich den Limbus, den VORHOF der Hölle. Denn solchen unschuldigen kleinen Dingern wollte man nicht gleich die ganze Hölle zumuten, dachten sich die Theologen im Mittelalter, und so kommen die Kleinen in den bloßen Vorhof. Wo sie gemeinsam mit den Verstorbenen aus dem Alten Bunde (also Moses, Noah, wohl auch die griechischen Philosophen) schmoren, die das Pech hatten, vor Christi Geburt und ungetauft gestorben zu sein.

Also, das stimmt jetzt auch wieder nicht. Schmorten. Denn 2007 wurde der Kinderlimbus (limbus puerorum) von der Kirche offiziell aufgegeben, nachdem eine Expertenkommission zwei Jahre über das Thema beriet, und die armen Kinderseelen kommen seitdem gleich direkt in das Paradies (was mit den alten Knackern vom Alten Bund - also Noah und seinen Bros - ist, das weiß ich nicht so genau - vermutlich sitzen die noch immer im Limbo bei kleiner bis mittlerer Flamme fest). Wem das ein bisschen zu schräg vorkommt - das Leben (oder besser - Religion) ist stranger than fiction (2). Und ja, nach kirchlicher Lehre sitzen Mose und Noah (die herzigen Kerle, die man noch aus dem Religionsunterricht kennt - meine Zeichnung vom Teilen des Roten Meeres halte ich heute noch für ein Meisterwerk) im Vorhof der Hölle fest. Sorry, @anti3anti . Päpstliche Unfehlbarkeit und so.

...zurück zum Thema...?

Ah ja. Die Kirche. Abtreibung. Der Papst! Der hat beschlossen, dass ab HEUTE (oder gestern. Ab jetzt halt!) ein jeder Priester das Recht hat, einer Frau eine Abtreibung zu vergeben - sofern diese die Tat ernstlich bereut - und somit die automatische Exkommunikation quasi mit einem Wort rückgängig zu machen. Für die reuige Sünderin bedeutet das nunmehr eine große bürokratische Erleichterung, da derartigen Gesuchen früher ein Bischof stattgeben musste. Quasi Verwaltungserleichterung bei der Kirche. Ich stelle mir dann halt das Wiedersehen im Himmel ein bisschen seltsam vor.

Nun möchte ich die Tragweite dieser Entscheidung nicht kleinreden (ähnlich grundlegend war nur die Aussage des Papstes, auch Homosexuelle können vollwertige Mitglieder der Kirche sein (solange es ihnen aufrichtig leidtut - (3) ), aber sie wirft für mich dann doch einige grundlegende Fragen auf:

Welche Rolle hat verbleibt dann Gott? Wenn der Papst nach Gutdünken entscheidet, dass jetzt ein Priester Vergebung spenden kann - was bleibt noch für Gott übrig? Beglaubigt der dann einfach nur noch die Segnungen der Priester? Ist sein Schweigen automatisch Zustimmung? Ist vielleicht dann die Organisation der Kirche nicht (schauder!) gottgegeben und doch... veränderlich? Oh Fels Kirche!

Und vor allem - wenn der Papst mit einem Satz die Kräfte von Priestern vermehren kann - was wären noch potentielle Anwendungsgebiete? Ich meine, göttliche Vergebung und Rettung der Seele vor dem ewigen Feuer (dem echten, jetzt, nicht dieser Weichei-Limbo-Luschi-Windel-Variante) ist ja so ziemlich das Stärkste, was die Kirche zu bieten hat - Vergebung ist sonst ja Gott vorbehalten! Wäre doch toll, wenn Franziskus ein paar andere Tricks freigeben würde. Nichts so mächtiges wie göttliche Vergebung und Errettung der unsterblichen Seele. Nein, was kleineres, was auch sein Sohn zuwege gebracht hat. Also, sowas wie die "Nahrung vermehren" Power von Jesus - brauchbar für Afrika! Oder der "Kranke Heilen" Kraft. Im Notfall würd ich mich auch mit einer Freigabe des "Wasser zu Wein"-Tricks zufrieden geben - mein Vorrat ist wiedermal erbärmlich zusammengeschrumpft (so bin ich gezwungen, diesen Beitrag - entgegen der Empfehlungen meiner Ärzte! - gänzlich nüchtern zu schreiben).

Wenn dieses Gedankenspiel lächerlich erscheint, verweise ich nochmals auf die Limbodiskussion. Offensichtlich findet die Kirche nichts dabei, Jahrhunderte der Lehre umzustoßen und den Eingang ins ewige Leben und das Paradies zu erleichtern; die unschuldige Frage, warum ein Kind in Afrika aber weiter hungern muss (oder aus meiner Leitung nur Wasser kommt), wenn Gott doch bei dem ewigen Leben auf seine Jünger hört, wird mit heiliger Empörung bestraft.

Und jetzt mal Ernst!

Diese Entscheidung bedeutet genau eines - nichts. Anstatt Frauen, die eine - ohnehin schwierige - Entscheidung treffen müssen, Schuldgefühle zu nehmen, werden diese weiterhin verstärkt. Wieviele Schuldgefühle, wieviele Gewissensbisse löste (und löst!) die drohende Exkommunikation bei strenggläubigen Frauen aus, die nicht die Kraft haben, zB ein behindertes Kind großzuziehen? Die aufgrund einer Vergewaltigung ihr Kind nicht austragen wollen? Die aufgrund fortschreitendem Alters kein Kind mehr bekommen wollen? Die in sonst einer Lage sind, die die Erziehung eines Kindes verunmöglicht?

Wieviel Leid brachte die kirchliche Haltung in dieser - und zahlreichen anderen! - Fragen über die Welt in den letzten Jahrhunderten? Wieviele Frauen waren in unglücklichen Ehen, bei gewalttätigen Männern, gefangen, weil die Heiligkeit der Ehe betont wurde? Wieviele Menschen schämten sich ob ihrer Homosexualität? Wieviele Frauen waren - und sind! - gezwungen, Kind um Kind zu gebären, weil Verhütungsmittel "sündig" sind?

Anstatt dieser "großzügigen" Entscheidung des Papstes mit aller Häme, mit aller gebotenen Kritik und mit all dem gebotenen Sarkasmus zu begegnen, wird sie als Fortschritt bejubelt? Anstatt klar zu sagen, dass diese Entscheidung ein EINGESTÄNDNIS der Willkürlichkeit in der Kirche - ja, des Begriffs "Sünde" als solches! - ist, des menschlichen Ursprungs dieses und aller religiösen Gebilde wird es angesehen als was? Als Wunder? Göttliche Eingebung? Fortschritt?

Wäre uns allen nicht mehr geholfen, wenn Franziskus stattdessen seinen Stab über einem trockenen Stein in der Wüste zerschlagen hätte, und damit eine Quelle erschaffen hätte wie einst Mose (der, nochmals, nach kirchlicher Auffassung im Limbus schmort), oder die Kornspeicher Afrikas auf wundersame Weise vermehrt hätte? Das kann er nicht? Aber über unsterbliche Seelen verfügen, das steht in seiner Macht?

Ich würde Lachen, Lachen, Lachen. Wenn die Spur dieses Irrsinns nicht so verheerend wäre, so tränen- und blutgetränkt - und ich mich nicht so furchtbar alleine fühlen würde, als einer von wenigen bei klarem Verstand.

Casa Rosada https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Franciscus_in_2015.jpg

(1) http://religion.orf.at/stories/2810239/

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Limbus_(Theologie)

(3) http://diepresse.com/home/panorama/religion/5095292/Papst-geht-auf-Homosexuelle-zu-haelt-sie-aber-fur-Sunder

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