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Ein Gastkommentar von a.o. Univ. Prof. Dr. Dieter BETTELHEIM, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Klinische Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, Leiter der Abteilung Ultraschall-Risiko Fetal, den ich mit seinem Einverständnis hier poste:
dr.bettelheim
Eine Bürgerinitiative unter dem Namen #fairändern versucht durch Sammeln von Unterschriften eine Änderung des in Österreich geltenden Rechts betreffend des Schwangerschaftsabbruchs zu erreichen.
Es wollen also in diesem Fall unbeteiligte, nicht betroffene Politiker und Personen des öffentlichen Interesses, die sich mit Namen und Bild in die Reihen dieser Bürgerinitiative begeben, über die Schicksale von schwer traumatisierten Müttern oder Paaren entscheiden, also werdenen Eltern, welchen im Rahmen der pränataldiagnostischen Untersuchungen die ungeschönte Information über den Zustand ihres ungeborenen Kindes gegeben worden ist.
Auf dem Rücken einer geringen Anzahl von schwer traumatisierten Frauen soll nun sozusagen politisches Kleingeld gewonnen werden.
Unter Anderem wird auch die Abschaffung der eugenischen Indikation gefordert.
Das heisst, es soll die Möglichkeit des Spätabbruches, wegen eines Verdachtes auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung des ungeborenen Kindes, bei der ein Schwangerschaftsabbruch auch nach Überschreiten der Fristenregelung straffrei wäre, aufgehoben und sodann bestraft werden.
Die österreichische Besonderheit in dieser Frage wird schon dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Schwangerschaftsabbruch prinzipiell verboten ist, jedoch unter manchen Bedingungen - Fristenregelung , Verdacht auf schwere Schädigung des ungeborenen Kindes oder bei der Gefahr eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren (z.B. Zustand nach Vergewaltigung) - straffrei ist.
Diese Bürgerinitiative fordert nun, wie o.a. eine Änderung dieser gesetzlichen Vorgangsweise.
Rein prinzipiell ist dazu zu sagen dass die Anzahl der von diesen Situationen in Österreich betroffenen Frauen eine sehr Geringe ist.
Grobe Erhebungen, die in den letzten Wochen durchgeführt wurden, ergaben eine Zahl von jährlich etwa 500 leidtragenden Müttern in Österreich. Im Jahr 2018 betrugt die genaue Anzahl der Spätabbrüche in Österreich 380.
Die behandelnden Ärzte haben die Verpflichtung Mütter oder Paare über die Ergebnisse von pränataldiagnostischen Untersuchungen ungeschminkt und realitätsnah zu informieren.
In den seltenen Fällen des Vorliegens einer schwerwiegenden fetalen Erkrankung oder Fehlbildung, in denen eine postpartale Behandlung nicht oder nur unzureichend möglich ist, haben die betroffenen Eltern die Möglichkeit ihre Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch zu formulieren.
Ein besonderer Zynismus in diesem Zusammenhang ist gegeben wenn argumentiert wird, die werdende Mutter „wünsche“ sich einen Schwangerschaftsabbruch.
Im Moment wird die relativ abstrakte Formulierung des Gesetzestextes in der Praxis streng gehandhabt. Speziell der Spätabbruch ist durch Leitlinien der einschlägigen österreichischen Fachgesellschaften seit dem Jahr 2002 viel strenger geregelt.
*Diese Eingriffe finden nur an geburtshilflichen Schwerpunkt-Abteilungen statt.
*Es erfolgt jeweils eine individuelle Beratung der Schwangeren die vor allem nondirektiv ausgerichtet ist. Ebenso ist psychologische und psychosoziale Begleitung vorhanden.
*Sie sind an eine konsensuelle Entscheidung interdisziplinär besetzter ärztlicher Beratungsgemeinschaften gebunden.
*Zwischen der Mitteilung der Diagnose und dem eigentlichen Beginn des Schwangerschaftsabbruches muss eine ausreichende Bedenkzeit verstrichen sein.
*Die einzelnen Fälle werden zur besseren zahlenmäßigen Erfassung akribisch dokumentiert.
*Eine pathologisch-anatomische und histologische Untersuchung nach einem Spätabbruch ist obligat.
Zusammenfassend handelt es sich keinesfalls um eine eugenische Lösung. Eugenik würde ja bedeuten, dass staatlich bestimmt entschieden wird, was leben darf und was nicht lebenswert ist. Es ist jedesmal eine individuelle Entscheidung der Patient*innen die als individuelle Konfliktlösung nach ausreichend schriftlich dokumentierter und informierter Zustimmung zu betrachten ist.
Ein Verbot des Spätabbruch würde genau das Gegenteil der von den Betreibern der Bürgerinitiative angeblich gewollten Ergebnisse auslösen.
Es wird vergessen, dass sich viele Fehlbildungen erst im zweiten oder am Anfang des dritten Trimenon entwickeln bzw. erkennbar werden. Sollten sich Verdachtsmomente innerhalb der Fristenregelung, das heißt innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft ergeben, würde niemanden mehr den Mut aufbringen zuzuwarten und auf eine gute Entwicklung hoffen. Es würden auf Verdacht hin, im Rahmen der Fristenregelung, sehr viele Schwangerschaften beendet werden. Sollten Fehlbildungen erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt evident werden, würden die Patientinnen entweder den Weg in die Urzeiten der kriminalisierten "kleinen Geburtshilfe" ( das heißt Abtreibung durch Nicht-Ärzte in Hinterzimmern) suchen oder es würde der Weg in das möglicherweise medizinisch nicht so abgesicherte Vorgehen im Ausland gewählt werden.
Folglich würde die Mutter auch dahingehend verpflichtet sein, das todgeweihte Kind auszutragen und diesem nach der Geburt beim Dahinsiechen oder beim Sterben zusehen zu müssen.
Dies muss dann keineswegs als Fortschritt sondern viel eher als Rücktritt verstanden werden.
Deshalb habe ich die Petition „#KEINENMILLIMETER“ unterschrieben