Pechschwarz. Die Nacht. Es ist zwei Uhr und fünfzehn Minuten in der Früh. Bei der Grassmayr Kreuzung in Innsbruck der gleichnamigen Glockengießerei schwingen wir uns in die Sättel. Eine kleine Glocke läutet hell. Auf geht's. Ricco, Herwig und ich starten unseren Tagesausflug. Die heutige Alpenüberquerung - unsere Transalp - soll uns von Innsbruck über den Sattelberg über das Pfitschertal auf das Pfitscherjoch und über Tux auf das Geiseljoch führen.
Was ist das für ein Unterfangen?
Was treibt uns an Viertausend-Fünfhundert Höhenmeter tretend, schwitzend und lechzend in aerodynamischer Position zu bestreiten?
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Das sind Fragen, die jetzt keiner von uns beantworten kann und will. Denn diese länderübergreifende Tour ist der Pilot mit drei Piloten. Keiner von uns drei Hobbysportlern hat je etwas ähnlich Verrücktes in Angriff genommen.
Hartmut
Hinter dem Zugpferd von Innsbruck auf den Sattelberg
Rico, Mastermind und Zugpferd dieser Tour gibt das Tempo auf der Bundesstraße nach Steinach vor. Leicht wippend bewegen sich unsere Lichtkegel im Dunkel der Nacht. Hin und wieder leuchtet uns ein zweispuriger Verkehrsteilnehmer an oder überholt uns mit Respekt-Abstand. So als würden wir von einer Aura umgeben sein, der man nicht zu nahe kommen will. In moderater Geschwindigkeit und mit nicht allzu hohem Puls erreichen wir nach zwei Stunden Vinanders. Dort werfe ich mir den ersten Riegel des Tages ein. Ich merke, dass ich müde bin. Viel Schlaf kommt in dieser kurzen Nacht nicht in meine Augen. Meinen zwei Gefährten geht es ähnlich.
Rico
Der Weg auf den Sattelberg treibt ob der Steilheit gleich am Anfang unseren Puls in die Höhe. Wir blicken auf die Sattelbergalm, die noch schläft. Wenig später biegen wir auf einen Waldweg, wo uns eine anspruchsvolle Neigung empfängt. Das unwegsame Terrain ist ruppig. Wir klemmen uns hinter unsere Lenker und klettern in niedrigem Gang hochfrequent Stock und Stein empor. Langsam aber stetig erwacht die Nacht. „Schön ist es hier“, sagt Rico als sich der Weg öffnet. „Ja, schon,“ antworte ich, „doch ich kann es gerade nicht genießen.“ Ich habe keine Möglichkeit aus meiner Kletterposition einen Blick auf den Wolfendorn zu erhaschen. Umso schöner scheint er dann im sanften Licht der aufgehenden Sonne. Nach guten dreieinhalb Stunden stehen wir am Gipfelkreuz Sattelberg und sind zufrieden. Eigentlich könnten wir jetzt wieder nach Hause fahren, doch das bisher Erreichte ist nur der erste Streich.
Fazit 1
Ein Zugpferd ist bei so großen Touren wichtig. Es ist wie ein Mentor, der dir den Weg weist. Das gilt für alle Bereiche im Leben. Du brauchst jemanden, dem du vertrauen kannst und der dich motiviert. Und das solltest du auch für andere sein, oder?
Rico
Auch wenn der Schweinehund will, gib nie auf!
Nach einer kurzen Stärkung mit Müsliriegeln fahren wir auf der alten Militärstraße aus dem ersten Weltkrieg entlang und genießen diese wunderbare Naturidylle. Zwei Murmeltiere posieren pfeifend für uns und lassen sich sogar von Ricos Linse festhalten. Die Abfahrt Richtung Brennerbad führt uns über eine ruppige Schotterstraße. Wir rollen nach Gossensaß und laden dann in Wiesing unsere Wasserspeicher und Trinkflaschen vor dem Eingang des Pfitschertales auf. Jetzt folgen 25 Kilometer stetiges Treten bis zur Forststraße auf das Pfitscherjoch.
Meine Kette tänzelt auf der mittleren Scheibe, doch ich kann den Schatten des Windes von Rico gefolgt von Herwig nicht ausnutzen. Mein Tritt bleibt zu schwach und ich reiße immer wieder ab. Mein Körper ist nicht ganz auf der Höhe. Vermutlich geht es meiner Darmflora nicht so gut wie der Fauna und Flora, die den Weg säumt und sich im Vormittag sonnt. Doch wie es mein Wille will, schraube, nein quäle ich mich auf das Pfitscherjoch. Nach sieben Stunden bestelle ich mir ein Schnitzel mit Pommes frei nach dem Motto: „A Guater hebt’s:“ Tatsächlich bin ich danach auf 2.246 Metern wieder voll auf der Höhe. Somit bleiben dieser Tour all ihre drei Musketiere erhalten. Um 11:22 umarmen wir den Grenzstein zwischen Italien und Österreich und fahren vom Südtiroler Pfitschertal in das hinter Zillertal.
Fazit 2
Ich war schon sehr angeschlagen auf dem Weg zum Pfitscherjoch. Doch ich hatte dieses Ziel und den Willen mein Ziel zu erreichen. Glaub an deine Stärke und bleib dir selbst treu, dann erreichst du schier Unmögliches.
Hartmut
Wie weit kannst du gehen und deinen Schweinehund überwältigen?
Der Weg nach Schlegeis erfordert Trail-Kenntnisse. Herwig bewegt sein Zweirad imponierend geschickt über Wurzeln kleine Felsen und Kiesbetten. Rico und ich nehmen ihn als unser Vorbild und siehe da: wir fahren auch relativ viele Passagen mit Bravour. Gelegentlich steigen wir dann doch ab, denn es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, aber vom Fahrrad. Wohlauf und glücklich beenden wir den Abstieg vom Pfitscherjoch beim beeindruckenden Stausee in Schlegeis. Hier belohnt uns ein imposanter Blick auf den Tuxer Gletscher und die Hochpfeiler. Dann rasen wir hinunter nach Ginzling. Sogar mehrere Kreuzottern kreuzen unsere Fahrspur. Doch am Ende der Abfahrt leben alle weiter. Jetzt rasen wir Richtung Mayrhofen und biegen bei Dornau links ab nach Finkenberg.
Herwig
Ab jetzt schwitzen wir wieder, denn es warten 500 Höhenmeter nach Vorderlanersbach. Dieser Straße hat es in sich. Der pure Asphalt gibt auch von unten Hitze frei. Die Sonne brennt unerbittlich von oben. Trotzdem sind wir froh einen Traumtag erwischt zu haben. In Vorderlanersbach pausieren wir auf dem Hauptplatz und stellen uns mental auf die härtesten 1.100 Höhenmeter unseres bisherigen Mountainbiker-Daseins ein. Herwig bringt uns aus dem M-Preis Riegel mit, die wir auf der Stelle vertilgen. Und los geht’s. Der Weg ist das zache Ziel. Alle zurückgelegten Kilometer und Höhenmeter verdichten sich in jedem weiteren Tritt. Dazu gesellt sich die mentale Erschöpfung, die von der späteren Belohnung, dem besten Kaiserschmarren, aller Zeiten kompensiert wird. Nach 11,5 Stunden, mit Absteigen und ein paarmal schieben, ob des schwierigen Weges und des leeren Akkus liegen wir uns am Geiseljoch in den Armen. Mittlerweile schlägt das Wetter Kapriolen. Es zieht zu und Nebel legt sich über das saftige Grün der Tuxer Alpen. Die Funktionswäsche von Löffler hält mich warm.
Rico
Fazit 3
Wir waren alle drei schon ziemlich am Ende, bevor der letzte lange Anstieg folgte. Doch seine Grenzen neu definieren und dann wirklich das Ziel erreichen ist überwältigend. Nach so einer Tour fällt dir der Alltag leichter, weil du ein großes Selbstvertrauen hast und die Dinge lockerer angehen kannst.
Es ist eine reine Kopfsache
Am Weg zur Weidener Hütte fahren wir einen kleinen Trail und trotz des zunehmenden schlechteren Wetters kehren wir dort ein. Denn ein Bier und ein Kaiserschmarren müssen sein. Davon bringen mich meine zwei Gefährten auch nicht ab. Sie stellen die Nicht-Einkehr auch nicht zur Diskussion, wissend, dass ich ohne meinen Kaiserschmarren, der bereits bei unserem Startpunkt das zentrale Thema war, nicht schlafen kann. Während wir auf Speis und Trank warten organisieren wir ein Abholservice in Weer, weil wir es niemals trocken nach Innsbruck schaffen. Noch während ich mit meiner Mutter telefonisch die Details abkläre stehen Rico und Herwig im Regen. Durchnässt und zitternd ob der Kälte. Also bleibt mir nichts anderes übrig. Ich komme von der Traufe in den Regen und wir fahren los. Zu Donner und Blitz gesellt sich nach fünf Minuten ein Graupelschauer. Ein Graupelschauer, der nicht mehr aufhören will. Es ist wie Paintball spielen und laufend getroffen werden. Die Brillen beschlagen und werden sofort abgenommen. Zum Glück habe ich die Handschuhe von Kini mit dabei. Durch die Gischt der kleinen Bäche, die über den Forstweg fließen, preschen wir hinunter ins Tal. Aquaplaning haben wir keines. Durchnässt umarmen wir am Parkplatz meine Mutter.
Herwig
Viel passiert nach 13 Stunden reiner Fahrzeit und 16 Stunden Ausflug-Programm mit Essen, Big-Boys-Pausen und mentalen Motivationsübungen an diesem Tag nicht mehr.
Doch eines ist fix. Heute kommt viel Schlaf in unsere Augen.
Fazit 4
Das meiste wird im Kopf entschieden. Natürlich braucht man für diese Tour eine gewisse konditionelle Basisausdauer. Es muss ja nicht so eine extreme Tour sein. Im Prinzip geht es darum zu erkennen, dass in dir mehr steckt, als du dir selbst zutraust. Und wenn du einmal in die Gänge kommst, dann dreht sich das Rad eh wie von selbst.