Ich war heuer nicht beim Weltspartag. Das ist wohl an sich keine weitere Zeile wert. Mir geht es trotzdem im Kopf herum, wie ich es mir geschah, ohne diesen auszukommen. Ich wuchs in einer kleinen Stadt am Land auf. Die wichtigen Herren der Stadtsparkasse saßen in der Weltsparwoche an einem großen Tisch in einem Zimmer unserer Volksschule, die Sache war ernst. Da wurde genau gezählt, Belege geschrieben, gelobt, gescherzt und dann vom Herrn Sparkassendirektorstellvertreter die hochamtliche Eintragung der ersparten Summe eigenhändig im Sparbuch vorgenommen. 172 Schilling und 42 Groschen, Unterschrift, Stempel! Dafür gab es dann ein kleines Geschenk und Gasluftballons. Später dann habe ich selbst am Weltspartag ausgeholfen, Gäste bedient, Luftballons aufgeblasen, Schillinge gezählt, Geschenke verteilt und Dekorationen auf- und wieder abgebaut. Der Weltspartag war ein Weltereignis.

Gehen Sie noch gelegentlich auf die Bank? Die allermeisten Bankfilialen hier im Grätzel sind mittlerweile geschlossen, und bald werden es wohl noch weniger oder gar keine mehr sein. Stattdessen ziehen Supermärkte, schicke Restaurants oder hippe Altwarenhändler in die leer werdenden Lokalitäten ein. Sie bieten das, wonach es uns heute verlangt. Bankschalter gehören da wohl nicht mehr dazu. Diesen Sommer wurde meine Filiale geschlossen und mit einer anderen zusammengelegt. Das war wohl die Gelegenheit, meiner Weltspartagsverpflichtung nach bald fünfzig Jahren zu entkommen.

Der Weltspartag war mir bislang eine ideelle Verbindung zur früheren Heimat ohne wirklich unmittelbar mit dieser in Berührung geraten zu müssen. Auch in einer so großen Stadt ist es kaum möglich, seiner Heimat, seiner Kindheit und Jugend am Land gänzlich zu entfliehen. Unerwartet trifft man auf Versatzstücke, die unentrinnbar mit Erinnerungen verknüpft sind, und auf Menschen, die Teil dieser Vergangenheit sind. Gelegentlich begegne ich alten Freunden auf der Straße, ganz alten Freunden. Einige kenne ich schon aus der Sandkiste, andere von vielen gemeinsamen Jahren im Schulbus in die nahe Landeshauptstadt. Uns alle hat es ohne Absprache hier in dieses Grätzel an der Gumpendorfer Straße verschlagen. Wenn wir auf der Straße aufeinandertreffen, sind wir meist ein wenig verlegen. Wir kennen uns doch schon seit Kindestagen und sind uns doch in all den Jahren seither sehr fremd geworden. Schließlich zogen wir ja nicht gemeinsam hierher sondern trafen uns hier ohne Absprache nach vielen Jahren unerwartet wieder. Das erzeugt eine befremdliche Vertrautheit.

Heute haben übrigens sehr viele Menschen gelächelt auf der Gumpendorfer Straße und die Sonne schien warm. Morgen muss ich wieder den Weg über die Fillgrader Stiege nehmen, der freundliche Bettler dort wird Geld für den nahenden Winter benötigen und ich kann ihm im Vorbeigehen ein oder zwei Euro zustecken.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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