Kurse, so heißt es, werden die Integration der Flüchtlinge/Migranten fördern.

Warum diese Kurse überhaupt notwendig sind, wenn von den "traumatisierten Kriegsflüchtlingen" ja doch keine Gefahr ausgeht, wie zuletzt in einem Topblog mutig behauptet wurde, bleibt dahingestellt; ebenso, was denn passieren wird, wenn diese Kurse nicht durchgeführt werden.

Und stets wird behauptet, diese Kurse seien sicher erfolgreich; Integration werde gelingen, wenn die Kurse nur finanziell gut genug ausgestattet werden würden. Nur - welche Werte werden den Migranten (und ich benutze BEWUSST das Wort "Migrant";) denn dort beigebracht? Soll in einigen wenigen Werteinheiten eine problematische Sozialisierung aufgebrochen werden? Das schaffen wir ja nicht einmal bei hier Geborenen!

Selbst wenn auch nur im Ansatz das Aufbrechen einer individuell festgefahrenen Einstellung möglich wäre - kommen diese Kurse gegen das "Wir" an?

Das "Wir"?

Was haben all die folgenden Fälle gemeinsam?

- In Graz wurde ein 27-Jähriger von einer Gruppe aus 10-20 "Ausländern" krankenhausreif geprügelt (Link zu orf.at).

- In Wien haben neun Migranten aus dem Irak eine deutsche Touristin vergewaltigt (Link zu orf.at).

- Muslimische Migranten haben 12 christliche Migranten bei der Überfahrt nach Italien aus religiösen Gründen aus dem Boot geworfen, um sie zu ermorden (Link zu DerStandard - der übrigens kein einziges Mal das Wort "Flüchtling" erwähnt, sondern von "Migranten" spricht).

- Jugendliche Migranten in Stockholm randalieren und gehen gewaltsam gegen die Polizei vor (Link zu DiePresse).

Die Antwort? Eine Gruppe, ein "Wir", ging stets gegen etwas oder jemanden vor, der nicht Teil der Gruppe war. Die Gruppe war stark, die Gruppe gab Zusammengehörigkeit. Die Gruppe gab Identität.

Die Gruppe machte immun gegen das Leiden anderer.

Wir alle kennen das - Teil von etwas Größerem zu sein, ist ein großartiges Gefühl, das etwas tief in uns drinnen anspricht - sei es jetzt auf dem Fussballplatz, bei einem Konzert, aber auch bei einer großen Zeremonie, wie zB großen Gottesdiensten, Ansprachen... überall, wo sich Menschen zu einer gemeinsamen Tätigkeit zusammen fanden und finden gibt es "spirituelle Offenbarungen", ein Gefühl, "dazuzugehören", eine transzendentale Erfahrung - und dieses Gefühl macht süchtig.

Und tatsächlich kennt ja auch der "moderne" Westen derartiges "Massenbonding", wo aus vielen einer wird - "e pluribus unum" - vom Wiener Heldenplatz 1938 über Woodstock 1969 hin zum Women's March 2017 - und ja, die Aufzählung wurde bewusst gewählt. So unterschiedlich die Anlässe waren, so identisch war das Bedürfnis, das befriedigt wurde - Gemeinschaft. Zugehörigkeit. Geborgenheit. Oft sind einige der besten Erfahrungen in unserem Leben solche, die wir unter gleichgesinnten Menschenmassen machen - sei es jetzt die Raveparty, die Demo oder das Fussballmatch.

Überall auf der Welt tanzten "Wilde" um Lagerfeuer - ein von "modernen" Europäern als barbarisch erkannter Brauch, der jedoch durch synchrone Bewegungsabläufe zur Steigerung des "Wir-Gefühls" diente, und Harmonie und Zusammengehörigkeit festigte - wie auch wissenschaftlich belegt (Link zu Royal Society Publishing). Hat gemeinschaftliches Gebet (mitsamt gemeinschaftlicher Verbeugung vor Gott) eine ähnliche Wirkung? Jedenfalls gibt es japanische Firmen, die den Arbeitsalltag mit gemeinsamen Körperertüchtigungen beginnen, um den Zusammenhalt zu stärken.

"Wir"? Folgt da nicht das verpönte "gegen die"?

Und zwar wie das Amen im Gebet. Das "wir" existiert immer als Gegensatz zu "den anderen" - schon evolutionär bedingt. Der Mensch entwickelte sich stets in Gruppen, die in Wettbewerb mit anderen standen - zuerst Familien, dann Stämmen, dann Dörfern, Königreichen, Nationen, Konzernen ("Corporate Identity" dient auch zur unbewussten Motivationssteigerung der Mitarbeiter und nicht nur zur Bespassung der potentiellen Kunden)... die Liste ließe sich fortsetzen. All diese Akteure stehen in mehr oder weniger offenen Wettbewerb mit anderen Akteuren - es liegt uns - leider! - im Blut.

Und das erklärt auch die ungeheure Anziehungskraft von Religionen - und zwar Religionen mit strengen Riten, mit klaren "Werten", einer klaren Vision - und vor allem auch einer klaren "Corporate Identity", einem klaren "Wir"-Gefühl. Und gemeinsame Zeremonien mit synchronisierten Bewegungsabläufen tun ihr Übriges, zum Zusammengehörigkeit zu konstruieren.

Gegen das "Wir" sind wir machtlos

Bei uns "im Westen" wird das "Wir" skeptisch gesehen. Wir trauen ihm nicht so recht über den Weg - Nationalismus ist ja böse; zuerst an die eigene Gruppe denken auch; und sowieso und überhaupt sei "Wir gegen die anderen" ja jetzt wieder auf dem Vormarsch (Link zu DiePresse) - was schlimm ist. Übersehen wird, dass das ja nie anders war - und uns zuletzt erst zu dem gemacht hat, was wir heute sind. Der Wettbewerb untereinander befeuerte die Evolution - aber vor allem auch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Besser organisierte Gruppen konnten schlechter organisierte Gruppen übertrumpfen - nicht nur militärisch, auch gesellschaftlich, wirtschaftlich, kulturell. Zusammengehörigkeitsgefühl motivierte. Zusammengehörigkeitsgefühl lässt uns über uns hinaus wachsen.

Das Leugnen des "Wirs" als fundamentale Eigenschaft der Menschen tut uns nicht gut; denn anstatt das "Wir" sinnvoll zu nutzen, verleugnen wir es, verbannen es - und überlassen es damit den "Bösen", den "Rechten", den "Nationalisten" - aber auch den Fundamentalisten, den religiösen Eiferern.

Wir glauben, wir können mir Kursen die Ankommenden integrieren? Wie denn? Selbst wenn wir dem Individuum unsere Sprache, unsere Werte beibringen können - wie können wir es aus seinem/ihrem "Wir" lösen - in seinem Fall die Gemeinschaft der Gläubigen, die schon begrifflich Ungläubige nicht umfasst? Welchen Gegenentwurf wollen wir einem exklusiven Wir-Gefühl, diesem euphorischen Gefühl, zu einer weltweiten Gruppe zu gehören, entgegensetzen? Wir sind ja selbst nicht einmal "Wir"! Wofür stehen wir ein? Nicht einmal darauf können wir uns einigen, dass Österreich eigentlich kein schlechter Staat ist! Wir - jeder einzelne von uns - stehen eigentlich ziemlich alleine da.

Wozu soll sich da jemand integrieren? Wo genau wollen wir denn überhaupt hin "integrieren"? Was haben wir denn zu bieten? Irgendeine Gewissheit? Irgendein "Wir"? Wozu das bestehende "wir" aufgeben?

Wenn wir nicht einmal die Härte haben, die Einhaltung unserer Regeln zu fordern oder offensichtlich asoziales Verhalten zu sanktionieren (man könnte das ja als "gegen die anderen" gerichtet werten)! Warum sollte man sich für "uns" schwache Individuen entscheiden? Dabei wissen doch mittlerweile selbst DDR-Philosophen und Theologen, dass "Güte nur respektiert wird, wenn sie sich mit Strenge verbindet" (Link zu Welt.de). Schwäche wird ausgenutzt - immer und überall. Wir alle kennnen das - jeder hat schon einmal geschummelt, gelogen... solange wir damit durchkommen konnten und es vor uns selbst rechtfertigen konnten. Das unbeaufsichtigte Essen im Kühlschrank verschwindet. Wenn die Spesen die Firma zahlt, fällt das Trinkgeld für den Taxler mal großzügiger aus. Menschen sind nicht inherent gut - wir sind inherent egoistisch. Erst die Kontrolle durch andere Menschen macht uns gut, moralisch, regeltreu.

Ein "wir" kann sozialwidriges Verhalten sanktionieren - darum ist es ja ein "wir". Darum gibt es Sanktionen - Ächtung, Bestrafung, Verstoßung. Gruppen sind nur erfolgreich, wenn sie "Freerider" sanktionieren, zur Mitarbeit zwingen - oder ausstoßen. EIne Gruppe, die kein "wir" ist, kann sich zu solchen Maßnahmen nicht durchringen - wie ja auch die "wir"-feindliche Stadtregierung von Wien erfolgreich vorzeigt, die nicht einmal einen Identitätsnachweis (!) vor Auszahlung von Sozialhilfen einfordert.

Identität

Identität ist mehr als ein Individuum. Identität ist immer auch ein "Wir". Das muss uns nicht gefallen; "Wir" ist immer auch gefährlich - siehe Faschismus, Islamismus. Aber "Wir" bringt auch das Beste in uns hervor. "Wir" sorgt dafür, dass wir uns in Krisen selbst organisieren. Dass wir gemeinsam Gutes tun - in der Rettung, in der Freiwilligen Feuerwehr (hält irgendjemand die Wettbewerbe zwischen den einzelnen Feuerwehren tatsächlich für schädlich, nur weil ein wir gegen ein anderes wir antritt?).

Und uns ist dieses "Wir" - das große, das die Gesellschaft einigende, abhanden gekommen. Wir haben den Nationalismus verpönt, weil er böse ist, aber keine andere gemeinsame Klammer gefunden, die die Mehrheit zu einem "Wir" macht - die uns diszipliniert, uns zu Opfern bereit macht, aber auch zur Umsicht und zur Regeltreue anhält.

Und jetzt stehen wir einem anderen "Wir" machtlos gegenüber, dass plötzlich in unserer Mitte aufgetaucht ist, ja, wir verstehen es nicht einmal. Und versuchen, als Individuen, die Individuen des anderen "Wir" zu integrieren. Nur ist ein "Wir" halt stärker als selbst eine Mehrheit an Individuen.

Wer glaubt, mit Kursen und durch gut Zureden bei Einzelnen etwas lösen zu können, verkennt die Verlockungen des identitätsstiftenden "Wir". Und warum "Integration" scheitern wird.

Buchtipp: Jonathan Haidt - The Righteous Mind

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