Ich sitz im Zug. So ganz kann ich es ja noch immer nicht glauben. Wann bin ich das letzte Mal so ganz alleine weggefahren? Ich treff mich zwar mit Vroni und Kalle, aber so ganz ohne irgendeinen geschäftlichen Grund oder ohne Familie, war ich schon ewig nicht mehr weg. War ich überhaupt schon einmal? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Auf alle Fälle sitz ich jetzt im Zug nach Berlin. Wir, meine Ex und ich, haben Vroni und Kalle bei einem Toscanaurlaub kennengelernt. Die zwei sind aus der Ex-DDR. Sie haben in Berlin alte Freunde und machen auch einen Berlinurlaub. Ihre Freunde sollen uns mit den notwendigen Insider-Tips versorgen.
Er ist so ein richtiger Brummbär. Sie, Dipl.Architektin, dagegen nahezu eine Intelektuelle. Hat sich nach der Wende mit einigen Kollegen selbständig gemacht und ein Architekturbüro gegründet. In der Zwischenzeit scheinen sie es geschafft zu haben. Aus ihren Augen leuchtet immer so etwas wie Neugier, manchmal auch was spitzbübisches, eine interessante Mischung. Dazu ein leichter roter Stich in ihren dunklen Haaren. Sicher keine hübsche Frau, aber sehr interessant. Es sind immer die Frauen, die mich interessieren. Ich geb auch zu, dass ich mich nur mit Kalle nicht treffen würde. Aber ich mag sie beide, sie gehören zusammen.
Also ich sitz im Zug. In meinem Abteil ist bloß ein Bett zurechtgemacht, dh ich bin allein. Ist mir sehr angenehm. Ich hab mir ein Buch, das ich schon lang fertiglesen wollte, für die Reise mitgenommen. Wird aber doch nichts, mit dem Alleinsein. Jetzt taucht nämlich ein junger Tramper in der Tür auf und will wissen, ob noch Platz ist und wie er zu einem Bett kommt. Und schon ist auch der ”Zugbegleiter” (welch schöne Bezeichnung für einen Schaffner) da, ist erst ein bisserl unwirsch mit dem Typen, beruhigt sicher aber schnell und ist dann sogar richtig hilfsbereit - ein richtiger Wiener eben.
Er heißt Scott und kommt aus Melbourne. Schon seit 8 Wochen ist er quer durch Europa mit dem Zug unterwegs. Er erzählt von seinen Reiseerlebnissen und welche Pläne er noch hat. Wir tauschen Erfahrungen über die verschiedenen Städte aus und ich sag ihm, dass er unbedingt nach Rom muß. Er schwärmt nämlich von den Frauen in den verschiedensten Städten. Und wenn ihn das schon so sehr fasziniert, muß er unbedingt nach Rom.
Wir haben die Abteiltüre offen und am Gang steht eine kleine Gruppe junger Leute. Dabei eine junge Frau, die so halb mit dem Rücken zu unserem Abteil steht. Ab da scheint ihn eigentlich nichts anderes zu interessieren, ob sie einen G-String trägt oder sogar gar nichts. Immerhin kann ich so mein einschlägiges englisches Vokabular erweitern. Aus seinem Rücksack holt er ein ”Foster´s” und ärgert sich gleich darauf, dass er sich nicht doch den Six-Pack mitgenommen hat. Jetzt muß er mit Gösser aus dem Zug vorlieb nehmen. Irgendwann nach Mitternacht machen wir dann doch das Licht aus und versuchen zu schlafen. Funktioniert viel besser, als ich erwartet habe.
Am Morgen gibt es sogar Frühstück. Schlechten Kaffee mit Milchpulver. Aber immerhin ist das Gebäck frisch. Bei der Einfahrt nach Berlin gewinne ich bereits vom Fenster aus die ersten Eindrücke von der größten Baustelle Europas. Ein Kran neben dem Anderen. Ein Baugrube größer als die Andere.
Um 9.41 kommt der Zug am Berliner Ostbahnhof an. Vroni und Kalle erwarten mich schon und wollen mich auch gleich zu meinem Hotel bringen. Ist ja gleich um die Ecke und reservieren braucht man nicht. Ist sicher noch etwas frei. Ist auch, aber nur mehr die Präsidentensuite für vierhundert DM die Nacht. Und nachdem ich kein Präsident bin brauch ich auch keine Suite. Außerdem, für vierhundert Mark, weiß ich mir schönere Sachen. Also suchen wir jetzt zuerst einmal ein Zimmer für mich. Da gibts in der Nähe noch das ”Hotel Friedrich”.
Vroni kommt mit mir rein. Zuerst geht es durch eine Einfahrt in den Hinterhof. Überall lungern junge Leute herum, Tramper, Studenten, was auch immer. Ein wirres Gemisch an Sprachen dringt an meine Ohren, alles nur nicht Deutsch. Ich fühl mich auf Anhieb wohl.
Auch der Typ an dem, was inetwa eine Rezeption sein soll, spricht nur gebrochen Deutsch. Aber leider, alles besetzt. Allerdings hat er eine Adresse für uns, nicht weit weg. Er zeichnet uns auf einem Plan die Adresse ein und den Namen des Hotels.
Wieder ins Auto und zur nächsten Adresse. Wieder hinein in einen Hinterhof. Das Hotel ”Sunflower” ist offensichtlich auch soetwas wie ein Tramperhotel.
An der Rezeption sitzt eine ungefähr fünfunddreißig bis vierzigjährige Blonde Frau, die uns mit einem offenen Lachen in Empfang nimmt. Wir sind uns sofort sympathisch. Mein Wiener-Schmäh fällt auf fruchtbaren Boden.
”Na gut, Du kannst det Zimmer haben. Für´n Fuffi”. So komm ich zu einem Dreibettzimmer mit Dusche und WC am Gang. Aber immerhin mit Waschgelegenheit und Fernseher im Zimmer. Was brauch ich schon mehr, als ein Bett und einen Fernseher.
Bevor wir gehen, plauder ich noch ein bisschen mit der Blonden. Sie heißt Uli und hat sich mit dem Hotel selbständig gemacht. Und sie schreibt mir ihre Telefonnummer auf. Für alle Fälle, vielleicht verlauf ich mich ja in Berlin.
So, jetzt das Touristenprogramm. Wir fangen mit einer Schifffahrt auf der Spree an. In Berlin gibt es immerhin zweihundert Kilometer Schiffahrtswege und zweitausend Brücken. Ein guter Start um die wesentlichen Sachen dieser Stadt zu entdecken. Am Nachmittag treffen wir dann die Freunde der Roths. Und jetzt bin ich enttäuscht. Ein ziemlich biederes Ehepaar über Fünfzig. Mit den Beiden, werde ich das Nachtleben von Berlin nicht kennenlernen.
Was ich dafür kennenlerne ist das historische Berlin. Ich bekomme einen Eindruck von der Teilung der Stadt und mit welchem Aufwand an Geld und Technik etwas völlig Neues entsteht. Brandenburger Tor, Checkpoint Charlie, Potsdamer Platz, der Platz der Bücherverbrennung und das Reichstagsgebäude. Ich werde mit Kultur und Geschichte vollgestopft.
Am meisten imponiert mir allerdings ein Modekaufhaus, das ”Lavayette”. Pervers. In der Mitte des fünfstöckigen Gebäudes steht vom Untergeschoß bis unter das Dach eine riesige gläserne Elipse mit einem Durchmesser von ca. dreißig Metern. Beeindruckend. Vroni ist daran nicht ganz unschuldig. Durch ihre Erklärungen über Architektur und die Zusammenhänge öffnen sich mir völlig neue Sichtweisen.
Nach dem Abendessen stellt sich heraus, dass ich mit meiner Befürchtung die Freunde von Vroni und Kalle betreffend recht hatte. Die Zwei gehen nach Hause und überlassen es uns, zwar versorgt mit wenigen Infos, das Leben in Berlin zu erkunden.
Vroni war zwar von einigen Jahren schon einmal in Berlin und hat also eine gewisse Ahnung wohin, aber durch die Schnelllebigkeit der Stadt ist nichts mehr so, wie es damals war.
Es muß auf alle Fälle der Ostteil der Stadt sein. Hier pulsiert das Leben. Wir wandern zur Oranienburger Straße. Eine teilweise auch rotlichtige Gegend. Hier ist eine neue Subkultur entstanden und ein Lokal reiht sich neben das Andere. Die Leute sind auf der Straße und Stimmengewirr und Musik beleben die Luft. Aber: das ist nicht das Besondere, dass ich mir von Berlin erwartet habe. Das könnte genausgut in Wien, London oder Paris sein.
Wir setzen uns in eine Bar und ich bestelle einen Daiquiri. Die Menschen sind freundlich, die Stimmung gut und auch der Drink ist ok. Aber das Planters hat mehr Atmosphäre und der Cocktail ist in der Sky-Bar besser. Das kann es doch nicht gewesen sein. Nicht mit mir.
Ich habe ja die Handynummer von Uli. Die muß doch wissen, wo hier was läuft. Kann ich um elf Uhr Abends noch anrufen. Ich kann. Niemand meldet sich. Soll ich aufgeben? Jetzt läutet mein Handy - der Technik sei Dank. Uli hat auf Ihrem Display meinen Anruf gesehen und ruft zurück. Sie findet meine Hemmungslosigkeit echt stark. Und sie weiß sofort, was ich will. Sie gibt mir zwei Namen und die passenden Wegbeschreibungen. Das Oxymeron ist eine Disco und dann noch den Namen einer Bar. ”Eschmerat”. Aber das ist ein Privatclub. Keine Schilder und es darf auch nicht jeder rein. ”Aber so wie Du aussiehst, kommst Du schon rein” hör ich Uli am anderen Ende der Verbindung und ich seh sogar ihr Grinsen im Gesicht. Sie allerdings will nicht mitkommen. Sie hat einen achtzehn Stundentag hinter sich und muß endlich schlafen. Aber wenn ich wieder nach Berlin komm, muß ich sie unbedingt anrufen.
Die Entscheidung ist nicht schwer. Auf ins Eschmerat. Gleich neben den Hakeschen Höfen. Ein blauer Neonschlauch an der Decke zu einem Hofeingang ist das einzige Erkennungsmerkmal. Wir folgen dem blauen Licht. Je weiter wir durch die Höfe kommen, umso dunkler wird es um uns herum und umso baufälliger wird das ganze Gebäude. Nach dem dritten Hof ist Schluß mit dem Neonlicht. Und da links ist die Treppe zu der Metalltür, hinter der sich die Bar befinden soll. Nichts, aber schon gar nichts, deutet darauf hin, dass hier irgendeine Form von Leben existieren kann.
Ich klingel. Nichts. Nochmals. Jetzt öffnet sich die Tür einen kleinen Spalt und ein junges Mädchen nimmt uns in Augenschein.
”Habt ihr eine Clubkarte?”, haben wir natürlich nicht.
”Jetzt komm ich extra den weiten Weg aus Wien, nur wegen dem Eschmerat, und dann solls an der Clubkarte scheitern? Wo mir doch meine ”gute Freundin Uli” schon so viel von diesem legendärem Club erzählt hat”.
Gibt es überhaupt eine Frau, die meinem Charme wiederstehen kann? Diese hier kann jedenfalls nicht und wir dürfen in einen kleinen Vorraum. Neben einer weiteren Tür steht ein kleines Tischchen mit einem Würfelbrett. Wir müssen um den Eintritt würfeln. Für jede Augenzahl ist eine Mark zu bezahlen. Ich fang an und hab ”natürlich” eine Eins, also bezahl ich eine Mark. Vroni und Kalle müssen je vier bezahlen.
Wir sind also drinnen, im steilsten Club von Berlin. Ein Gemisch der verschiedensten Menschen bevölkert den vielleicht einhundert Quadratmeter großen Raum. Auf den ersten Blick sieht der Club so aus wie der letzte Hinterhof. Aber eben nur auf den ersten Blick. Die Mauern sind sorgfältig auf baufällig renoviert. Bei den scheinbar schlampig verlegten Elektrokabeln stimmt jeder Zentimeter um genau diesen Eindruck hervorzurufen. An den Wänden stehen alte, teilweise zerrissene Sofas mit kleinen selbstgezimmerten Tischen davor. Und dazu ausgesprochen unbequeme Hocker. In zwei riesigen Glaskästen befinden sich Aliens, aus denen Gummischläuche hängen. Und das alles in einer sehr schummrigen, leicht rötlichen Beleuchtung. Die Bar gleich links neben dem Eingang ist bestückt mit Flaschen. Durch handtellergroße Glasscherben auf der Abstellfläche und der Front sieht man in Terrarien. Irgendetwas hat sich bewegt. Was genau, weiß ich nicht, will ich auch nicht wissen.
Wir ergattern einen von diesen Tischen und Kalle ist äußerst unglücklich mit seinem Hocker. Ein DJ hat in einer hinteren Ecke auf einem Tisch sein Equipment aufgebaut und scheint von dem, was um ihn vorgeht, nichts mitzubekommen. Seine Musikmischung paßt zu dieser Bar und den Leuten. Trance, Ethno, House und wie in Berlin nicht anders zu erwarten, Techno. Seine Stillosigkeit hat schon wieder Stil.
Ich mach mich auf zur Bar um uns Drinks zu besorgen. Daiquiri krieg ich hier zwar keinen, damit muß ich leben. Für Vroni und mich bestell ich Capirinhia und Kalle kriegt ein Bier.
Es bleibt nicht der Einzige in dieser Nacht.
Hinter der Bar stehen zwei Mädels so um die Zwanzig.
Eine sieht aus wie ein übergebliebener Spätpunk. Schwarze, so wirklich ganz schwarze, struppelige, halblange Haare, Nasenring, Augen und Mund schwarz geschminkt. Graues, zerrissenes T-Shirt, Schwarze Latzhose, den Latz runterhängend lassend. Ausgebeulte, ungeputzte, farbundefinierbare Doc´s. Und hübsch.
Noch hübscher die Zweite. Vietnamesin würd ich sagen. Lange, glatte schwarze Haare. Und Mandelaugen. Groß und leuchtend wie Sterne. Auch Doc´s, scheint hier Berufsbekleidung zu sein. Hautenge schwarze Stretchhose, weißes T-Shirt. Paßt perfekt. Die Zwei sind sicher schon Grund für viele Männer hierherzukommen.
Hier tummelt sich wirklich alles. Ein stinknormal, bürgerlich aussehendes Liebespaar knutscht ohne Scheu vor Gaffern. Der Typ im Designeranzug schmeißt sich mit einer penetranten Hemmungslosigkeit an eine vierzehnjährige Schulstanglerin ran. Zwei Intelektuelle, einer mit schwarzer Hornbrille und beide in schwarzer Existentialistenuniform diskutieren über Satre und seine Berechtigung im Berliner Nachtleben. Eine übergebliebene, blonde, etwa vierzigjährige, ehemalige Schönheit hat es auf die zwei hübschen Jungs neben ihr abgesehen. Und dass, obwohl die Beiden sowas von schwul sind, wie Mann nur schwul sein kann.
Bei uns am Tisch, besser gesagt am Sofa beim zu uns gehörigen Tisch, sitzen zwei Mädchen und ein junger Mann. Er hat die Haare mit Gel in die richtige Unordnung gebracht und einen Blick wie James Dean auf dem berühmten Plakat. An den Mädels ist mir eigentlich nichts Besonderes aufgefallen. Jung und durchschnittlich hübsch. Ohne Zögern und sich auch nicht um die neugierigen Blicke von Kalle kümmernd zieht der James-Dean-Verschnitt aus seiner Hosentasche ein kleines Packet und rollt sich seelenruhig seinen Joint. Nur Feuer hat er keines. Mein Zippo erweist sich wieder einmal als Eisbrecher. Eigentlich will ich ihn schon fragen, ob ich wenigstens mitrauchen darf, wenn ich schon mit dem Feuer einen wesentlichen Beitrag leiste.
Aber Vroni und Kalle sind sowieso schon schockiert über meinen Lebenswandel und meine Vorlieben für die dunklen Seiten des Lebens. Schließlich haben die Beiden mich zu einer Zeit kennengelernt, in der auch für mich die Welt noch Heil war.
Nette Frau, wohlerzogenes Kind, lieber Hund, dickes Auto, anständiger Ehemann.
Und was sehen sie jetzt.
Wechselnde Frauen, alleinerziehende Tochter eines verlotternden Vaters, zwei eigenwillige Hunde, Kleinwagen mit Ambitionen auf einen Sportwagen, alternder Möchtegernplayboy in der Midlife-Crisis.
Da kann ich ihnen nicht antun, dass ich auch noch zum Kiffen anfang.
Bleib ich eben beim Capirinhia. Und Vroni auch.
Irgendwann wird Kalle dann ziemlich unwillig und so gegen drei Uhr morgens ist mein Blick für interessante Details durch eine erhöhte Dosis brasilianischen Zuckerrohrschnaps auch nicht mehr ganz auf der Höhe. Also verlassen wir diese gastliche Stätte. Ich mit dem Vorsatz einen Koffer in Berlin zu lassen, oder zumindest meine Telefonnummer, um bei der nächsten Gelegenheit alle Freuden dieses Etablisements zu genießen.
Mit der S-Bahn nähere ich mich meinem Unterschlupf und laufe die letzten Schritte durch eine dunkle, einsame Großstadt. Läuft dieser Film eigentlich nur in meinem Kopf oder ist das das wirkliche Leben? Zum Glück gibts wenigstens einen Fernseher in meinem Zimmer. Jerry Cotten auf Pro 7 nimmt meinem Realitätssinn den letzten Rest und ich schlafe ein.
Ohne Anzeichen eines Katers empfängt mich der neue Tag. An der Tür zur Gemeinschaftsdusche am Gang ist zwar eindeutig ”Female” zu lesen. Mir ist das aber egal. Und wenn es mir egal ist, muß es allen Anderen auch egal sein. Aber zu meinem Bedauern bleib ich allein.
Im Frühstücksraum sitzen einige junge Menschen. Holländer, wahrscheinlich Schotten, und einige die gar nichts reden. Wurst, Käse, Marmelade, Yoghurt, frische Semmeln und guter Kaffee. Ich habe schon in weit besseren Hotels schlechter gefrühstückt. Wahrscheinlich hätte in der Präsidentensuite das Frühstück soviel gekostet wie hier alles zusammen.
Heut steht noch das jüdische Museum, Kreuzberg und der Kurfürstendamm auf dem Programm. Das neuerbaute umstrittene jüdische Museum ist noch gänzlich unbestückt und das Bauwerk für sich eine Sehenswürdigkeit. Die zweistündige Führung nimmt mich vollkommen gefangen. Bisher habe ich nicht registriert, dass Architektur Kunst ist. Jetzt weiß ich es.
Alles was jetzt noch an ”Musts” kommt, kommen könnte, hat in meinem Kopf keinen Platz mehr. Vroni und Kalle geht es genauso. Also beschließen wir Essen zu gehen und danach über den ”Kuhdamm” zu schlendern.
Gegen Fünf machen sich die Beiden dann auf den Heimweg, weil Kalle um vier Uhr früh in die Schicht muß. Mein Zug geht erst um halb Acht. Ich habe also Gelegenheit die berühmte Berliner Luft nochmals in Ruhe auf mich wirken zu lassen. Ich fahre nochmals zu den Hackeschen Höfen, setz mich in ein wunderbares Kaffeehaus und trinke einen Espresso.
Dann ruf ich nochmals Uli an, bedanke mich für den wunderbaren Tip und muß ihr versprechen, bald wieder zu kommen. Was ich auch mache. Und sie ist in Wien natürlich auch recht herzlich willkommen.
Schon wieder ist nur ein Bett in meinem Abteil vorbereitet. Komm ich jetzt bei der Heimfahrt dazu mein Buch zu lesen? Natürlich nicht. Es dauert keine Minute und der Schaffner quartiert eine interessante Frau in den besten Jahren, sechsunddreißig um genau zu sein, bei mir ein. Eine Wienerin. So ein Zufall. Ich schwöre, ich habe ihn nicht bestochen.
Linda ist Malerin. Sie kommt von der Berliner Kunstmesse und war auch relativ erfolgreich. Der Verkauf deckt mehr als die Kosten. Sie hat in der Nähe meiner Wohnung ein eigenes Atelier und ich werde mir ihre Bilder demnächst ansehen. Das göttliche Prinzip, die unsterbliche Seele und die banalen Probleme in Beziehungen liefern uns ausreichend Gesprächsstoff für die lange Fahrt. Sie ist alleinstehend mit zwei kleinen Kindern. So ein Zufall. Wär ich jetzt in diesem Film von letzter Nacht, würden wir das Abteil verriegeln, die Vorhänge zuziehen und uns heftigst lieben. Das ist aber kein Film und deshalb gehen wir dann doch noch schlafen.
Linda ist mit dem Wagen zum Bahnhof gekommen und muß in die gleiche Richtung wie ich. Sie will mich mitnehmen. Durch den Regen wandern wir zu ihrem Auto. Ein lindgrüner Opel Rekord aus den frühen Siebzigern. So stell ich mir das Auto einer Künstlerin vor.
Meine Befürchtung, dass ich das Fahrzeug schieben muß ist völlig unbegründet und sie liefert mich direkt bei meinem Haustor ab. Jetzt freu ich mich schon auf eine heiße Dusche.