Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, das andere nicht wollen. Alles andere ist Propaganda.
(George Orwell)
Und an George Orwell und 1984 fühlt man sich angesichts der neuerlichen Aufregung um Herbert Kickl auch erinnert. Kickl missbraucht sein Amt als Innenminister und befindet sich am Weg zum „Wahrheitsministerium“
Ein aus dem Innenministerium verschicktes Mail an die zuständigen Polizeidienststellen beinhaltet eindeutig demokratiefeindliche Angriffe auf die Pressefreiheit. Und es ist ein Versuch, die Polizei und ihre Arbeit für Kickls persönliche politischen Ziele zu missbrauchen.
So wird z.B. empfohlen „die Kommunikation mit diesen (kritischen) Medien (namentlich genannt der Kurier, der Standard und der Falter) auf das nötigste (rechtlich vorgeschriebene) Maß zu beschränken“.
Oder:
Sexualdelikte sind aus Operschutzgründen ein heikles Thema, dennoch darf ich euch bitten, vor allem Taten die in der Öffentlichkeit begangen werden, besondere Modi Operandi (z.B. antanzen) aufweisen, mit erheblicher Gewalteinwirkung oder Nötigungen erfolgen, oder wenn zwischen TäterIn und Opfer keine Verbindung besteht, auch proaktiv auszusenden.
Wenn es sich um eine reine familieninterne Tat handelt, … so kann selbstverständlich nach wie vor von einer Veröffentlich abgesehen werden.
Weiters heisst es in dem Mail:
„Künftig darf ich darum ersuchen, die Staatsbürgerschaft eines mutmaßlichen Täters in euren Aussendungen zu benennen (...) Außerdem gegebenenfalls bei einem Fremden dessen Aufenthaltsstatus bzw. ob es sich um einen Asylwerber handelt (...) ich ersuche auch, diese Sprachregelung in Interviews umzusetzen.“
Das „Antanzen“ eines Asylwerbers aus Syrien, Afghanistan usw. soll also proaktiv ausgesendet werden, die „normale“ Gewalt innerhalb der Familie aber vor der Öffentlichkeit geschützt werden.
Über die (laut seriösen Studien) mehr als 90 Prozent der Vergewaltigungen im Privatbereich würde der Mantel des Schweigens gehüllt, aber jene wenigen Fälle im öffentlichen Raum sollen so thematisiert werden.
Es muss wohl nicht näher erläutert werden, welchen Hintergrund dieses „Ersuchen“ hat und welche Folgewirkung sich daraus ergibt.
Interessant auch,
Begleitungen zu Reportagen mit Beamten etwa seien nicht mehr zu ermöglichen, außer es wäre eine „neutrale oder positive Berichterstattung“ im Vorfeld garantiert. Diese bietet offenbar die neue Serie „Live PD“, die ab Ende 2018 auf ATV jeden Samstag ausgestrahlt wird – dort gibt es entsprechende Rahmenbedingungen. „Jede Folge wird (vom Ressort, Anm.) abgenommen und geht erst nach positiver Abnahme auf Sendung. Zusätzlich zu den polizeilichen Einsätzen kommt ein Studiogast des BMI oder der Polizei vor. Es handelt sich dabei um imagefördernde Öffentlichkeitsarbeit, bei der die Themen im Studio von uns bestimmt werden können.“
Kickl hat diese „Zensur-Empfehlung“ natürlich nicht selbst geschrieben. Das war sein persönlicher Sprecher, den er ins BMI geholt hat und dann zum Ministeriumsprecher befördert hat.
Auch wenn der Minister jetzt nichts gewusst haben will und seinen Sprecher feuert, die Botschaft ist angekommen. Es wurde eingeschüchtert, gedroht und Macht demonstriert. Und bei Bedarf werden, wie beim Beispiel ATV, Zuckerln verteilt. Ganz Subtil.
Zuckerbrot und Peitsche
Der sich daraus ergebende vorauseilende Gehorsam lässt sich anhand der aktuellen Berichterstattung über diese Causa in diversen Medien gut ermessen.
hagerhard
Beunruhigend, was der Kurier hier noch schreibt:
"Der KURIER hat dieses Schreiben zugespielt bekommen, wir drucken es aber nicht ab, weil wir niemanden gefährden wollen. Aus dem Innenministerium und aus Polizeidienststellen ist zu hören, dass sich viele Beamte einfach nur mehr fürchten. Sie haben Angst vor Disziplinarverfahren, es wird von einem System der Einschüchterung berichtet. Die unverhältnismäßige – um es vornehm auszudrücken – Razzia im BVT hat viele Beamte eingeschüchtert."
Nach der BVT Razzia also der nächste Großangriff auf unsere Demokratie!
Das sind keine Kleinigkeiten um die es hier geht. Das sind handfeste Versuche eines Ministers unsere demokratischen Grundrechte zu zerstören.
"Mit dem ersten Glied ist die Kette geschmiedet. Wenn die erste Rede zensiert, der erste Gedanke verboten, die erste Freiheit verweigert wird, dann sind wir alle unwiderruflich gefesselt."
(Erik Satie)
Diese Angriffe auf die Pressefreiheit sind nicht einfach zufällig passiert. Das hat System.
Wir erinnern uns an den persönlichen Angriff von Strache auf Armin Wolf
Heinz-Christian Strache und Armin Wolf treffen einander doch nicht vor Gericht: Der Politiker entschuldigt sich beim ORF-Moderator auf Facebook und in der "Krone" und zahlt 10.000 Euro Entschädigung.
Oder - Nach einem Posting von Patricia Pawlicki (ORF-Parlamentsmagazin) will die FPÖ "Konsequenzen“ - Moderatorin sieht einen Einschüchterungsversuch.
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen und die Initiative Qualität im Journalismus (IQ) zeigen sich beunruhigt über die jüngsten politischen Angriffe auf unabhängige Journalisten. "Die Ereignisse der vergangenen Tage sind besorgniserregend. Journalisten, die sauber recherchiert haben, werden desavouiert“
Und der Schweizer Rundfunk schreibt im April d.J.:
Seitdem die FPÖ in Österreich an der Regierung beteiligt ist, hat sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF stärker denn je im Visier. Die Populisten setzen die ORF-Korrespondenten unter Druck und drohen mit massiven Einsparungen, falls sich sie sich nicht «korrekt» verhalten.
Nicht zu vergessen, FPÖ-Stiftungsrat Steger.
Nach zahlreichen Angriffen auf den öffentlichen Rundfunk ORF und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den letzten Wochen vor allem durch die rechtspopulistische Regierungspartei FPÖ, kehrt auch jetzt keine Ruhe ein. Zuvor hatte sich die Situation bereits durch Diskussionen um die Finanzierung sowie persönliche Attacken auf Journalistinnen und Journalisten bereits zugespitzt. FPÖ-Stiftungsrat Norbert Steger droht nun mit der Entlassung von JournalistInnen. „Diese Art von Einschüchterung von Journalistinnen und Journalisten ist zutiefst antidemokratisch und gefährdet die Informationsfreiheit massiv“.
Dazu passend:
Punkt 23 aus dem Programm der NSDAP:
Die angestrebte Abschaffung der Pressefreiheit und Einführung von Pressezensur wurde als „gesetzlicher Kampf gegen die bewußte politische Lüge und ihre Verbreitung“ bemäntelt.
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug."
(Stefan Zweig)
Das wird jetzt sogar Sebastian Kurz zuviel.
Er kritisierte die Ausgrenzung bestimmter Medien. "Für einen freien und unabhängigen Journalismus im Land tragen besonders Parteien und Regierungsinstitutionen sowie öffentliche Einrichtungen eine hohe Verantwortung", sagte er in New York. "Jede Einschränkung von Pressefreiheit ist nicht akzeptabel."
Und auch die die Staatssekretärin im Innenministerium, Edtstadler sagt: "Jede Einschränkung der Meinungsfreiheit oder auch der Pressefreiheit ist inakzeptabel".
Es zeigt sich, dass der Widerstand gegen diesen Innenminister - nicht nur aus der eigenen politischen Überzeugung heraus - sondern vor allem aus grundsätzlich demokratischen Gesichtspunkten für das Land und unsere Gesellschaft notwendig ist.
Nach dem Angriff auf das BVT ist der Angriff auf die Pressefreiheit der zweite zwingende Rücktrittsgrund für Kickl. Wer jetzt nicht sieht, dann weil er nicht hinsehen will. Was die FPÖ hier tut, ist mehr als offensichtlich.
hagerhard