darf ich als linker für die fussball-nationalmannschaft die daumen halten?
darf ich als „linker“ bei der em mit der nationalmannschaft mitfiebern und mich freuen, wenn „wir“ ein tor schiessen oder gar gewinnen?
muss ich mich für eine gezeigte, freudige emotion bei einem tor genieren?
oder ist es für meine selbstdefinition als linker gar notwendig, dass ich mich freuen muss, wenn österreich verliert?
„warum ich mich freue, wenn österreich bei der em verliert.“
wobei dieser ansatz ja eigentlich ziemlich pervers ist, weil im umkehrschluss ja dementsprechend eine andere „nation“ bzw. der dortige nationalismus (patriotismus) befeuert und gefördert wird.
in diesem zusammenhang wird mir dann auch der adorno unter die nase gerieben:
„Wird eine Fußballweltmeisterschaft vom Radio übertragen, deren jeweiligen Stand die gesamte Bevölkerung aus allen Fenstern und durch die dünnen Wände der Neubauten hindurch zur Kenntnis zu nehmen gezwungen ist, so mögen selbst spektakulär verschlampte Gammler und wohl situierte Bürger in ihren Sakkos einträchtig um Kofferradios auf dem Bürgersteig sich scharen. Für zwei Stunden schweißt der große Anlass die gesteuerte und kommerzialisierte Solidarität der Fußballinteressenten zur Volksgemeinschaft zusammen. Der kaum verdeckte Nationalismus solcher scheinbar unpolitischen Anlässe von Integration verstärkt den Verdacht ihres destruktiven Wesens.“
Theodor W. Adorno: Anmerkungen zum sozialen Konflikt.
konsequenterweise müsste demzufolge die forderung nach der abschaffung übernationaler sportereignisse stehen.
da gehts dann nicht nur um fussball, sondern auch um olympische spiele, die ja den gleichen mechanismus bedienen.
und den skiweltcup schaff ma auch gleich mit ab.
also überhaupt alles, wo hinter einem sportler eine nationalitätenbezeichnung steht bzw. nationalmannschaften antreten.
jetzt kann ich den grundsätzlichen ansatz dieser kritik natürlich schon verstehen und auch nachvollziehen.
so hat mir zb der (organisierte?) geschlossene marsch von 20.000 ungarischen fans in mehrheitlich schwarzen shirts in marsaille vor dem match gegen island wirklich unbehagen bereitet und hat unangenehme assoziationen geweckt.
die englischen, russischen, kroatischen, polnischen und deutschen hooligans, die sich im namen ihrer „nation“ gegenseitig die schädeln einhauen, sind mir zutiefst zuwider.
ich mags auch überhaupt nicht, wenn in kollektiver umnachtung die österreichischen fans „i am from austria“ gröhlen.
aber ich mags zb sehr, wenn die iren gemeinsam mit den schweden singen – oder auch gemeinsam das eine oder andere bier trinken.
so wie auch die vielen verbrüder- und schwesterungen unterschiedlicher nationen in den stadien und fanzonen.
dabei mach auch ich mich regelmässig unbeliebt, wenn ich nach einem erfolg eines österreichischen skifahrers hör: „wir haum gwunna!“ und nachfrag, was, der das feststellende, denn gewonnen hat oder welchen beitrag er zu einem sieg geleistet hat?
wenn der hermann maier was gewonnen hat, hat mich das auch immer ganz besonders amüsiert, weil wohl nur wenige sonst so deutlich klargemacht haben, dass es beim gewinnen nicht um österreich geht, sondern um den ganz persönlichen ehrgeiz.
was auch völlig ok ist.
und die szene mit dem karl schranz am heldenplatz ist mir auch noch in guter erinnerung – dabei hat der nicht einmal gewonnen.
der bacher hat damals gemeint, nicht einmal der hitler hat soviel menschen auf den heldenplatz gebracht.
aber ist nicht der satz: „jetzt hot uns de den schas gwunnen“ und der kollektive stolz nach dem conchita-sieg beim song-contest und die folgenden feierlichkeiten in die gleiche kategorie einzuordnen?
ist die freude über diesen sieg aus „linker“ sicht weniger bedenklich, weil es sich sozusagen um eine „poltisch korrekte“ siegern handelte?
es mag ja sein, dass ich da auch ein bissl leicht angrührt bin, weil ich als ehemaliger träger von so einem „national-leiberl“ die sicht des betroffenen sportlers sehr gross im hinterkopf mit mir herumtrag.
als trainer dann sogar für zwei verschiedene nationalmannschaften bei europameisterschaften dabei war. für die österreichische und die kroatische.
und ich hab mich zb hemmungslos auch mit der kroatischen flagge abknipsen lassen.
mit stolz sogar.
ich find das respektlos gegenüber den sportlern, die sich da den arsch aufreissen (ja, auch die jetzt ausgeschiedenen österreichischen fussballer – davon bin ich zu 100 % überzeugt). sich zu freuen, wenn sie verlieren, nur weil jemand grad meint, dass sie das falsche trikot tragen. das zeigt nicht grad von einer toleranten weltoffenen einstellung.
ja, ich kenn all die vorbehalte gegen derartige grossereignisse. aus systemkritischer, ökologischer und antikapitalistischer sicht.
und ja, vieles dieser kritik ist völlig berechtigt.
diese kritik darf und soll sein.
aber wenn, dann bitte nicht am rücken der sportler bzw. jenen, die völlig unbedarft ohne gross die meta-ebene mit sich rumzuführen, ein match schauen.
jenen, die möglicherweise nach der „hacken“ heimkommen und sich mit einem bier vor dem fernseher einfach ein ländermatch anschauen wollen und dabei hoffen, dass „wir“ was reissen.
ich find zb die ottakringer strasse nach einem sieg der kroatischen nationalmannschaft als einen der besten plätze von wien.
und auch wenn ich müd bin und eigentlich schlafen will, höre ich die folgenden hupkonzerte mit einer gewissen sympathie.
die unbändige freude die sich da offenbart, ist für mich ein deutliches zeichen, dass diese stadt lebt und lebenswert ist.
und da komm ich jetzt zu einem meiner kritikpunkte an „den linken“.
die jungen (neuen, progressiven) linken haben den bezug zur „unterschicht“ verloren.
http://www.zeit.de/campus/2016-06/politisches-engagement-junge-linke-studenten-parteizugehoerigkeit
das entspricht auch meiner persönlichen wahrnehmung und ist eigentlich sehr traurig. dafür gibts einige anhaltspunkte, vor allem was die priorisierung von themen betrifft.
theoretische diskussionen wie zb die oben beschriebene haben überhaupt keinen bezug mehr zur lebensrealität des „proletariats“.
man agiert abgehoben und bleibt unter sich.
schimpft auf den verrat durch die bobo-sozis und übersieht dabei völlig, ebenso wie diese, dass sich der kampf um die zukunft unserer gesellschaft nicht in intellektuellen blasen gewinnen lässt.
anstatt sich trotzig ins abseits zu stellen und auf die „böse nationalmannschaft“ zu schimpfen, wäre es doch sehr viel sinnvoller rauszugehen und mitzuhelfen, dass die „nationalisten“ nicht die oberhand gewinnen und letztendlich der „nationalstolz“ gewinnt.
als positives beispiel, wie rivalität trotz unterschiedlicher trikots – und zwar egal ob national- oder vereinsdressen – gelebt werden kann, möchte ich explezit die fans der wiener vereine sportklub und vienna anführen.
so geht fussball!
in diesem sinne:
bleibt´s gsund und losst´s eich nix gfoin!